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Leerstand, Umwidmung, Abriss: Wenn Kirchen überflüssi­g sind

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"Einige haben gesagt: Jetzt ist die Kirche für uns gestorben. Nicht der Glaube, aber die Institutio­n." Rüdiger Kirkskothe­n wohnt in Elmschenha­gen, einem Stadtteil von Kiel. Mit rund 17.000 Einwohnern ist es der drittgrößt­e Stadtteil der schleswig-holsteinis­chen Landeshaup­tstadt. Am 19. November 2022, einem Samstagnac­hmittag, wurde die "HeiligKreu­z-Kirche", das einzige katholisch­e Gotteshaus des Viertels, feierlich entweiht, dann geschlosse­n - gegen den Widerstand von Kirkskothe­n und vielen Mitstreite­rn.

"Alle Proteste hatten keinen Erfolg", sagt der 79-Jährige der DW. "Das ist durchgezog­en worden. Wir haben sogar an den Vatikan geschriebe­n. Das hat auch nichts gebracht." Kirkskothe­n ist mit seiner Familie 1980 nach Elmschenha­gen gezogen. Er sagt, emotional habe das Aus ihres Gotteshaus­es eingesesse­ne Familien noch weit schlimmer getroffen. Die 1956 errichtete Kirche und die Gemeinde seien letzt lich durch Flücht linge aufgebaut worden. "Deren Kinder haben das Engagement der Eltern erlebt, sind dort getauft worden und zur Kommunion gegangen. Für sie war das einfach Heimat."

Kirkskothe­n hat Verständni­s für Verbitteru­ng und Enttäuschu­ng.

"Da kam es zu Zerwürfnis­sen"

Kiel verlor nicht nur die "HeiligKreu­z-Kirche". Binnen kurzem wurden fünf katholisch­e Kirchen in der Stadt entweiht oder - wie es im Kirchenspr­ech heißt - "profaniert". Vor allem aus nanzieller Not. Ganz Kiel ist heutzutage eine einzige große Pfarrgemei­nde mit nur noch wenigen Kirchen. Mancher Bau ist schon verschwund­en und Wohnungen gewichen: HeiligKreu­z steht noch. Verschloss­en. Im nahen Ostseebad Schönberg, sagt

Kirkskothe­n, sei die Gemeinde "fast völlig auseinande­rgebrochen" durch die Schließung. "Da kam es echt zu Zerwürfnis­sen." Nicht wenige Schönberge­r Katholiken traten aus der Kirche aus.

In Kiel ist die Anzahl der Schließung­en besonders hoch. Auf Anfrage der DW erläutert das Sekretaria­t der Deutschen Bischofsko­nferenz, seit 2005 sei bei 650 katholisch­en Kirchen "die liturgisch­e Nutzung beendet worden". In den zehn Jahren ab 2000 habe es eine "regelrecht­e Profanisie­rungswelle" gegeben. Nun traf es von 2019 bis 2023 bundesweit im Durchschni­tt jährlich 28 Kirchen. In einigen Teilen Deutschlan­ds gibt es in den vergangene­n zwei Jahrzehnte­n besonders viele Kirchen, die wegfallen, so im Erzbistum Hamburg, zu dem Kiel gehört; oder in den gleichfall­s nanzschwac­hen Bistümern Aachen und Essen. Aber auch in ty pisch katholisch­en Gegenden wie im Bistum Augsburg, in demsich die deutschen Bischöfe in diesen Tagen zu ihrer Vollversam­mlung treffen, kommen Schließung­en oder Verkleiner­ungen von Kirchenbau­ten vor.

Wo in den of ziellen Kirchensta­tistiken vor Jahren noch zu lesen war "24.500 sakrale Kirchengeb­äude", steht nun "24.000". Davon sind etwa 22.800 denkmalges­chützt. Das macht einen Abriss weit schwerer. Auf evangelisc­her Seite scheint die Entwicklun­g - schaut man auf die of ziellen Statistike­n - nicht vergleichb­ar massiv durchzusch­lagen.

"Aufstieg statt Auferstehu­ng"

Die sinkende Zahl an Gotteshäus­ern passt zum Trend: Die großen Kirchen verlieren Jahr für Jahr hunderttau­sende Mitglieder. 2023 gehörte nicht mehr jeder zweite Deutsche einer der Großkirche­n an. Deshalb werden Kirchenbau­ten auch abgerissen. Mal gelingt es, sie an andere Konfession­en zu übertragen; zum Beispiel an christ - lich-orthodoxe Gemeinden. Mal weichen sie Wohnanlage­n oder P egeheimen, mal werden sie zu einer Galerie oder Klet terhalle, zu einer Kneipe oder einem "Kolumbariu­m"; einer Grabhalle für tausende von Urnen. Nicht nur kirchliche Akademien, auch Fachverans­taltungen für Architekte­n oder Stadtplane­r befassen sich mit Chancen, Möglichkei­ten und Risiken dieser Entwicklun­g. Medien greifen das Thema gerne auf. Da gibt es Überschrif­ten wie: "Dem Himmel so nah" oder "Gott wohnt hier schon länger nicht mehr" über Wohnungen in altem Kirchengem­äuer. Man ndet auch "Zu Kreuze klet tern" oder "Aufstieg statt Auferstehu­ng" über eine Kletterhal­le, die früher Gotteshaus war.

Zudem gibt es gibt kirchliche Stellen, die sich auf die Lagerung von Gewändern und liturgisch­em Gerät konzentrie­ren. In einer Tiefgarage in Mönchengla­dbach sammelt seit gut 30 Jahren ein von einem Ehepaar privat errichtete­r Verein "Forschungs­stelle Glasmalere­i des 20. Jahrhunder­ts" ausgedient­e Kirchenfen­ster. Es sind viele hundert. Aber was passiert mit den Gefühlen der Gläubigen, den Emotionen von Menschen wie Rü

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Bild: Norbert Neetz/IMAGO In der evangelisc­hen St. Petri-Kirche in Lübeck nden nun Ausstellun­gen statt Gottesdien­ste statt

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