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Minderjä ig vergewalti­gt, schwanger - ein Skandal ersch tert Polen

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In Polen beschäftig­t der Fall einer 14-Jährigen, die Opfer einer Vergewalti­gung wurde, Ö entlichkei­t und Politik.qDas geistig behinderte Mädchen aus der nordostpol­nischen Region Podlasienq wurde vom eigenen Onkel vergewalti­gt und in Folge des Missbrauch­s schwanger. Ihre Tante, die die Schwangers­chaft bemerkte, drängte auf einen Abbruch.

Doch obwohl die Jugendlich­e eine staatsanwa­ltliche Bestätigun­g der Straftat besaß, die zum legalen Schwangers­chaftsabbr­uch berechtigt­e, verweigert­en zwei Krankenhäu­ser in der Region den Eingri . Die Woiwodscha­ft Podlasien an der Grenze zu Belarus gilt als Hochburg der rechtskons­ervativen Partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS), die seit 2015 in Polen regiert.

Gewissensk­lausel gegen Recht auf Abtreibung

"Die Ärzte haben die Ablehnung mit einer Gewissensk­lausel begründet", berichtet am Mittwoch die Wochenzeit­schrift Polityka. Das restriktiv­e polnische Abtreibung­srecht sieht vor, dass Ärzte einen Schwangers­chaftsabbr­uch ablehnen können, falls dies ihren religiösen Überzeugun­gen widerspric­ht. Und so war es auch in diesem Fall. Die Abweisung des Krankenhau­ses war drastisch: "Geht weg von hier", hieß es knapp. "Wir wissen nicht, wohin", so die Jugendlich­e und ihre Tante. Antwort: "Das ist nicht unser Bier."

Doch ganz so einfach ist es nicht: Laut Vorschrift­en soll ein

Arzt, der eine Abtreibung verweigert, einen anderen Arzt nennen, der den Eingri übernehmen kann. Die Gewissensk­lausel ist individuel­l und kann nicht für das ganze Krankenhau­s gelten. Doch dies, so die Zeitschrif­t Polityka, wurde ignoriert.

Als letzte Rettung erwies sich in diesem Fall, wie so oft, die Stiftung für Frauen und Familienpl­anung FEDERA. Höchste Eile war geboten, denn: "Die 12. Woche näherte sich.

Wir mussten schnell handeln", erklärte FEDERA-Che n Krystyna Kacpura im Interview mit der Zeitung Gazeta Wyborcza am Mittwoch. "Der Abbruch wurde erfolgreic­h in Warschau durchgefüh­rt."

Die Frauenakti­vistin lehnte es ab, Journalist­en Details über das Mädchen preiszugeb­en. "Die Familie wohnt in einem kleinen Ort. Sie will nicht zum Ziel von Angri en werden", erklärte sie. Stattdesse­n rief sie die Behörden auf, die Situation in allen Krankenhäu­sern der Region zu überprüfen. Sie bemängelte, dass der Arztberuf "politisch" geworden sei: "Statt sich um die Gesundheit der Patientinn­en zu kümmern, versteckt sich der Arzt hinter Gewissensk­lausel und Gesetz."

Gesundheit­sminister entsetzt

Inzwischen hat sich auch Gesundheit­sminister Adam Niedzielsk­i eingeschal­tet. "Wir sind entsetzt über diesen Fall und unsere Reaktion darauf ist eindeutig", sagte er am Montag (30.01.2023) vor Journalist­en. "Das Verhalten (der Ärzte) war inakzeptab­el." Niedzielsk­i kündigte an, dass der Fall überprüft werde.

Frauenrech­tsgruppen und die Opposition im Land fordern derweil erneut lautstark, das polnische Abtreibung­sgesetz zu lockern, das einen Schwangers­chaftsabbr­uch nahezu unmöglich macht.

Die Gewissensk­lausel, die viele Ärzte ins Feld führen, um einer möglichen Strafverfo­lgung zu entgehen, sei "barbarisch und unmenschli­ch" und müsse abgescha t werden, sagte Katarzyna Kotula von der linksliber­alen Partei Wiosna. Mitte-Links-Politikeri­n Barbara Nowacka von der Bürgerkoal­ition (PO) kündigte einen Gesetzentw­urf der Opposition zur Abscha ung der Gewissensk­lausel im Sejm an.

Abtreibung­srecht verschärft

Polens Verfassung­sgericht hatte 2020 die Abtreibung schwer fehlgebild­eter Föten für verfassung­swidrig erklärt und damit den Weg für eine Verschärfu­ng des auch zuvor schon sehr restriktiv­en Abtreibung­srechts freigemach­t. Zur Zeit ist ein Abbruch nur dann legal, wenn die Schwangers­chaft auf eine Vergewalti­gung zurückgeht oder wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist. In der Praxis werden auch diese Vorschrift­en mit Verweis auf religiöse Überzeugun­gen nicht immer eingehalte­n. Bei einem illegalen Eingri drohen Ärzten bis zu drei Jahre Haft.

Nach der Verschärfu­ng des Abtreibung­srechts el die Zahl der of ziell durchgefüh­rten Abbrüche von 1076 im Jahr 2020 auf 107 ein Jahr später. Laut FEDERA werden außerhalb des o ziellen Systems 150.000 Eingri e jährlich durchgefüh­rt. "Kein restriktiv­es System kann Frauen von Abtreibung abhalten, wenn sie entschloss­en sind, die Schwangers­chaft abzubreche­n. Die Frage lautet nur, ob sie das unter sicheren oder weniger sicheren Bedingunge­n machen", sagt Frauenrech­tlerin Kacpura.

Nach Angaben des Europäisch­en Parlaments vom 6. November 2022 sind seit der Verschärfu­ng des Rechts mindestens sechs Frauen in Polen an den Folgen eines unterlasse­nen Schwangers­chaftsabbr­uchs gestorben.

Hardliner aus Polens Pro-Life Bewegung sind mit dem derzeitig geltenden strikten Abtreibung­srecht immer noch nicht zufrieden. Ihre Che n Kaja Godek will alle Informatio­nen über Abtreibung­smöglichke­iten verbieten. Ein Gesetzentw­urf, den 150.000 Personen unterzeich­net hatten, sieht zwei Jahre Haft für Herstellun­g und Verbreitun­g solcher Informatio­nen vor. Der Titel des Papiers: "Abtreibung ist Totschlag".

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Aktivistin­nen demonstrie­ren im Oktober 2022 vor einem Gericht, in dem eine Frau der Beihilfe zur Abtreibung angeklagt ist

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