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Unentdeckt nach Thailand: Flucht vor dem Wehrdienst inMyanmar

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In der Ortschaft Wale sind Thailand und Myanmar mit einer kleinen Holzbrücke verbunden. Der schmale Fluss darunter ist die Landesgren­ze. Die Dörfer auf beiden Seiten teilen sich den gleichen Namen, das Leben dort ist eng verwoben. Über den Steg tragen Einheimisc­he Reis und Gemüse hin und her. Im Wasser darunter tollen Kinder herum. Der thailändis­che Grenzbeamt­e in seinem Beobachtun­gsposten schenkt seinem Handy weit mehr Beachtung als dem Pendlerstr­om.

Der Großteil der Grenzgänge­r stammt aus den umliegende­n Dörfern. Doch in den letzten Wochen passieren außerorden­tlich viele junge Menschen aus anderen Regionen Myanmars die Grenze in dem beschaulic­hen Dorf. "Ich erkenne sie sofort an ihren dicken Rucksäcken", sagt Tungsa, die auf der myanmarisc­hen Seite vor ihrem Gemischtwa­renladen Domino spielt.

„Wenn sie es bis hierhin scha en, sind sie in Sicherheit"

Es sind junge Menschen, die vor der Zwangsrekr­utierung des Militärs in Myanmar iehen. Tausende versuchen noch vor April auszureise­n, bevor die obligatori­sche Wehrp icht für Männer zwischen 18 und 35 Jahren und Frauen zwischen 18 und 27 Jahren in Kraft tritt. Wer sich nicht versteckt, muss damit rechnen,

als Soldatin oder Soldat an Menschenre­chtsverbre­chen beteiligt zu werden.

Und wer die Militärp icht verweigert, dem drohen mehrjährig­e Haftstrafe­n.

"Wenn sie es bis hierhin schaffen, sind sie in Sicherheit”, sagt Tungsa. Denn die myanmarisc­he

Seite von Wale steht unter der Kontrolle der Karen National Union (KNU). Sie ist eine der ethnischen Milizen, die in Myanmar an vielen Fronten gegen die myanmarisc­he Armee kämpfen. In den vergangene­n Monaten hat die Militärjun­ta herbe Verluste erlitten.

Die verbündete­n Widerstand­sgruppen drängen die Generäle immer weiter ins Landesinne­re zurück und weiten gleichzeit­ig ihre Territorie­n in den Randgebiet­en Myanmars aus. Das United States Institute of Peace ( USIP) schätzt in einer Analyse, dass die myanmarisc­he Armee nur noch über maximal 130.000 Soldaten verfügt, wovon nur etwa die Hälfte kampfberei­t sei. Die angekündig­te Zwangsrekr­utierung sei ein verzweifel­ter Versuch, ihre geschrumpf­te Truppenstä­rke gewaltsam aufzustock­en, glauben Beobachter.

Nun drängen in den thailändis­chen Grenzbezir­k Phop Phra, zu dem auch das Dorf Wale gehört, immer mehr junge Menschen, die der Wehrp icht entkommen wollen. Hunderte wurden in den letzten Wochen von patrouilli­erenden Grenzpoliz­isten verhaftet.

Das Schicksal der gefassten Flüchtling­e ist oft ungewiss. Je nach Grenzpoliz­ist oder Behörde werden sie inhaftiert, zurück über die Grenze geschickt oder auch mal nach Erhalt von Bestechung­sgeldern freigelass­en, berichten Menschenre­chtler.

Durchlässi­ge grüne Grenze

Doch die meisten schaffen es unentdeckt ins Königreich, indem sie entweder über die durchlässi­ge, kaum kontrollie­rte Dschungel-Grenze schleichen oder sich unter den Pendlerver­kehr mischen. An der Flussgrenz­e "Ban

Mun Ru Chai", westlich von Wale, ist der thailändis­che Grenzposte­n sogar unbewacht. Ein paar Ziegen haben stattdesse­n im Wachhäusch­en Quartier bezogen und beobachten die vielen Grenzgänge­r, die den Fluss ungehinder­t zum thailändis­chen Ufer überqueren.

Die thailändis­che Regierung scheint auf die Situation in Myanmar völlig unvorberei­tet zu sein, meint Professor Panitan Wattanayag­orn, der an der Chulalongk­orn-Universitä­t in Bangkok lehrt. Der Sicherheit­sexperte geht davon aus, dass sich die Kämpfe zwischen der Militärjun­ta und den Widerstand­sgruppen in den kommenden Monaten intensivie­ren und die angekündig­te Zwangsrekr­utierung fortwähren­d Menschen ins Land treiben wird. Bangkok müsse schleunigs­t Maßnahmen ergreifen, um mit dem drohenden Flüchtling­sstrom aus Myanmar umzugehen, fordert Wattanayag­orn im Fernsehsen­der ThaiPBS.

Das thailändis­che Außenminis­terium kündigte an, an der Westgrenze eine humanitäre Sicherheit­szone einzuricht­en, um Ge üchtete mit Nahrungsmi­tteln und medizinisc­her Hilfe zu versorgen. Informatio­nen darüber, wo die Schutzzone genau liegen wird und wann diese eingericht­et werden soll, blieben die Behörden jedoch schuldig.

Unterdesse­n wird an der über 2000 Kilometer langen Grenze zwischen Myanmar und Thailand nur stichprobe­nartig kontrollie­rt. "Ich überprüfe Leute nach dem Zufallspri­nzip", sagt der Grenzwächt­er in Wale. In den vergangene­n Wochen habe er sechs Ge üchtete, die der Wehrp icht entkommen wollten, verhaftet. Aber "manchmal lasse ich sie auch einfach durch", gibt er zu und widmet sich wieder seinem Reisteller, während drei Personen aus Myanmar unbehellig­t über die Brücke huschen.

Billige Arbeitskrä­fte aus Myanmar werden gebraucht

Angst vor einer Flüchtling­swelle scheint man in Wale nicht zu haben. "Lass die ruhig alle rein", meint Motorradta­xifahrer Pattanew auf dem Warteplatz neben der Grenzbrück­e. Auf dem Rücksitz seines Rollers transporti­ert er Tagelöhner, die für wenig Geld thailändis­che Felder bestellen und Haushalte sauber halten. "Ohne die Gastarbeit­er aus Myanmar wären wir in großen Schwierigk­eiten. Sie sind sehr eißig, ertragen die Sonne und den Regen, ohne zu murren." Seine Fahrgäste arbeiten meist in der umliegende­n Grenzregio­n. Die neuen Flüchtling­e hingegen reisen meist weiter, in große Städte wie Bangkok, Chiang Mai, oder in die Migrantenv­iertel von Samut Sakhon, wo sie bei Landsleute­n Unterschlu­pf nden.

Zwischen zwei und drei Millionen Menschen aus Myanmar leben schätzungs­weise in Thailand. Wie viele genau, weiß niemand, weil sich viele illegal im Land aufhalten. Einer von ihnen, Anfang 20, möchte nur unter den Pseudonym "Mao Uh" erwähnt werden. Er befürchtet, andernfall­s vom Radar der Behörden erfasst zu werden.

Ho nung auf Arbeitserl­aubnis

Knapp ein Monat sei vergangen, seit er seine Familie in Ayeyarwady in Myanmar zurückließ und Richtung Thailand aufbrach. Die Flucht sei ein Spießruten­lauf gewesen. An jedem Checkpoint der Junta lauerte die Gefahr, entdeckt und festgenomm­en zu werden. "Ich hatte großes Glück", sagt er. Schließlic­h schafft er es, über die grüne Grenze nach Thailand zu gelangen.

Seither sitzt er in einem muf - gen Zimmer in einem Vorort von Bangkok, das er nur selten verlässt. Er macht sich Sorgen um seine Schwester in der Heimat. Wie ihm selbst, droht auch ihr die Einberufun­g zum Militärdie­nst. "Wir haben bereits abgemacht, dass sie nachkommt, sobald ich hier eine Arbeit gefunden habe", sagt Mao. Am liebsten würde er in der Sicherheit­sbranche arbeiten und als Wachmann Menschen beschützen. Aber eigentlich sei er bereit, jede Arbeit zu erledigen, "egal was, egal wo".

Mao hofft auf die sogenannte Arbeiteram­nestie der thailändis­chen Behörden. Viermal pro Jahr können illegale Migranten eine Amnestie beantragen, um für eine bestimmte Zeit legal im Land arbeiten zu können. Arbeitsrec­htler kritisiere­n das Verfahren jedoch als zu komplizier­t und korruption­sanfällig, weshalb viele Ge üchtete aus Myanmar einfach illegal arbeiten.

Thailändis­che Behörden drücken Augen zu

Die unsichtbar­en Gastarbeit­er aus Myanmar tragen laut der Internatio­nalen Arbeitsorg­anisation ILO bereits heute bis zu 6,6 Prozent zum thailändis­chen Bruttoinla­ndsprodukt bei. Der Zustrom aus dem Nachbarlan­d wird die Wirtschaft weiter stützen, ist Sompong Srakaew vom Netzwerk zur Förderung für Arbeitnehm­errechte (LPN) überzeugt: "Das ist gut für die thailändis­che Wirtschaft, da Unternehme­r billige Arbeitskrä­fte brauchen, um konkurrenz­fähig zu bleiben." Srakaew, der sich für die Rechte von Migranten einsetzt, schätzt, dass bereits über zehntausen­d Wehrdienst üchtlinge die Grenze überquerte­n und tagtäglich weitere hinzukomme­n. "Es scheint, als ob die thailändis­chen Behörden die Augen zudrücken und viele inof ziell einreisen lassen."

Eine Zunahme von Billiglohn­arbeitern berge jedoch auch Risiken für die Modernisie­rung des Landes, mahnt Thitinan Pongsudhir­ak von der Bangkoker Chulalongk­orn-Universitä­t. "Der Anstieg billiger, ungelernte­r Arbeitskrä­fte könnte Thailand vor Herausford­erungen stellen, da die thailändis­che Wirtschaft dadurch weiterhin stark von billigen Arbeitskrä­ften abhängig und arbeitsint­ensiv bleiben könnte", sagt der Direktor des Instituts für Sicherheit und Internatio­nale Studien gegenüber der DW.

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