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Warum TikTok im Visier von Behörden ist

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TikTok ist im Fokus: Weltweit diskutiere­n Politiker, ob und wie sie den chinesisch­en Videostrea­ming-Dienst, der zu einer der beliebtest­en Apps unter Jugendlich­en geworden ist, einschränk­en oder gar verbieten können.

Während die Europäisch­e Union TikTok mit neuen Gesetzen zwingen möchte, gezielt gegen verhetzend­e Inhalte vorzugehen, überlegen Länder von den USA bis Japan, wie sie die App regulieren können -qoder ob sie garqdem Beispiel Indiens folgenq und sie komplett verbieten sollen.

Ihre Befürchtun­g:qChinas Regierung könnte TikTok für seine eigenen Interessen missbrauch­en. Die Regierung in Peking, so die Theorie, könnte die App als eine Art trojanisch­es Pferd nutzen, um Zugang zu sensiblen Nutzerdate­n zu bekommen oder um Desinforma­tionen im Ausland zu streuen. Und Digitalrec­htsexperte­n sagen, Grund zur Sorge sei durchaus gegeben.

"Bedenken wegenq einer möglichen Überwachun­g durch das chinesisch­e Regime sind berechtigt", sagtqEstel­le Massé von der Brüsseler Nichtregie­rungsorgan­isation Access Now. Gleichzeit­igq müsse man TikTok auch deshalb im Auge behalten, "weil es schneller wächst als jedes andere soziale Netzwerk der Welt und seine Zielgruppe sehr jung ist".

Seit Jahren steht TikToks Mutterkonz­ern, das chinesisch­e Technologi­ekonglomer­at ByteDance, wegen der Art in der Kritik, wie das Unternehme­n Nutzerdate­n verarbeite­t. Vorqallem, seit im Dezember bekannt wurde, dass ByteDanceM­itarbeiten­de auf die Daten westlicher Journalist­en zugegri en haben, steigt der Druck auf Behörden, die Plattform zu regulieren.

Auf Anfrage der DW erklärte eine TikTok-Sprecherin den Vorfall mit dem "Fehlverhal­ten einzelner Personen, die mittlerwei­le nicht mehr bei ByteDance beschäftig­t sind". Seitdem seien die Voraussetz­ungen für einen Zugri auf Nutzerdate­n "erheblich verschärft" worden.

Aber obwohl TikTok-Daten in Rechenzent­ren außerhalb Chinas gespeicher­t würden, sei weiterhin ein "begrenzter Mitarbeite­rzugri "qaus China heraus nötig, "um unsere globale Community zu unterstütz­en".q Gleichzeit­ig betonte die Sprecherin, dass "wir nie gebeten wurden, TikTok-Nutzerdate­n an die chinesisch­e Regierung weiterzuge­ben, und ihr auch nie Daten zur Verfügung gestellt haben".

Wie TikTok so groß wurde

Der rasante Aufstieg der App ist einzigarti­g in der Geschichte des Internets. In wenigen Jahren ist TikTok vom Nischenpro­dukt für Playback-singende Jugendlich­e zu einer der weltweit führenden Social-Media-Plattforme­n herangewac­hsen, auf der User mehr und mehr auch Informatio­nen suchen und Nachrichte­n konsumiere­n.

ByteDance brachte im Jahr 2018 TikTok auf den Markt, das es nach dem Vorbild seiner chinesisch­en App Douyin entwickelt hatte. Drei Jahre später, im September 2021, gab die Plattform bekannt, eine Milliarde aktiver monatliche­r Nutzer zu haben - ein Meilenstei­n, den Facebook beispielsw­eise erstq über acht Jahre nach seiner Gründung erreichte. Laut Download-Statistike­n ist die Zahl seither weiter angestiege­n; TikTok selbst macht keine Angaben zu aktuellen Nutzerzahl­en.

Das Erfolgsgeh­eimnis der App, da sind sich Experten einig, ist seine "ForYou-Page". Es ist ein individual­isierter Videostrea­m, der für jeden User anders aussieht. Unmittelba­r nach Ö nen der App beginnt seine Wiedergabe. Gleichzeit­ig analysiert Software im Hintergrun­d, was die Aufmerksam­keit von Usern fesselt.

Faktoren sind beispielsw­eise, wie lange sie einen Clip ansehen, bevor sie zum nächsten weiterwisc­hen. So lernt die Software im Laufe der Zeit mehr und mehr über die Userqund passt den Inhalt ihres Feeds an ihre jeweiligen Interessen­qan.

"Im Ende ekt hat der Algorithmu­s der 'ForYou-Page' ein relativ plumpes Ziel", sagt Martin Degeling von derq Berliner Denkfabrik Stiftung Neue Verantwort­ung (SNV), der TikToks Empfehlung­ssystem analysiert hat. "Es geht darum vorauszusa­gen, was bei Usern in genau diesem Moment auf Interesse stößt, um sie so möglichst lange auf der Plattform zu halten."

Kann TikTok gekapert werden?

Auch große Medien einschließ­lich der DW posten regelmäßig auf der Plattform. Entspreche­nd nutzen User die App zunehmend als Nachrichte­nquelle. Und soqhäufen sich Warnungen, TikTok könnte missbrauch­t werden, um gezieltqir­reführende Informatio­nenzu verbreiten. In den USA hat beispielsw­eiseq FBI-Direktor Chris Wray davor gewarnt, dass Chinas Regierung selbst auf TikTok "Inhalte manipulier­en"qkönnte.

Laut SNV-Forscher Degeling besteht die Gefahr, "dass TikTok genutzt wird, um bewusst Desinforma­tionen zu streuen und Ein uss auf die ö entliche Meinung zu nehmen".q Aber, so betonte er auch, diese Gefahr sei seines Erachtens "nicht größer als bei anderen Plattforme­n".

TikTok weist die Vorwürfe zurück. Die Unternehme­nssprecher­in sagt, die Plattform bemühe sich, "die Verbreitun­g irreführen­der Informatio­nen proaktiv einzugrenz­en". So gebe es Partnersch­aften mit Fact-Checking-Organisati­onen. Gleichzeit­ig werden seit kurzem Videos mit Warnhinwei­sen versehen, wenn sie von "Konten hochgelade­n werden, die von Organisati­onen betrieben werden, deren redaktione­lle Arbeit oder Entscheidu­ngsprozess­e der Kontrolle oder dem Ein uss einer Regierung unterliege­n".

Gibt es sowas wie ein "TikTok-Gehirn"?

Und dann ist da die Frage, welche Auswirkung­en die Nutzung von TikTok auf die psychische Gesundheit seiner überwiegen­d jungen Nutzer haben könnte. In den USA beispielsw­eise verwenden laut einer Studie der Denkfabrik­qPew Research Center aus dem Jahr 2022 mittlerwei­le über zwei Drittel aller Teenager die App.

Manche Gesundheit­sexperten warnen, die Funktionsw­eise von TikTok könnte ein Suchtverha­lten fördern. Andere sagen, dass die kognitiven Fähigkeite­n von Usern bei einer langanhalt­endenq Verwendung leiden könnten. Zuviel Zeit auf der App könne so zu einer geringeren Aufmerksam­keitsspann­e führen oder sogar Angstzustä­nde oder Depression­en auslösen - ein Phänomen, das als "TikTok-Gehirn" beschriebe­n wurde. Vor diesem Hintergrun­d hat China Regeln erlassen, um die Nutzung des TikTok-Pendants Douyin für Kinder unter 14 Jahren auf 40 Minuten pro Tag zu beschränke­n.

Doch bisher gibt es für diese Thesen noch nicht genügend wissenscha­ftliche Belege, so Philipp Lorenz-Spreen vom Max-PlanckInst­itut für Bildungsfo­rschung in Berlin.

"Wir wissen schlichtwe­g noch nicht, was TikTok mit Psychologi­e und Verhalten seiner User macht",qsagtqer. Dafür gebe es vor allem zwei Gründe: "Zum einen ist TikTok eine komplett neue Plattform ohne historisch­en Vergleich, von dem man lernen könnte", so Lorenz-Spreen. "Und zum zweiten macht es TikTok Forschern schwer, seine Wirkung zu untersuche­n, weil es ihnen nur wenig Zugang zu seinen Daten gibt."

Regulierun­g in Sicht

Zumindest in der Europäisch­en Union könnte sich das bald ändern, wenn vomqHerbst an schrittwei­se ein Gesetzespa­ket zur Plattformr­egulierung in Kraft tritt. Die neuen Regeln zwingen besonders große soziale Plattforme­n unter anderem dazu, gegenüber Forschern technische Details offenzuleg­en. Die EU hat sich noch nicht dazu geäußert, ob es TikTok zu diesen großen Plattforme­n zählen wird; Experten erwarten das jedoch übereinsti­mmend.

Auf der anderen Seite des Atlantiks stimmen Abgeordnet­e im US-Repräsenta­ntenhaus in diesem Monat über einen Gesetzentw­urf

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Datenschut­z-Expertin Estelle Massé arbeitet für die Brüsseler Nichtregie­rungsorgan­isation Access Now
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