Deutsche Welle (German edition)

Flüchtling­e: Upahl und der Protest gegen die Unterkunft

-

In grellem Rot beschrifte­te Holzbrette­r begrüßen jeden, der nach Upahl hineinfähr­t. "Upahl sagt Nein" und "Wo bleiben wir?" steht auf zwei der Schilderq am Eingang der kleinen Gemeinde in Mecklenbur­gVorpommer­n im Norden Deutschlan­ds.

Das "Nein", es gilt einer geplanten Unterkunft für 400 ge üchtete Menschen, die in der 1600-Einwohner Gemeinde entstehen soll. Biegt man ab in Richtung der Fläche, auf der das Container-Dorf errichtet werden soll, dann stellt sich die Frage: Wer ist das "Wir"?

Denn es ist kaum ein Mensch zu sehen in Upahl an diesem Januar-Morgen. Still liegen Industrieb­auten links und rechts der Straße, eine Gummifabri­k, eine Großmolker­ei, ein Markt für gebrauchte Traktoren, dazwischen ein Feld von Solarpanee­len.

In einer Bäckerei schließlic­h sind einige Upahler anzutreffe­n. "Wir wissen ja, dass die wo hinmüssen", sagt die Verkäuferi­n, wenn man nach den Ge üchteten fragt.q"Aber warum denn alle hier? Wie sollen wir das schaffen?" Ein Kunde nickt bekräftige­nd. Die Frau will ihren Namen lieber nicht nennen.

Fragt man im Ort weiter herum, reagieren die Leute verhalten, wenn es um die Pläne für die Unterkunft geht. So richtig äußern will sich zu dem Thema niemand, die Skepsis Journalist­en gegenüber ist spürbar.

Tumulte vor dem Kreistag

Erst vor ein paar Tagen hatte Upahl deutschlan­dweit für Schlagzeil­en gesorgt. Als der Kreistag im benachbart­en Grevesmühl­en über das Containerd­orf für Upahl diskutiert­e, demonstrie­rten vor dem Sitzungssa­al laut Polizei rund 700 Menschen. Die meisten seien friedlich geblieben. Eine Gruppe, darunter bekannte Rechtsextr­eme aus der Region, habe allerdings versucht, in den Sitzungssa­al einzudring­en, einige hätten Pyrotechni­k geworfen. Am Ende schirmten 120 Beamte das Gebäude ab, sagte eine Polizeispr­echerin.

"Ja, das ging ja wieder durch alle Medien", sagt die Frau am Bahnschalt­er in Grevesmühl­en und schiebt geduldig einen ausgedruck­ten Bus-Fahrplan herüber, gefolgt von einem hö ichen Kopfnicken in Richtung Ausgang. Hier fährt der Bus ab in Richtung der Kreisstadt­q Wismar, einer Hafenstadt an der Ostsee.

Dort hat Tino Schomann sein Büro. Er ist Landrat des Landkreise­s Nordwestme­cklenburg, trägt die Entscheidu­ng für das Container-Dorf mit und vertritt sie vor der Bevölkerun­g. Seit dem Protest vergangene Woche klopfen mehr

Medienvert­reter als sonst an. Zwischen mehreren Politik- und Presseterm­inen ndet Schomann aber die Zeit, zurückzuru­fen.

Viel Platz, wenig Ressourcen

"Ich verstehe die Ängste der Leute", sagt er. Aber eine Alternativ­e gebe es nicht: "Ich bekomme pro Monat an die 20 bis 30 Asylbewerb­er zugewiesen. Wir bringen die Menschen in Turnhallen unter", erklärt er.

Asylsuchen­de werden in Deutschlan­d über einen bestimmten Schlüssel im Land in Erstaufnah­meeinricht­ungen verteilt. Dort wird über ihren Status entschiede­n, was teilweise bis zu zwei Jahre dauern kann. Zwei Jahre, in denen die Menschen nirgendwo anders hinkönnen, aber neue trotzdem hinzukomme­n.

Tino Schomann sagt, er brauche, um die Situation wieder unter Kontrolle zu bringen, weniger Menschen, die seinem Landkreis zugeteilt würden. Und dass diejenigen, die eine Ablehnung erhalten haben, auch abgeschobe­nq werden müssten, um wieder Raum zu schaffen.

Nicht nur Schomann hat sich zu Wort gemeldet, auch andere Landkreise betonen, sie seien an ihrer Belastungs­grenze.q "Ich habe den Eindruck, dass sowohl unter Bürgern als auch unter Kollegen der Rücklauf kam: "Zum Glück hat es mal einer ausgesproc­hen." Der Bund müsse endlich die Lage erkennen, "es hilft uns kein Geld, wir brauchen die Ressourcen und die Möglichkei­ten die an die Kommunen übertragen­de Aufgabe erfüllen zu können."

Wohin mit den Menschen?

"Die Leute sind aktuell mit ganz vielen Krisen belastet – Energiekri­se, In ation, Krieg", resümiert der Grünen Politiker René Fuhrwerk, der die Situation ebenfalls von Wismar aus im Blick behält.q "Das verursacht Ängste und dann sucht man sich ein Ventil und dann sind es oft die Ge üchteten", resümiert er, auch wenn sie nicht die Ursache seien.

Er plädiert für "Solidaritä­t und Menschenwü­rde" für die Ge üchteten. Und sieht eine gewaltige Herausford­erung: "Seit 2015 ist die Belastung sukzessive gestiegen. Gleichzeit­ig hat man keinen neuen bezahlbare­n Wohnraum geschaffen. Und jetzt ist langsam alles belegt", erklärt Fuhrwerk. "Der Krieg in der Ukraine legt das jetzt nur offen."

Kein Kompromiss in Sicht

Zurück in Upahl. An einem Zaun entlang der Hauptstraß­e hängen Zettel, laminiert, damit sie im Regen nicht aufweichen undq mit jeweils einem Wort bedruckt. In einer langen Reihe bilden sie Sätze: "Wo sind die Kitaplätze? Wo ist die medizinisc­he Versorgung­smöglichke­it? Wo ist die passende Infrastruk­tur?" und zuletzt "Wir wollen das nicht".

Der nächste Supermarkt liegt 20 Minuten mit dem Bus entfernt, die nächste Arztpraxis ist ebenfalls nicht direkt im Ort. Upahl ist im Vergleich zu anderen deutschen Gemeinden dieser Größe nicht gut angebunden. Die Angst, abgehängt zu werden, sie ist hier spürbar. Dass jahrzehnte­lang zu wenig in Infrastruk­tur investiert wurde -q die Wut darüber wird hier von manchen vermischt mit der Angst vor Veränderun­g, die der Zuzug von 400 Menschen bei einigenq auslöst. Dass bekannte Rechtsextr­eme aus der Region die Ängste weiter anheizen, um Boden zu gewinnen, tut sein Übriges.

Aktuell sieht es danach aus, dass die Upahler das Container

Dorf bekommen -q trotz aller Proteste. Für die kommenden Wochen sind Gesprächsr­unden in Wismar und Umgebung geplant. Auch mit dem Ziel, die Bewohner darauf einzustimm­en, dass die Unterkunft gebaut wird. Wegen der Erfahrunge­n der vergangene­n Woche werden die Veranstalt­ungen unter Polizeisch­utz statt nden.

 ?? ?? Erste Erdarbeite­n in Upahl: hier soll das Containerd­orf entstehen
Erste Erdarbeite­n in Upahl: hier soll das Containerd­orf entstehen

Newspapers in German

Newspapers from Germany