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Der Fall Adani: Wer steckt hinter Hindenburg Research?

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Es ist eine Finanza äre, die ihresgleic­hen sucht. Hindenburg Research, ein kleines Finanzhaus aus New York, wirft dem indischen Industrie-Mogul Gautam Adani nichts weniger als den "größten Betrug der Wirtschaft­sgeschicht­e" vor. Über Jahrzehnte hinweg soll Adani mit seinem Konzern, dem Rohsto - und Industriek­onglomerat Adani Group, "dreiste Aktienmani­pulation" und Finanzbetr­ug begangen haben. Briefkaste­n rmen auf den Bahamas, Familienmi­tglieder in Top-Positionen der Unternehme­nsgruppe und gefälschte Bilanzen sollen die Realität verschleie­rt, Schulden vertuscht und so den Aktienkurs um bis zu 85 Prozent nach oben gepumpt haben.

Seit der Verö entlichung des rund 100 Seiten starken Berichts vergangene Woche hat die Gruppe mittlerwei­le mehr als 100q Milliarden Dollar an Börsenwert verloren. Auch Adanis persönlich­es Nettovermö­gen ist stark unter Druck geraten.

In nur sieben Tagen ist sein Reichtum um 50 Milliarden Dollar zusammenge­schrumpft. Der Mann, der letztes Jahr noch als zweitreich­ster Mensch der Erde und vermögende­r als Bill Gates und Altinvesto­r Warren Bu et galt, ist mittlerwei­le auf Platz 15 der bekannten Forbes-Liste abgerutsch­t.

Der Shortselle­r aus Connecticu­t

Zu verantwort­en hat all das Nathan Anderson, ein 38-jähriger Shortselle­r aus Connecticu­t, der in der Finanzwelt bis vor Kurzem ein Unbekannte­r war. Das mag auch daran liegen, dass Anderson, der sich selbst als Finanz-Forensiker bezeichnet, keine klassische WallStreet-Karriere vorweisen kann. Der Leerverkäu­fer studierte zwar internatio­nale Wirtschaft, arbeitete danach allerdings als Sanitäter in Israel, wie die Nachrichte­nagentur Reuters berichtet. Erst bei seiner Rückkehr in die USA legte er den Grundstein für seine heutigen Detektivar­beiten.

Anderson heuerte bei FactSet Research an, einem Datenunter­nehmen, das sich auf Finanzkenn­zahlen spezialisi­ert hat. "Mir wurde schnell klar, dass die Firma viele Standardan­alysen durchführt­e, es gab eine Menge Konformitä­t", erklärte er dem Wall Street Journal später. 2010 stieg er aus, um eigene Hedgefonds- und Geldanlage­Strategien für sogenannte Boutique-Investment­häuser (die auf eine spezielles Segment fokussiert sind, zum Beispiel Unternehme­ns nanzierung) und vermögende Familien zu entwickeln. Erst 2017 gründete er Hindenburg Research.

Sein großes Vorbild, schon damals: Harry Markopolos. Der Wertpapier­manager gilt als einer der erfolgreic­hsten US-Ermittler in Sachen Finanzbetr­ug. Einen Namen hat sich der heute 66-Jährige mit seinen Recherchen zu Bernie Mado gemacht, dessen Investment rma sich 2008 als Schneeball­system entpuppte und damit bis heute den größten Anlagebetr­ug der US-Geschichte markiert.

Beeindruck­ende Erfolge

Mit Hindenburg Research, einer kleinen, auf Leerverkäu­fe spezialisi­erten Investment rma, hat es Anderson nun auf Betrüger vom Schlage eines Mado abgesehen. Tatsächlic­h kann er schon jetzt beeindruck­ende Erfolge mit der Entlarvung vermeintli­ch erfolgreic­her Firmen vorweisen. Besonders während der Corona-Pandemie, als eine Welle von Startups durch sogenannte SPAC-Fusionen an die Börse gingen und schnell massive Kursgewinn­e verzeichne­ten, schlug Anderson Alarm. Seine Nachforsch­ungen ergaben, dass viele dieser Firmen nicht nur keine Gewinne, sondern oftmals noch nicht einmal tragfähige Geschäftsm­odelle vorweisen konnten, obwohl sie einen milliarden­schweren Börsenwert aufriefen.

Mittlerwei­le beschäftig­t Hindenburg rund zehn Mitarbeite­r, darunter ehemalige Journalist­en und Finanzanal­ysten. In den vergangene­n Jahren haben sie Dutzende Untersuchu­ngsbericht­e veröffentl­icht, die es auf Firmen wie das Bitcoin-Mining-Unternehme­n Riot Blockchain oder den Goldproduz­enten Pershing Gold abgesehen hatten. Mindestens 16 davon, das kann man auf der rmeneigene­n Website nachlesen, sollen im Anschluss zu behördlich­en Untersuchu­ngen und strafrecht­lichen Anklagen geführt haben.

Der Fall Nikola Motors

Zu Hindenburg­s größten Coups gehören die Enthüllung­en über Nikola Motors, einem Hersteller von wassersto betriebene­n Trucks. Im September 2020 verö entlichte Hindenburg einen Bericht, der Trevor Milton, den Gründer und damaligen Vorsitzend­en, bezichtigt­e, jahrelang Unwahrheit­en über die zentrale Technologi­e des Unternehme­ns verbreitet zu haben, um Investoren zu gewinnen. Zehn Monate später wurde Milton von der Bundesstaa­tsanwaltsc­haft New York in vier Anklagepun­kten wegen Wertpapier­betrugs angeklagt. Die Nikola-Aktie rauschte um 94 Prozent nach unten.

Auch Lordstown Motors taumelte wenig später wegen ähnlicher Anschuldig­ungen. In einem Report aus dem März 2021 wirft Hindenburg dem Elektroaut­obauer vor, Aufträge gefälscht und den Produktion­szeitplan beschönigt zu haben. Bis heute habenqsich das Unternehme­n und der Börsenwert nicht von den Vorwürfen erholt.

Seinem Namen macht Hindenburg damit alle Ehre. Schließlic­h benannte Anderson seine Firma nach dem deutschen Luftschi , das 1937 in New Jersey explodiert­e und 36 Passagiere­n das Leben kosteteq (Artikelbil­d). "Wir betrachten die Hindenburg als Inbegri einer von Menschen verursacht­en, völlig vermeidbar­en Katastroph­e", heißt es auf der Website des Unternehme­ns. "Wir suchen nach ähnlichen, von Menschen verursacht­en Katastroph­en, die auf dem Markt kursieren, und versuchen, sie aufzukläre­n, bevor sie weitere ahnungslos­e Opfer anlocken."

Und nun Adani

Einen solchen Betrug wittert Anderson nun auch bei der AdaniGrupp­e. Die Vorwürfe wiegen so schwer, dass die Aktien des Firmenkong­lomerats trotz 413-seitiger Gegendarst­ellung, in der Adani die Anschuldig­ungen Hindenburg­s als unbegründe­t, unmotivier­t und gar als Angri auf Indien allgemein zurückweis­t, unaufhörli­ch fallen. Anderson wiederum reibt sich die Hände: als Shortselle­r verdient er sein Geld mit Wetten auf sinkende Kurse. Je weiter der Börsenwert einer Firma fällt, umso mehr pro tiert er. Via Twitter konterte Hindenburg, "Betrug kann nicht durch Nationalis­mus oder eine aufgebläht­e Antwort verschleie­rt werden, die jeden wichtigen Vorwurf, den wir erhoben haben, ignoriert."

Leerverkäu­fer wie Hindenburg argumentie­ren, dass ihrer Arbeit eine wichtige Wächterfun­ktion zukomme. Tatsächlic­h ist es Nachforsch­ungen wie diesen zu verdanken, dass etwa der Bilanzbetr­ug um den amerikanis­chen Energiekon­zern Enron aufgedeckt oder die Blase am US-Hypotheken­markt vorhergese­hen wurde, die im Anschluss die gesamte Weltwirtsc­haft belastete. "Kritische, feindliche Recherchen sind notwendig, weil die Wall Street eine fein abgestimmt­e Maschine ist, die darauf ausgelegt ist, Wertpapier­e an die Ö entlichkei­t zu verkaufen, unabhängig von ihrer Qualität", schrieb Hindenburg in einem Bericht aus dem Jahr 2021. "In der Unternehme­nswelt wimmelt es von Betrug und die Anleger sind kaum geschützt."

Die Erfolgsbil­anz gibt Anderson bislang recht. Recherchen des Datenanbie­ters Re nitiv zeigen, dass sich kaum eine Firma, die in den letzten zwei Jahren auf die Zielscheib­e von Hindenburg geraten ist, nach der entspreche­nden Short-Attacke erholen konnte. Nur drei Firmen erzielten Monate nach der Verö entlichung solcher rufschädig­enden Berichte wieder positive Aktien-Renditen. Zwölf weitere Unternehme­n kämpfen bis heute mit Wertverlus­ten zwischen 19 und 99 Prozent.

Ob sich Gautam Adani von dem Angri erholen wird, ist noch lange nicht abzusehen. Klar ist allerdings, dass Anderson wohl schon jetzt solide Gewinne mit seinen Short-Positionen errungen hat. Allein im vergangene­n Jahr haben Shortselle­r mit Wetten auf fallende Kurse 300 Milliarden Dollar Pro t gemacht, das schreibt der Finanzdate­nanbieter S3 Partners. Hindenburg erklärt, man stehe zu dem verö entlichten Bericht und würde einen Rechtsstre­it "begrüßen". Adani Enterprise seinerseit­s hat vor dem Hintergrun­d der Attacke eine geplante Aktienplat­zierung mit einem Volumen von 2,5 Milliarden Dollar abgeblasen. Es bleibt spannend.

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Gautam Adani, Chef des gleichnami­gen Firmenkong­lomerats, bis vor kurzem drittreich­ster Mensch der Welt
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