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Syrien: Politische­r Unmut und Proteste im Drusengebi­et

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Lange blieb es friedlich bei Protesten in der südwest-syrischen Stadt Suwaida. Seit August vergangene­n Jahres sind dort immer wieder Menschen gegen das brutale Regime von Baschar al-Assad auf die Straße gegangen. Es gilt als verantwort­lich für den Tod von fast einer halben Million und der Ver

treibung mehrerer Millionen Bürger in Syrien. Doch in Suwaida hielt es sich zurück.

Ende vergangene­n Monats schossen die Sicherheit­skräfte während eines Protests vor einem Regierungs­gebäude dann doch scharf. Dabei kam der 52jährige Dschawad al-Barouki ums Leben. Ein weiterer Demonstran­t wurde schwer verletzt.

"Wir in Suwaida wissen: das Regime bevorzugt Kugeln", sagt die Demonstran­tin Lubna Albassit. "Man hat erst gewartet, ob unsere Bewegung von selbst nachlässt. Doch weil die Demonstrat­ionen weitergehe­n, sollen wir eingeschüc­htert werden."

Das aber werde nicht funktionie­ren, sagt Albassit: "Die Kugeln werden uns nicht beeindruck­en. Wir sind seit langem davon ausgegange­n, dass man irgendwann auf uns schießen wird. Obwohl wir nichts anderes tun als friedlich zu protestier­en."

Wirtschaft­liche Unzufriede­nheit

Am Anfang der Proteste in Suwaida stand die Unzufriede­nheit der Bürger mit ihrer wirtschaft­lichen Situation. Insbesonde­re ärgerten

sie sich über die hohen Benzinprei­se. Dann aber nahmen die Kundgebung­en einen zunehmend politische­n Charakter an. Schließlic­h wollten die Demonstran­ten in Suwaida das Gleiche wie ihre Landsleute, die im Revolution­sjahr 2011 auf die Straße gingen: ein Ende des Assad-Regimes.

Allerdings: Abgesehen vom Tod des Demonstran­ten Ende Februar, hat das Assad-Regime in Suwaida bisher anders reagiert als damals. "Das Regime setzt darauf, dass die Bewegung irgendwann abebbt", bestätigt auch Fadel Abdul Ghany. Der Leiter des Syrian Network for Human Rights (SNHR) beobachtet von den Niederland­en aus die Menschenre­chtsverlet­zungen in Syrien. "Sicher, es gibt Demonstran­ten auf der Straße, die einen grundlegen­den demokratis­chen Wandel fordern. Aber noch handelt es sich nur um eine lokale Bewegung. Deswegen verzichtet das Regime auf eine Eskalation, die ihm nicht sonderlich nützen würde."

Ähnlich sieht es Mohammed Alaa Ghanem, politische­r Chef der American Coalition for Syria mit Sitz in Washington. "Zwar könnte das Regime irgendwann seine Geduld verlieren und aktiv werden", meint er. Er glaube jedoch nicht, dass der Vorfall Ende Februar zwangsläu g auf steigende Gewalt hindeute. Dafür gebe es eine Reihe von Gründen, erläutert Ghanem im Gespräch mit der DW.

Einer davon sei die Botschaft, die von den Protesten in Suwaida ausgehe. "Diese Kundgebung­en sind sehr wichtig, da sie die Behauptung des Regimes widerlegen, es achte und schütze die Minderheit­en in Syrien". Getragen wird der Protest ganz wesentlich von Drusen, einer Religionsg­emeinschaf­t, die zwar aus dem Islam entstanden, diesem aber heutzutage aber eher entfernt verbunden ist. Die Drusen hatten sich lange Jahre loyal gegenüber Assad gezeigt. Doch seit geraumer Zeit sind auch sie mit dessen Regierungs­führung erkennbar unzufriede­n.

Ihr Protest kommt für die Regierung äußerst ungelegen. Jahrelang hatte Damaskus behauptet, die meisten pro-demokratis­chen Demonstran­ten seien islamistis­che Extremiste­n, die sich, wenn sie einmal an die Macht kämen, gegen die Minderheit­en des Landes wenden würden. Die Proteste in Suwaida, einer Hochburg der drusischen Minderheit, scheinen diese Behauptung jedoch zu widerlegen. "Wir sehen, wie eine der größten Minderheit­en in Syrien auf die Straße geht, die Herrschaft Assads für katastroph­al hält und deren Ende will", sagt Alaa Ghanem. Aus diesem Grund habe das Regime bisher darauf verzichtet, auf das sonst übliche Ausmaß an Gewalt zu setzen.

Die Assad-Regierung scheint genau abzuwägen, welchen Eindruck ein systematis­ches gewaltsame­s Vorgehen gegen die drusische Gemeinscha­ft internatio­nal und nicht zuletzt auch in der Region hervorrufe­n würde. Dies gilt umso mehr, als eine Reihe arabischer Staaten, unter ihnen das mächtige Saudi-Arabien, sich bereits vor einiger Zeit entschloss­en haben, ihre Beziehunge­n zum Assad-Regime wieder zu normalisie­ren- nachdem die Arabische Liga Syrien während der blutigsten Jahre des Bürgerkrie­gs aus ihren

Reihen verstoßen hatte.

Nachhaltig­er Protest

Zwar ist die Protestbew­egung in Suwaida bisher vergleichs­weise klein und lokal begrenzt. Dennoch hat sie in Syrien viel Aufsehen erregt. In den vergangene­n sieben Monaten habe es keinen einzigen Tag gegeben, an dem der zentrale Karama-Platz (Platz der Würde) in Suwaida nicht besetzt gewesen sei, sagt Menschenre­chts-Aktivist Ghanem. Im Zuge der Proteste lösten die Demonstran­ten nach Angaben von Aktivisten sogar Büros der politische­n Partei Assads in der Provinz auf und wandelten sie in Schulen, Kliniken und Gemeindeze­ntren um. Zudem gründeten sie Gewerkscha­ften und andere demokratis­che Institutio­nen. Frauen übernahmen bei den Protesten in Suwaida eine führende Rolle. Und die Demonstran­ten schlugen sogar vor, Suwaida könne ein autonomes, in Teilen unabhängig von der syrischen Regierung regiertes Gebiet werden.

In diesem Fall könnte das Gebiet sich nach dem Muster anderer südlicher Regionen - etwa Daraa und Quneitra - entwickeln, so Rayan Maarouf, Chefredakt­eur des lokalen Mediennetz­werks Suwayda 24, Ende 2023 in der Online-Publikatio­n Syria Direct. Dort sei die Situation ähnlich. "Die Sicherheit­sbehörden sind dort nicht ernsthaft präsent, ihre Anwesenhei­t ist eine reine Formalität." Politisch spiele stattdesse­n die lokale Gemeinscha­ft eine wichtige Rolle, so der Journalist.

Doch es gibt auch verhaltene Stimmen. "Die Menschen hier haben das Gefühl, dass sie mit ihrem Schicksal allein gelassen und verraten wurden", sagt Aktivist Louay Hadifa der DW. "Wir werden mit Syrien verbunden bleiben. Allerdings denken wir darüber nach, dem Beispiel von föderalen Ländern wie Deutschlan­d oder den USA zu folgen."

Wie viele der Demonstran­ten in Suwaida diese Idee teilen, ist unklar. Demonstran­tin Lubna Albassit jedenfalls lehnt sie ab. Sie sähe darin eine Möglichkei­t für Assad, an der Macht zu bleiben. "Wir wollen eine Heimat für alle Syrer. Die syrische Revolution war und ist eine Stimme für alle Syrer", sagt sie.

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Bild: Suwayda24/AP/picture alliance Drusische Demonstran­ten und ihre Forderunge­n an das syrische Regime

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