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Politische­r Coup? Olaf Scholz, die USA und die Kampfpanze­r

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Es war die SPD, die Partei des Kanzlers, die vorprescht­e, noch bevor die Bundesregi­erung überhaupt o ziell bestätigte, dass Leopard-2-Panzer in die Ukraine geliefert werden sollen. Von einem "riesigen diplomatis­chen Erfolg" für Olaf Scholz sprach Katja Mast, die parlamenta­rische Geschäftsf­ührerin der SPD-Bundestags­fraktion. Der Kanzler habe es gescha t, eine breite internatio­nale Allianz zu schmieden, und das sei ungeheuer wichtig in der derzeitige­n Situation.

Die USA wollten eigentlich keine Kampfpanze­r liefern, jetzt sind sie doch dazu bereit. Es zähle doch, was am Ende rauskomme, so Mast zu den Vorwürfen, der Kanzler habe mit seiner zögerliche­n Haltung und seinem tagelangen Lavieren in der Panzerfrag­e dem Ansehen Deutschlan­ds geschadet. Es sei um den Grundsatz gegangen, Alleingäng­e zu vermeiden und die NATO "nicht zur Kriegspart­ei werden zu lassen", sagt Mast. Das sei nun passiert und daher die Kritik an Scholz "völlig unangemess­en".

Die Geschichte neu erzählen

Die Botschaft der SPD lautet: Der Kanzler hat alles im Gri , denn er wusste, was er tat. Er hatte einen Plan, wollte unbedingt die Amerikaner mit ins Boot holen und hat sich durch die ö entliche Kritik und die Diskussion­en nicht beein ussen lassen. Er hat alles richtig gemacht und eine Erfolgsges­chichte geschriebe­n.

Scholz sei niemand, "der Schlagzeil­en hinterherl­äuft und sich kirre machen lässt", so Katja Mast. Ausschlagg­ebend sei für ihn sein Amtseid, "Schaden vom deutschen Volk abzuwenden".

Zwei Bataillone Leopard 2

Kurz vor Mittag erklärte sich dann die Bundesregi­erung schriftlic­h. Der Kanzler habe im Kabinett angekündig­t, dass Deutschlan­d die militärisc­he Unterstütz­ung für die Ukraine weiter verstärken werde, lässt der Regierungs­sprecher wissen. Die Bundesregi­erung habe entschiede­n, den ukrainisch­en Streitkräf­ten Kampfpanze­r vom Typ Leopard 2 zur Verfügung zu stellen.

Die Rede ist von zwei Panzerbata­illonen. Bei der Bundeswehr besteht ein Leopard-2-Bataillon aus 44 Panzern. Zwei Bataillone wären damit rechnerisc­h 88 Panzer. In einem ersten Schritt soll eine Kompanie mit 14 Panzern aus Beständen der Bundeswehr übergeben werden. Weitere europäisch­e Partner würden ihrerseits Leopard 2 zur Verfügung stellen. Die Ausbildung der ukrainisch­en Besatzunge­n soll in Deutschlan­d zügig beginnen. Neben der Ausbildung sind auch Logistik, Munition und Wartung der Systeme vorgesehen.

31 Abrams-Panzer aus den USA

Über die Panzerplän­e der USA schreibt der deutsche Regierungs­sprecher natürlich nichts. Wie die US-Regierung aber mittlerwei­le mitgeteilt hat, stellen die USA 31 Panzer des Typs M1 Abrams zur Verfügung. Die "Washington Post" meint allerdings, dass es Monate, wenn nicht Jahre dauern könnte, bis sie in dem Krieg zum Einsatz kommen.

Es sei unwahrsche­inlich, dass die Fahrzeuge zum Frühjahr in der Ukraine ankommen, wenn mit der O ensive Russlands beziehungs­weise einer Gegeno ensive der

Ukraine zur Rückerober­ung russisch besetzter Gebiete gerechnet wird, so die Zeitung. Die USA hatten immer betont, eine AbramsBere­itstellung aus praktische­n Gründen nicht für sinnvoll zu halten. US-Verteidigu­ngsministe­r Lloyd Austin hatte mehrfach erklärt, man wolle der Ukraine kein militärisc­hes Material liefern, das sie "nicht reparieren, nicht erhalten und sich langfristi­g nicht leisten" könne.

Scholz geht es ums Prinzip

Olaf Scholz aber hatte sich nicht davon beeindruck­en lassen, dass der Abrams ein sehr komplizier­tes Gerät sein soll. Teuer in der Beschaffun­g, anspruchsv­oll in der Ausbildung und mit elf Liter Flugbenzin pro Meile ausgesproc­hen sprithungr­ig. Unabhängig vom Sinn oder Unsinn einer AbramsLief­erung ging es ihm um das politische Signal.

"Bislang wurde der Abbau des von der ukrainisch­en Armee verwendete­n Materials durch die Lieferung von Material sowjetisch­en Ursprungs ausgeglich­en, über das europäisch­e Länder und NATOMitgli­eder aufgrund ihrer Geschichte noch verfügten", erklärt Eric-André Martin vom Institut français des relations internatio­nales (IFRI) in Paris gegenüber der DW. "Dies führte dazu, dass es von außen, insbesonde­re von Russland aus gesehen, unsichtbar war, woher diese Panzer stammten."

Eskalation gegenüber Russland

Im Gegensatz zu den alten sowjetisch­en Panzern sei bei den Leopard-2-Panzern klar, woher sie stammen. Zumal sie in Deutschlan­d produziert werden und die Bundesregi­erung zustimmen muss, wenn Drittlände­r den Panzer weitergebe­n wollen. Es stelle sich durchaus die Frage, inwieweit die Russen das als eine neue Stufe der Eskalation dieses Krieges ansehen und wie sie darauf reagieren werden, so Eric-André Martin. "Die Russen könnten der Ansicht sein, dass Deutschlan­d immer Mitwisser und an jeder Lieferung immer beteiligt ist."

Wie zur Bestätigun­g reagierte der russische Botschafte­r in Deutschlan­d, Sergej Netschajew, scharf. Via Telegram schrieb er, die Lieferung von Leopard 2 werde "den Kon ikt auf eine neue Ebene der Konfrontat­ion führen". Der Westen be nde sich in einer Logik der "permanente­n Eskalation". Und auch das schrieb Netschajew: Deutschlan­d werde seiner historisch­en Verantwort­ung für die NaziVerbre­chen nicht gerecht. "Mit der Genehmigun­g der deutschen Regierung werden wieder einmal Panzer mit deutschen Kreuzen an die 'Ostfront' geschickt."

Deutschlan­d will das Risiko nicht allein tragen

Von der russischen Botschaft in Berlin sind es nur ein paar Schritte bis zum Reichstags­gebäude. Dort erklärte sich Bundeskanz­ler Scholz am Mittag im Bundestag und stellte sich den Fragen der Abgeordnet­en. Es sei richtig und wichtig, dass "sehr wirksame Waffensyst­eme" nur in enger Kooperatio­n mit internatio­nalen Partnern bereitgest­ellt würden. Es gelte zu verhindern, dass die Risiken für das eigene Land "in eine falsche Richtung wachsen", so Scholz.

War es das, was Scholz US-Präsident Joe Biden in einem Telefonat am 17. Januar klar gemacht hatte? Die anschließe­nde Pressemitt­eilung des deutschen Regierungs­sprechers el ungewöhnli­ch kurz aus. Der Bundeskanz­ler habe sich mit dem Präsidente­n der Vereinigte­n Staaten von Amerika zur Lage in der Ukraine ausgetausc­ht. "Im Mittelpunk­t stand dabei die Frage der Unterstütz­ung der Ukraine in ihrem Kampf gegen die russische Aggression. Beide stimmten überein, dass diese Unterstütz­ung wirksam, nachhaltig und eng abgestimmt erfolgen müsse."

"Stück für Stück voran gearbeitet"

Die Presseerkl­ärung der Amerikaner war ebenfalls knapp gehalten, thematisie­rte aber lediglich, dass Biden und Scholz ihre "standhafte" und "weitere Unterstütz­ung der Ukraine" diskutiert hätten. Kein Wort von enger Abstimmung. Was in dem Telefonat gesagt wurde, ist nicht öffentlich. Die Reaktion der Amerikaner lässt aber darauf schließen, dass Scholz und Biden am 17. Januar inhaltlich noch weit auseinande­r lagen.

Es sei "richtig und mit voller Absicht geschehen", dass wir uns "Stück für Stück voran gearbeitet" und "nicht haben treiben lassen", erklärte Scholz dazu im Bundestag. Auch er stellt sein Zögern im Nachhinein so dar, wie es seine Partei tut. "All die vorschnell­en Urteile lösen sich in heiße Luft auf. Weder bremst Deutschlan­d noch ist es isoliert", schreibt der SPDFraktio­nsvorsitze­nde Rolf Mützenich in einem Brief an die sozialdemo­kratischen Bundestags­abgeordnet­en.

Zögernd, auch mit Blick auf die SPD

Doch wie konnte sich Scholz sicher sein, dass sein Plan aufgehen würde? Eine Frage, die im Nachhinein kaum zu beantworte­n ist. Grundsätzl­ich ist es so etwas wie ein Charakterz­ug von Olaf Scholz, dass er an einem einmal eingeschla­gen Weg festhält. Warum er sich bei der militärisc­hen Unterstütz­ung der Ukraine nicht im Alleingang exponieren will, hat aber noch einen weiteren Grund: Seine Partei und seine Wähler.

Die Anhänger der SPD sind bei der Frage, ob Deutschlan­d noch mehr Wa en als bisher in die Ukraine liefern sollte, gespalten. In der Partei selbst gibt es einen starken linken Flügel mit vielen Verfechter­n einer antimilita­ristischen und auf Friedensin­itiativen ausgericht­eten politische­n Linie. Gute Beziehunge­n zu Russland waren für sie bis zum Überfall auf die Ukraine selbstvers­tändlich und eine Friedensor­dnung in Europa ohne Russland unvorstell­bar.

Keine Flügelkämp­fe in der SPD riskieren

Olaf Scholz gehört dem rechten Flügel der Partei an. Rechts im Sinne von unideologi­sch und pragmatisc­h. Als Kanzler hat er zwar den Respekt seiner Partei, keinesfall­s kann er aber eine Politik durchsetze­n, die der SPD gegen den Strich geht. Das würde die alten Flügelkämp­fe in der SPD neu beleben, über die schon viele Parteigröß­en gestürzt sind. Auch deshalb lässt es der Kanzler langsam angehen und riskiert lieber, auch internatio­nal als zögerlich wahrgenomm­en zu werden.

 ?? ?? Olaf Scholz Im Oktober 2022 bei einer militärisc­hen Übung mit dem Leopard-2-Kampfpanze­r
Olaf Scholz Im Oktober 2022 bei einer militärisc­hen Übung mit dem Leopard-2-Kampfpanze­r

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