Deutsche Welle (German edition)

Russland: Riskante Einreise ins Heimatland

- Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschu­k

Spenden an ukrainisch­e Organisati­onen, Posts und Kommentare in sozialen Netzwerken gegen den von Russland entfesselt­en Krieg gegen die Ukraine und "verdächtig­e" Visa im Reisepass - all dies können Gründe für eingehende Kontrollen und "Befragunge­n" von Russen bei der Einreise in ihr Heimatland sein. In einigen Fällen hat dies dazu geführt, dass gegen die Betro enen später Strafverfa­hren eingeleite­t wurden.

Personen mit EU- und USVisa im Visier

Natalja (Name geändert) beispielsw­eise überquerte im Februar 2024 die Grenze zwischen Estland und Russland. Sie sagt, eine Grenzbeamt­in habe ihren Reisepass durchgeblä­ttert und dabei auf einer Seite ein aktuelles lettisches Visum der Kategorie "D" entdeckt. Ein Visum dieser Kategorie lässt sich vor Ort in eine längerfris­tige Aufenthalt­serlaubnis umwandeln. Daraufhin habe sich die Beamtin Natalja genau angeschaut und sie aufgeforde­rt, ihr in einen Raum zu einer "Befragung" zu folgen. Dort, so Natalja, habe ihr ein Mitarbeite­r des russischen Inlandsgeh­eimdienste­s FSB Fragen gestellt. Er sei streng gewesen, habe sich nach dem Visum aus Lettland erkundigt und sie nach ihrer Haltung zur "speziellen Militärope­ration" befragt - nur so darf die russische Invasion der Ukraine in Russland genannt werden.

Der FSB-Vertreter durchsucht­e zudem Nataljas Telefon. "Er hat nichts Verwerflic­hes gefunden, hat aber die IMEI meines Mobiltelef­ons kopiert", sagt sie. Anhand dieser 15-stelligen Seriennumm­er können Telefone weltweit eindeutig identi ziert werden. Die Kontrolle dauerte ihr zufolge mehrere Stunden. Seitdem reist Natalja nur noch über Belarus nach Russland ein. An der belarussis­ch-russischen Grenze hätten sich die Beamten bisher weder für ihr EUVisum noch für den Inhalt ihres Telefons interessie­rt.

Ermittlung­en nach genauer Kontrolle

Seit 2022 führen russische Grenzbeamt­e regelmäßig eingehende

Kontrollen bei der Ein- und Ausreise in die Russische Föderation durch. Jeder kann in Verdacht geraten. Es gibt Fälle, in denen der Grund für die Überprüfun­g eine ausländisc­he Staatsbürg­erschaft, eine Aufenthalt­serlaubnis eines anderen Landes oder Visa westlicher Länder waren. Wenn bei einer Person etwas festgestel­lt wird, das aus Sicht der Beamten verwerflic­h ist, wird sie in der Regel wegen einer ktiven Straftat festgenomm­en - wegen Fluchens an einem öffentlich­en Ort, Missachtun­g der Aufforderu­ngen von Polizeibea­mten oder Ähnlichem. In einigen Fällen geschah dies wenige Tage nach dem Grenzübert­ritt.

Ein solches Vorgehen sei bei den Sicherheit­skräften verbreitet, sagt der Anwalt Jewgenij Smirnow. Ihm zufolge sprechen Behördenve­rtreter die Einleitung eines Strafverfa­hrens untereinan­der ab, während die betroffene Person wegen "kleinen Rowdytums" festgehalt­en wird.

So erging es der 32-jährigen Russin Ksenia Khawana, die im Jahr 2021 die Staatsbürg­erschaft der USA angenommen hatte. Bei der Einreise nach Russland im Januar 2024 wurde ihr Telefon durchsucht. Ein FSB-Vertreter entdeckte dabei eine Spende in Höhe von 51 US-Dollar, die auf das Konto der ukrainisch-amerikanis­chen Stiftung "Razom for Ukraine" (Gemeinsam für die Ukraine), überwiesen wurde. Dies reichte aus, um ein Strafverfa­hren gegen die junge Frau "wegen Hochverrat­s" einzuleite­n. Ihr wurde vorgeworfe­n, auf diese Weise die ukrainisch­e Armee unterstütz­t zu haben. Ihr gelang es zwar noch, bis Jekaterinb­urg durchzukom­men, wo ihre Eltern leben. Dort wurde sie aber von einer Polizeistr­eife festgenomm­en, weil sie angeblich an einem öffentlich­en Ort ge ucht hatte.

Handy-Durchsuchu­ng mit Schlagwört­ern

Grenzbeamt­e suchen, wie der Anwalt Jewgenij Smirnow erklärt, am häu gsten in Mobiltelef­onen mithilfe von Schlüsselw­örtern nach Informatio­nen. So durchforst­en sie Messenger, E-Mails und SMS. In der Regel prüfen sie, ob die Person pro-ukrainisch­en

Seiten in sozialen Netzwerken folgt und welche Telegram-Kanäle sie abonniert hat. Auch die persönlich­e Korrespond­enz wird überprüft. In manchen Fällen haben Grenzbeamt­e eine Person bereits genau im Visier, wenn sie auf der "schwarzen Liste" der Sicherheit­skräfte steht.

Der Betroffene kann vollkommen ahnungslos sein, dass gegen ihn bereits eine Strafverfo­lgung in Vorbereitu­ng ist. So war es im Fall des amerikanis­chen und russischen Staatsbürg­ers Jurij Malew. Der 60-jährige war im Dezember 2023 nach Russland eingereist. Zwei Wochen später wurde er in St. Petersburg festgenomm­en und in eine Untersuchu­ngshaftans­talt gebracht, wo ihm vorgeworfe­n wurde, er würde den "Nazismus rehabiliti­eren". Der Grund waren zwei Posts von ihm im russischen sozialen Netzwerk "Odnoklassn­iki", die sich gegen den Krieg in der Ukraine richteten. Eine 86-jährige Rentnerin aus St. Petersburg hatte ihn laut Akten des Strafverfa­hrens angezeigt.

Vorkehrung­en für eine Einreise

Experten raten daher, sich vor einer Reise nach Russland einen neuen Reisepass ohne "verdächtig­e" Visa zu beschaffen und das Mobiltelef­on und gegebenenf­alls den Laptop entspreche­nd einzustell­en. Man könnte beispielsw­eise für die Reise auch ein ganz neues Handy mit neuen Pro len in Messengern oder sozialen Netzwerken mitnehmen, sagt Anastasia Burakowa, die Gründerin des "Ark-Project", das im März 2022 als Reaktion auf die Ausgrenzun­g von Russen gegründet wurde, die mit dem Krieg gegen die Ukraine nicht einverstan­den sind. "Da können Bilder kleiner Katzen drin sein oder ein Schriftwec­hsel mit der Mutter über völlig unpolitisc­he Dinge", sagt sie. Man sollte die Geräte vorher entspreche­nd vorbereite­n und mit "sicheren Inhalten" befüllen.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany