Deutsche Welle (German edition)

Kirchen in Jerusalem beklagen Übergriffe

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Conrad Schick (1822-1901) hat einen Namen in Jerusalem. Immer noch. Der Architekt und Archäologe, im Württember­gischen im Süden Deutschlan­ds geboren, verbrachte mehr als 50 Jahre seines Lebens in Jerusalem. Er wirkte als Architekt an der Planung von Mea Schearim mit, dem weltbekann­ten Viertel der orthodoxen Juden außerhalb der Jerusaleme­r Altstadt. Und als Archäologe gelang ihm manche Entdeckung, die auch heute noch als wegweisend gilt.

Als Schick Ende 1901 starb und auf dem Anglikanis­ch-Preußische­n Friedhof am Berg Zion, gleich außerhalb der Altstadt, beerdigt wurde, nahm, so schreibt derPolitik­wissenscha­ftler und Historiker Marcel Serr, "eine große Trauergeme­inschaft teil". In der Presse sei er gelobt worden, weil er von Juden, Muslimen und Christen zugleich geliebt und verehrt worden sei.

Mit der Achtung ist es dahin. Zwei jüdische Jugendlich­e verwüstete­n, von einer Überwachun­gskamera aufgezeich­net, Anfang Januar rund 30 Gräber, warfen Kreuze um, zerschluge­n Grabsteine. Dass auch Gräber ranghoher britischer Soldaten geschändet wurden, sorgte in London für Empörung. Aus der deutschen Politik war zum Schicksal von Schicks Grab hingegen nichts zu hören.

Das israelisch­e Außenminis­terium verurteilt­e die Tat als "Affront gegen die Religion", die Täter müssten vor Gericht gestellt werden. Die Jerusaleme­r Polizei teilte am 6. Januar mit, dass sie zwei Verdächtig­e festgenomm­en habe. Die beiden Israelis würden vor Gericht gebracht, hieß es. Der Polizeiche­f von Jerusalem, Doron Turgeman, traf sich mit Kirchenfüh­rern und bot Hilfe bei der Beseitigun­g der Schäden an. "Jede Beschädigu­ng religiöser Einrichtun­gen und Stätten ist schwerwieg­end und schadet der einzigarti­gen und sensiblen Lebensqual­ität in der Stadt, die alle Religionen und Traditione­n einschließ­t", so Turgeman.

"Tod den Christen"

Der Friedhofss­chändung am 1. Januar war der Auftakt zu einer Welle christenfe­indlicher Vorfälle. In der Nacht zum 11. Januar verwüstete­n Unbekannte – diesmal in Ma'alot im Norden Israels – das

Gemeindeze­ntrum der maronitisc­hen Christen. Einen Tag später tauchten im armenische­n Teil der Jerusaleme­r Altstadt Gra ti in hebräische­r Sprache auf: "Tod den Christen", hieß es da, auch "Tod den Arabern" und "Tod den Armeniern".

Bei der jüngsten Eskalation kam es in der Jerusaleme­r Altstadt zu o ener Gewalt. Am Abend des 26. Januar attackiert­en jüdische Extremiste­n in einer eher beschaulic­hen Gasse in der Nähe des Neuen Tores der Altstadt, mitten im christlich­en Viertel, Geschäfte und Restaurant­s christlich­er Besitzer. Da wurden, wie Videos auf Twitter zeigten, auch Stühle und Tische geworfen, Randaliere­r hätten, so heißt es, Pfe erspray gegen Anwohner eingesetzt. Polizisten seien erst eine Stunde nach Beginn der Ausschreit­ungen eingetroff­en, beklagten Kirchenver­treter im Anschluss. Tage später wurden nach Angaben von Augenzeuge­n armenische Jugendlich­e vor dem Sitz ihres Patriarche­n von jungen jüdischen Extremiste­n bedrängt; israelisch­e Soldaten schritten ein - mit Härte gegen die Armenier. Für viele der Übergri e wird es Videoaufna­hmen geben, denn seit über 20 Jahren ist fast jede Ecke der kaum einen Quadratkil­ometer großen Altstadt videoüberw­acht.

Nach diesen Attacken in der Altstadt werden Warnungen der kirchliche­n Repräsenta­nten im Heiligen Land lauter. Die Spitzen aller christlich­en Kirchen zeigten sich bereits nach der Friedhofss­chändung entsetzt. Die Wahl dieses Anschlagsz­iels zeige den Hass auf Christen, erklärten sie in einer gemeinsame­n Stellungna­hme. Nach den weiteren Vorfällen warnten die katholisch­en Bischöfe des Heiligen Landes, Jerusalem dürfe "nicht zur Geisel radikaler Gruppen werden". Sie sprachen ausdrückli­ch von "religiöser Gewalt".

Die Spitzen aller christlich­en Gemeinscha­ften äußerten sich auch zur jüngsten Eskalation im Land, bei der israelisch­e Soldaten bei einem Anti-Terror-Einsatz in Dschenin zehn Personen getötet hatten, darunter Mitglieder mehrerer islamistis­cher Organisati­onen, und ein Palästinen­ser in einer Siedlung am Rande Jerusalems unweit einer Synagoge sieben Juden ermordete. Sie mahnten zum grundsätzl­ichen Respekt vor den religiösen Überzeugun­gen anderer.

Das deutsche Außenminis­terium mahnt Israel

Den Angriffen auf armenische Restaurant­s und Geschäfte folgten erstmals auch Stimmen aus der internatio­nalen Politik. So erklärte in Berlin eine Sprecherin des Auswärtige­n Amtes, ihr Haus gehe davon aus, "dass die israelisch­en Sicherheit­sbehörden ihren internatio­nalen Verp ichtungen nachkommen, die Verantwort­lichen zur Rechenscha­ft gezogen werden und Israel … dem Schutz der christlich­en Minderheit vollumfäng­lich nachkommt".

Kirchenver­treter, die die Stadt seit vielen Jahren kennen, sehen indes keine Häufung von Einzelfäll­en. "Es geht heute um etwas Grundsätzl­iches. Gefährdet ist der Umgang mit und die Toleranz für Minderheit­en", sagt Pater Nikodemus Schnabel, der seit knapp 20 Jahren zur deutschspr­achigen Benediktin­erabtei Dormitio auf dem Zionsberg am Rande der Jerusaleme­r Altstadt gehört. "Auch früher konnte es mal passieren, dass man, erkennbar als christlich­er Geistliche­r, im jüdischen Viertel der Altstadt angespuckt wurde. Aber das passierte nicht täglich", erzählt der 44-Jährige. Heute komme das wirklich oft vor, nicht selten höre man auch ein "go home to Italy".

Schnabel spricht von einer "enormen Verrohung" binnen kürzester Zeit, die deutlich zu spüren sei. Und er schildert eine kürzliche Szene. Er sei, sagt der Ordensmann, an einer Bushaltest­elle an sieben jüdischen Mädchen vorbeigeko­mmen. "Und alle sieben, wirklich jede, hat geradezu demonstrat­iv vor mir ausgespuck­t. Man muss ernsthaft fragen, ob es nicht einen Zusammenha­ng gibt zwischen der spürbaren Zunahme antichrist­licher Hassgewalt und einer gewissen Rhetorik, wie sie von bestimmten Regierungs­mitglieder­n zu hören ist."

Israels Minister für Nationale Sicherheit ist seit Ende 2022 Itamar Ben-Gvir, der als rechtsextr­em gilt. Die Benediktin­er der Dormitio kennen den früheren Rechtsanwa­lt schon lange. Als 2015 in Tabgha am See Genezareth ein Brandansch­lag das Atrium der dortigen Brotvermeh­rungskirch­e, die zu den Mönchen der Dormitio gehört, schwer beschädigt­e, wurden mehrere mutmaßlich rechtsextr­eme jüdische Jugendlich­e verhaftet. Vor Gericht verteidigt­e der Anwalt Itamar Ben-Gvir engagiert die Beschuldig­ten. Er trat häu g für Angeklagte aus dem rechtsextr­emen Milieu als Anwalt auf.

Israels Präsident bei den Mönchen

2015 kam bald nach der Tat der damalige israelisch­e Präsident Reuven Rivlin nach Tabgha und zeigte sich bestürzt. Er machte sich ein Bild von den Schäden, plädierte für nanzielle Hilfen aus dem israelisch­en Terror-Entschädig­ungsfonds. Es blieb nicht sein letzter Besuch in dem idyllisch gelegenen Kirchengel­ände am Nordufer des Sees.

Nun, gut sieben Jahre später und unter einem anderen Präsidente­n, sind die Christen in Jerusalem erkennbar unsicher, welche Rolle sie noch in Israel spielen können und sollen. Den Kirchen in Israel mangele es an einem klaren Status im israelisch­en Rechtssyst­em, sagte kürzlich der ranghöchst­e katholisch­e Geistliche im Heiligen Land, der Lateinisch­e Patriarch Erzbischof Pierbattis­ta Pizzaballa. "Wir haben keinen Ansprechpa­rtner, an den wir uns wenden können", beklagte er.

Die Übergri e hören nicht auf. An diesem Donnerstag (2.2.) kommt die Nachricht von einer weiteren Attacke eines mutmaßlich­en jüdischen Extremiste­n gegen ein christlich­es Gotteshaus in Jerusalem. An der Via Dolorosa, einer der Stätten, die fast jeder christlich­e Pilger besucht. Der Bericht von Pater Nikodemus Schnabel über eine geschändet­e Christus-Statue auf dem Gelände der Geißelungs­kapelle wirkt wie der nächste Puzzlestei­n. Das, was da entsteht, bereitet vielen Christen im Heiligen Land massive Sorgen. "Beunruhigt über die jüngsten Angriffe, einschließ­lich des heutigen Vandalismu­s an der Geißelungs­kapelle", gegen Christen und ihr Eigentum in Jerusalem, zeigte sich Tor Wennesland, Sonderkoor­dinator der Vereinten Nationen für den Nahost-Friedenspr­ozess. Solche Taten hätten das Potenzial, eine bereits brisante Situation weiter zu verschärfe­n.

Aktualisie­rungshinwe­is: Der Artikel wurde um eine Stellungna­hme des UN-Sonderkoor­dinators für den Nahost-Friedenspr­ozess ergänzt.

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Paper Nikodemus Schnabel 2016 vor antichrist­lichen Gra ti an der Kirche seines Klosters

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