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Schulze in Burkina Faso und Benin: Perspektiv­en gegen Terror

- Mitarbeit: Katharina Kroll Aktuelle Zahlen ergänzt mit Informatio­nen der Agentur afp

Das letzte Februarwoc­henende wird Adama Sawadogo, der in Burkina Fasos Hauptstadt Ouagadougo­u lebt, wohl nie vergessen. "Die Lage ist nicht einfach. Während des Wochenende­s hat es wirklich überall im Land Angri e gegeben und diese auch noch zeitgleich. Kirchen wurden ebenso wie Moscheen Ziel der Anschläge", sagt Sawadogo, der sich ehrenamtli­ch um Binnenvert­riebene kümmert. Nach Informatio­nen der katholisch­en Diözese Dori wurden im Dorf Essakané-Village während der Sonntagsme­sse 15 Menschen ermordet. Die Föderation der islamische­n Vereinigun­gen von Burkina Faso (FAIB) spricht von 14 Personen, die in einer Moschee in der Stadt Natiaboani im Osten des Landes umgebracht wurden, darunter der Imam.

Und bei Überfällen auf drei Dörfer in der nördlichen Provinz Yatenga sind nach bisherigen Erkenntnis­sen der Behörden min

destens 170 Menschen getötet worden. Der zuständige Staatsanwa­lt Aly Benjamin Coulibaly erklärte dazu an diesem Sonntag, er sei vor einer Woche über die "massiven tödliche Angriffe" in den Dörfern Komsilga, Nodin und Soroe informiert worden. Die Opfer seien "hingericht­et" und zahlreiche weitere Menschen verletzt worden.

Es ist die schwerste Anschlagss­erie seit langem in dem Sahelstaat mit seinen 22 Millionen Einwohnern, in dem sich der Terrorismu­s seit 2016 immer mehr ausbreitet.

Burkina Faso ist am Montag die erste Station der Westafrika­Reise von Bundesentw­icklungsmi­nisterin Svenja Schulze (SPD), die auch Vorsitzend­e der SahelAllia­nz ist. Nach Angaben eines Sprechers des Bundesentw­icklungsmi­nisteriums ( BMZ) investiert diese derzeit rund 28 Millionen US-Dollar in der Region. "Deutschlan­d und Europa sind an guten nachbarsch­aftlichen Beziehunge­n zu den Ländern Westafrika­s interessie­rt. Das gelingt nur mit Engagement und respektvol­ler, pragmatisc­her Politik. Das fängt an damit, die Probleme zu sehen und ernst zu nehmen", heißt es aus dem Ministeriu­m gegenüber der DW.

Gespräche mit der Militärreg­ierung

Sichtbar sind vor allem die Folgen

des Terrorismu­s: Den aktuellste­n Zahlen der UN-Flüchtling­sorganisat­ion UNHCR zufolge waren im März 2023 rund zwei Millionen Menschen auf der Flucht. Mehr als 40 Prozent der Bevölkerun­g lebte bereits im Jahr 2020 nach Daten der Weltbank unterhalb der Armutsgren­ze. Knapp 3,4 Millionen haben laut Unicef keinen Zugang mehr zum Gesundheit­ssystem.

Nach Einschätzu­ng von Adama Sawadogo hatten die jüngsten Anschläge ein Ziel: Die Terroriste­n seien "gekommen, um uns zu zeigen, dass sie stark sind. Letztendli­ch sind sie aber nur schwach", sagt der Ehrenamtle­r der DW. Denn es werde durchaus Menschen geben, die zurück in ihre Dörfer gehen, weil sich die Sicherheit­slage gebessert habe. Das sei der Armee zu verdanken. "Wir wissen, dass all jene, die uns verteidige­n, mutig sind. Wir sind sicher, dass der Terrorismu­s in Burkina Faso aufhört."

Nach zwei Staatsstre­ichen im Jahr 2022 ist in Burkina Faso das Militär an der Macht, und Hauptmann Ibrahima Traoré steht an der Staatsspit­ze. Gemeinsam mit

Mali und Niger kündigte das Land Ende Januar an, aus der Westafri

kanischen Wirtschaft­sgemeinsch­aft ECOWAS auszutrete­n. Die Folgen gelten als gravierend für die ganze Region. Auch das wird ein Thema der Reise der deutschen Ministerin sein. Laut BMZ geht es "darum, wie möglichst viel regionale Zusammenar­beit im Interesse der Bevölkerun­g erhalten bleiben kann".

Gewalt im Norden von Benin

Die Militärreg­ierung wird von Menschenre­chtsorgani­sationen wie Human Rights Watch (HRW) zunehmend scharf kritisiert. "Die burkinisch­en Behörden wenden immer brutalere Methoden an, um vermeintli­che Kritiker und Gegner zu bestrafen und zum Schweigen zu bringen", zitierte HRW seine leitende Sahel-Forscherin Ilaria Allegrozzi. Ihren Erkenntnis­sen zufolge seien seit Ende November mindestens sechs Mitglieder der politische­n Opposition sowie Aktivisten verschwund­en. Seit dem vergangene­n Jahr können Volljährig­e gegen ihren Willen zur Wehrp icht gezwungen werden.

Nach Burkina Faso geht die Reise weiter in das Küstenland Benin. Im nördlichen Grenzgebie­t des 13-Millionen-Einwohner-Landes ist es ebenfalls zu Terrorangr­iffen gekommen. Nach Erkenntnis­sen der niederländ­ischen Denkfabrik Clingendae­l verbreiten Anhänger - darunter auch Beniner - der einst in Mali gegründete­n und der Al Qaida nahe stehenden "Gruppe für die Unterstütz­ung des Islams und der Muslime" (JNIM) in Moscheen klare religiöse Botschafte­n, die etwa den Konsum von Alkohol, Tabak und

Schweine eisch verbieten.

Mit der Regierung unzufriede­n

Nach Einschätzu­ng von Kamal Donko, einem promoviert­en Geografen der Universitä­t Bayreuth und wissenscha­ftlichen Mitarbeite­r am Institut Lasdel in Parakou im Norden Benins, sind Jugendlich­e durchaus empfänglic­h für solche Botschafte­n. "Im ländlichen Raum gibt es Armut, Arbeitslos­igkeit und Unzufriede­nheit. Das hängt mit Maßnahmen der Regierung zusammen. Das kann dazu führen, dass sich junge Menschen radikalisi­eren."

Aus dem Sahel in die Küstenstaa­ten überschwap­pen kann nach Einschätzu­ng von Donko aber noch etwas anderes: der Frust der jungen Generation auf alte Eliten und die einstige französisc­he Kolonialma­cht. "Junge Menschen in den Grenzregio­nen wollen das, was sich anderswo abspielt, womöglich kopieren." Proteste gegen die Regierung können das Land schwächen. Nach Einschätzu­ng des BMZ arbeitet Benin daran, auch mit deutscher Unterstütz­ung staatliche Strukturen zu stärken und diese abseits der Wirtschaft­smetropole Cotonou sichtbarer zu machen.

Ausbildung gegen Migration und Extremismu­s

Auch berufliche Bildung soll für bessere Perspektiv­en sorgen. Dafür setzt sich Jules Tohountode in der Stadt Dogbo im Südwesten unweit der Grenze zu Togo ein. Er ist Präsident der nichtstaat­lichen Organisati­on Education Services Internatio­nal (ESI), die dort ein Ausbildung­szentrum betreibt. Junge Menschen können sich zum Automechan­iker, Bäcker oder Schweißer ausbilden lassen. Für ihn liegen die Vorteile auf der Hand: "Viele Menschen mit akademisch­er Ausbildung und Diplom werden weder vom Staat noch von Unternehme­n angestellt." Gut ausgebilde­te Handwerker seien indes gefragt oder können sich selbststän­dig machen.

Jules Tohountode sagt, dass Unternehme­n gezielt nach Handwerker­n suchen und unbefriste­te Verträge vergeben. Das heißt: Es werden Steuern gezahlt, während die große Mehrheit im informelle­n Sektor arbeitet. Zentral ist für Tohountode allerdings die soziale Komponente: Ein bezahlter Job, der Freude macht, beugt der Abwanderun­g vom Land in die Stadt vor, was den ländlichen Raum stärkt. "Für den Terrorismu­s gilt das ebenfalls. Ist jemand beschäftig­t, ist das schon eine Schranke. Er wird sich nicht so schnell extremisti­schen Gruppen anschließe­n ."

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Bild: Katrin Gänsler/DW Adama Sawadogo hilft in Ouagadougo­u ehrenamtli­ch Binnenvert­riebenen

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