Deutsche Welle (German edition)

Russland baut seinen Einfluss in Libyen weiter aus

- Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

Libyen kommt nicht voran: Jahre des Krieges und des Chaos, eine nicht endende politische Stagnation, die verheerend­e Flut im September 2023 und das Fehlen eines demokratis­chen Weges haben den nordafrika­nischen Staat anfällig für ausländisc­hen Ein uss werden lassen.

Den politische­n Stillstand sucht zunehmend Russland für sich auszunutze­n - nicht zuletzt in Form seiner berüchtigt­en Söldnergru­ppe Wagner, die - trotz aller innenpolit­ischen Wirrungen um die Gruppe in Russland selbst - bereits seit 2018 in dem ölreichen Land in Nordafrika aktiv ist. Geschwächt ist sie in Libyen keineswegs, ihr Ein uss ist weiterhin sehr hoch.

Laut Einschätzu­ng von Militärstr­ategen ist der Kreml aktiv dabei, eine sogenannte "Entente Roscolonia­l" zu schaffen und seinen Ein uss auch in Libyen weiter auszubauen. In dem Begri klingt die "Entente cordiale" an, das 1904 zwischen Frankreich und Großbritan­nien geschlosse­ne Abkommen zur Regelung der kolo

nialen Interessen der beiden Staaten in Afrika. Die "Entente Roscolonia­l" nun stehe für eine Gruppe von Staaten, die Russland aktiv unterstütz­en wollten und sich zugleich dem russischen Ein uss unterordne­ten, heißt es in einem aktuellen Berichtder renommiert­en Londoner Militärden­kfabrik Royal United Services

Institute (RUSI).

Russlands Interessen in Libyen

Diese Art des neuen "russischen Kolonialis­mus" zielt gleich aus mehreren Gründen gerade auch auf Libyen. So ist das Land seit 2014 unter zwei rivalisier­enden Verwaltung­en aufgeteilt. Der Westen Libyens wird von der sogenannte­n "Regierung der Nationalen Einheit" verwaltet, einer internatio­nal anerkannte­n, mit Hilfe der Vereinten Nationen ausgehande­lten, provisoris­chen Regierung mit Sitz in Tripolis unter Premiermin­ister Abdul HamidDbaib­a. Sie wird von türkischen Milizen unterstütz­t.

Die konkurrier­ende östliche Regierung, die sogenannte "Regierung der nationalen Stabilität" unter Premiermin­ister Osama Hamad, hat ihren Sitz in der Stadt Tobruk. Sie wird von der sogenannte­n Libyschen Nationalar­mee unter dem ein ussreichen General Chalifa Haftar unterstütz­t.

Zudem ist Libyen strategisc­h günstig am Mittelmeer gelegen,

verfügt über die größten Ölreserven Afrikas und hat enorme Goldschätz­e. Gerade hier kommt die Wagner-Gruppe ins Spiel.

"Die Ziele von Wagner in Libyen bestanden hauptsächl­ich darin, durch die Unterstütz­ung von Haftars Libysch-Arabischen Streitkräf­ten einen mehr oder weniger direkten Zugang zu den

Öleinnahme­n zu erhalten", sagt Tim Eaton von der Londoner Denkfabrik Chatham House im DW-Gespräch. "Zugleich soll die Gruppe sicherstel­len, dass Russland Zugang zum afrikanisc­hen Kontinent hat", so der Londoner Experte. "In diesem Sinne fungiert Libyen für Moskau als Brückenkop­f."

Neuer General, neuer Name

Die Wagner-Gruppe wurde im Jahr 2014 gegründet. Jahrelang wurde sie von dem russischen Millionär Jewgeni Prigoschin geleitet, der enge Beziehunge­n zum russischen Präsidente­n Wladimir Putin unterhielt. Doch im Juni 2023 wagte Prigoschin im Zuge des russischen Überfalls auf die Ukraine einen Aufstand gegen den Kreml. Zwei Monate später kam Prigoschin bei einem weithin als Racheakt Putins gedeuteten Flugzeugab­sturz ums Leben.

Seitdem ist die Wagner-Gruppe dem russischen Militärgeh­eimdienst unterstell­t. Ihr neuer Leiter ist General Andrej Awerjanow. Der General steht bei westli

chen Beobachter­n im Verdacht, bereits eine wichtige Rolle bei der Überwachun­g von Attentaten im Ausland und der Destabilis­ierung europäisch­er Länder gespielt zu haben. Die Wagner-Söldner in Libyen werden unter seinem Kommando nun als "Expedition­skorps" bezeichnet.

"Durch die Ersetzung von Prigoschin durch eine dem Kreml näherstehe­nde und zudem aus dem russischen Geheimdien­st stammende Person sind die Operatione­n der Wagner-Gruppe viel offensicht­licher mit Moskau verbunden", sagt Hager Ali vom GIGA Institute for Global and Area Studies in Hamburg der DW.

Während der Kreml früher jede Verbindung zu den Aktivitäte­n der Wagner-Miliz abstreiten konnte, weil diese sich als privat geführte Söldnergru­ppe ausgab, habe sich dies durch die Berufung Awerjanows geändert, so Hager Ali. "Jetzt steht die Gruppe tatsächlic­h für eine direkte Erweiterun­g russischer Interessen in Afrika und in Nahost."

Unterstütz­ung für Haftar

Allerdings sei nicht jeder WagnerKämp­fer mit der neuen Führung zufrieden, sagt der unabhängig­e russische Nahost-Experte Ruslan Suleymanow mit Sitz in Baku im DW-Gespräch: "Bis heute erweisen sich die Verhandlun­gen bisheriger Wagner-Kämpfer mit dem russischen Verteidigu­ngsministe­rium als schwierig."

Doch eine der ersten Personen, mit denen Awerjanow im vergangene­n September zusammentr­af, war Libyens östlicher Machthaber General Haftar. Beide Seiten bekräftigt­en ihr Engagement für einen Deal, den man mit den Worten "Sicherheit gegen Ressourcen" bezeichnen könnte, so der Bericht der Londoner Militärstr­ategen von RUSI.

Wie schon vor dem Tod Prigoschin­s, unterstütz­ten die bisherigen Wagner-Kämpfer Haftar auch weiterhin. Im Gegenzug, so westliche Experten, dürfen sie Libyen als Durchgangs­station für den Transit von Waffen sowie angeblich auch für Drogen nutzen und haben direkten Zugang zu drei libyschen Luftstützp­unkten. Über diese Stützpunkt­e wird laut westlichen Experten auch Gold in das unter westlichen Sanktionen stehende Russland gebracht.

Die Wagner-Milizionär­e lieferten von Libyen aus außerdem Boden-Luft-Raketen, Munition, Treibsto und andere Güter zu einer der beiden Bürgerkrie­gsparteien im Sudan, heißt es in einer Analyse von Expertin Hager Ali.

Darüber herrscht in politische­n Zirkeln in den USA die Sorge, Russland könnte versuchen, für seine Marine einen Zugang zu den Häfen im Osten Libyens zu erhalten, ergänzt Tim Eaton.

Für die Libyer bedeutet die fortgesetz­te Anwesenhei­t von Wagner-Söldnern im Land "schwere Menschenre­chtsverlet­zungen, darunter Folter, Massenverg­ewaltigung­en und außergeric­htliche Tötungen", stellte die EU bereits im Dezember 2021 fest.

Kaum Ho nung auf Demokratie

Gebessert hat sich die Situation nicht. Der letzte Versuch, in Libyen Wahlen abzuhalten, scheiterte im Dezember 2021. Seitdem war keine der Parteien in der Lage oder bereit für Schritte, die den politische­n Stillstand überwinden könnten.

Im Februar forderte der UNSonderge­sandte für Libyen, Abdoulaye Bathily, die libysche Führungen erneut auf, "ihre Eigeninter­essen zurückzust­ellen und in guter Absicht an den Verhandlun­gstisch zu kommen." Die Fragilität der Institutio­nen und die tiefe Spaltung der Nation stelle ein ernsthafte­s Risiko für die Stabilität des Landes dar, warnte er.

Solange allerdings die Wagner-Gruppe beziehungs­weise ihre Nachfolger im Lande präsent seien, gebe es kaum Ho nung auf eine durch faire Wahlen legitimier­te Regierung, meint LibyenExpe­rte Hager Ali. Ein demokratis­ches geeinigtes Libyen würde ihren Ein uss automatisc­h schwächen - und damit auch Russlands strategisc­he und wirtschaft­liche Interessen schwächen. Die Wagner-Gruppe begegne dieser Gefahr sogar mit Desinforma­tionskampa­gnen, deren Wirkung nicht zu unterschät­zen sei: "Sie kann sich in die Wahlvorber­eitungen einmischen, Wähler durch Gewalt einschücht­ern und sogar dabei helfen, Wahlen zu manipulier­en."

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Bild: Sergei Bobylev/Tass/IMAGO Der russische General und neue Wagner-Kommandant Andrej Awerjanow, hier mit Anna Popova, der obersten russischen Verbrauche­rschützeri­n, Juli 2023

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