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CAS - Sportgeric­htshof als unabhängig­e und letzte Instanz?

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Der CAS ist der Internatio­nale Sportgeric­htshof mit Sitz in der Schweizer Stadt Lausanne. CAS ist die Abkürzung für Court of Arbitratio­n for Sport, auf Französisc­h TAS (Tribunal arbitral du sport). Es handelt sich um ein unabhängig­es Schiedsger­icht, das Urteile in internatio­nalen Sportfrage­n fällt - zum Beispiel über die Rechtmäßig­keit von Dopingsper­ren, wenn es um die Einhaltung von Wettkampfr­egeln geht oder bei Kündigunge­n und Vertragsfr­agen.

Insgesamt gehören dem Sportgeric­htshof über 400 Schiedsfra­uen und -männer aus 87 Staaten an. Sie wurden ausgewählt, weil sie Expertise in Schiedsger­ichtsbarke­it und Sportrecht besitzen. Der CAS kann von Sportlern, Vereinen, Sportverbä­nden, Organisato­ren von Sportveran­staltungen, Fernsehans­talten und Sponsoren angerufen werden.

Jährlich werden rund 300 Fälle verhandelt. Die CAS-Urteile gelten zwar innerhalb des Sports, haben aber keine strafrecht­liche oder zivilrecht­liche Wirkung.

Wie kam es zur Gründung des CAS?

Den CAS gibt es seit dem 30. Juni 1984. Die Idee, eine Gerichtsba­rkeit für Streitfäll­e im internatio­nalen Sport zu schaffen, stammt vom ehemaligen Präsidente­n des

Internatio­nalen Olympische­n Komitees (IOC), Juan Antonio Sama

ranch.

Anlass für den Spanier war Anfang der 1980er Jahre, dass der Sport immer profession­eller wurde und es mehr und mehr Fragen gab, in denen geschlicht­et werden musste.

Anfangs hatte der CAS 60 Mitglieder, die ausschließ­lich vom IOC, dem IOC-Präsidente­n, internatio­nalen Sportverbä­nden und den Nationalen Olympische­n Komitees bestimmt wurden.

Warum wurde der CAS 1994 reformiert?

Es gab Kritik an der Abhängigke­it des CAS vom IOC. Der Olympische Dachverban­d nanzierte den Gerichtsho­f zu 100 Prozent und hatte zudem das Recht, die Statuten zu ändern.

Es folgte daher eine Reform: Man gründete im November 1994 die Stiftung ICAS (Internatio­nal Council of Arbitratio­n for Sport), die seitdem statt des IOC für die Verwaltung und die Finanzieru­ng des CAS zuständig ist. Das ICAS ernennt auch die CASRichter­innen und -richter. Die Stiftung nanziert sich zum größten Teil über Verfahrens­gebühren, außerdem steuern IOC, FIFA und andere Sportverbä­nde Gelder bei.

Seit 1996 unterhält der CAS bei sportliche­n Großereign­issen wie den Olympische­n Spielen oder der Fußball-WM Ad-hocKammern, die zügig Streitfrag­en schlichten, die während der Wettkämpfe auftreten und geklärt werden müssen.

Warum gibt es immer noch Kritik?

Viele Kritiker halten den CAS nach wie vor nicht für unabhängig. Nach ihrer Meinung haben die Sportverbä­nde wie das IOC oder die Europäisch­e Fußball-Union UEFA zu großen Ein uss - nanziell und personell. So werden die CAS-Richter von einem Gremium berufen, in dem zum Großteil Vertreter großer Sportorgan­isationen sitzen.

Mehrfach soll es bei Verfahren zu potenziell­en Interessen­kon ikten gekommen sein, weil der

CAS-Richter zugleich auch Berater eines Sportverba­nds war, der an dem Verfahren als eine der Streitpart­eien beteiligt war.

Ein weiterer Kritikpunk­t ist, dass ein kleiner Kreis von CAS-Richtern sehr viele Fälle bearbeitet, während viele andere fast arbeitslos sind. Außerdem ist ungewöhnli­ch, dass vor ihrer Verkündigu­ng alle Entscheidu­ngen dem Generalsek­retär des CAS vorgelegt werden müssen und er noch einmal Ein uss nehmen und Vorschläge zum Urteil machen kann.

Wie läuft ein Schiedsver­fahren vor dem CAS ab?

Wer einen Streitfall vom CAS klären lassen möchte, muss dort zunächst einen Antrag auf ein ordentlich­es Schiedsver­fahren oder ein Berufungsv­erfahren stellen - je nachdem, wie der Fall gelagert ist. Ein Berufungsv­erfahren ist allerdings erst dann möglich, wenn alle anderen Rechtsmitt­el innerhalb der betreffend­en Sportorgan­isation ausgeschöp­ft sind.

Nach Einreichun­g des Antrags schickt der Beklagte eine schriftlic­he Antwort an den CAS. Die weitere Kommunikat­ion erfolgt zunächst wechselsei­tig ebenfalls schriftlic­h, bis es schließlic­h zu einer Anhörung mit beiden Parteien kommt. Beide Seiten können Argumente vortragen und Beweise vorlegen. Der endgültige Schiedsspr­uch wird einige Wo

chen später mitgeteilt. Bei einem Berufungsv­erfahren wird er noch am selben Tag verkündet.

Jedes Schiedsver­fahren wird von drei Schlichter­n begleitet. Beide Streitpart­eien dürfen sich aus der Liste der Schlichter­innen und Schlichter jeweils einen aussuchen. Die beiden Gewählten entscheide­n dann gemeinsam, wer aus ihrem Kollegium den Vorsitz im Schiedsver­fahren führen soll.

Sind Urteile des CAS noch anfechtbar?

Die Entscheidu­ngen des Sportgeric­htshofs können - wegen des Standorts in Lausanne - vor dem Schweizer Bundesgeri­cht angefochte­n und auch aufgehoben werden. Allerdings müssen dazu quali zierte Beschwerde­gründe vorliegen. Beispielsw­eise müssen dem CAS im Schiedsver­fahren grobe Verfahrens­fehler unterlaufe­n sein.

Außerdem wird der CAS nicht von allen nationalen Sportverbä­nden als letzte Instanz anerkannt. Daher ist eine internatio­nale Gleichbeha­ndlung aller Aktiven in Sportrecht­sfragen bislang nicht gegeben.

Welche aufsehener­regenden Fälle wurden vor dem CAS verhandelt?

Im November 2009 bestätigte der CAS eine Sperre wegen Blutdoping­s gegen die deutsche Eischnelll­auf-Olympiasie­gerin Claudia Pechstein. Pechstein führte jedoch Beweise für eine vererbte Blutanomal­ie an und zog in der Folge vor mehrere Gerichte in der Schweiz, in Deutschlan­d und sogar vor den Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte (EGMR). Noch immer läuft ihr Kampf um Schadenser­satz gegen den Eislauf-Weltverban­d ISU. Für Oktober 2024 ist dazu ein weiterer Prozess in München angesetzt.

Im Februar 2012 verlor Radpro Alberto Contador seine Siege bei der Tour de France 2010 und dem Giro d'Italia 2011, weil der CAS eine Dopingsper­re gegen den Spanier bestätigte.

Im Mai 2019 beschäftig­te der Fall der intersexue­llen Läuferin Caster Semenya den CAS. Die Südafrikan­erin wehrte sich gegen die Auflage des Leichtathl­etikWeltve­rbands IAAF, ihren höheren Testostero­nlevel mit Medikament­en künstlich zu senken, um weiterhin an Frauen-Wettbewerb­en teilnehmen zu dürfen. Der CAS bestätigte zwar, dass dadurch eine Diskrimini­erung vorliege, stützte aber gleichzeit­ig die Regelung der IAAF. Erst vor dem EGMR wurde im Juli 2023 im Sinne Semenyas und anderer intersexue­ller Athletinne­n entschiede­n.

Im Dezember 2020 halbierte der CAS die von der WADA wegen organisier­tem Staatsdopi­ng gegen Russland verhängte Vier-Jahres-Sperre auf zwei Jahre und wurde dafür als zu Russlandfr­eundlich kritisiert. 2016 hatte der Sportgeric­htshof im Fall der Olympia-Sperre für Russlands

Leichtathl­eten durch die IAAF noch gegen die russische Klage entschiede­n. Auch die Suspendier­ung Russlands als IOC-Mitglied wegen der Aufnahme von vier annektiert­en ukrainisch­en Gebieten im Zuge des Ukraine-Kriegs bestätigte der CAS Anfang dieses Jahres.

Weitere aktuelle Entscheidu­ngen, die für größere Resonanz sorgten, waren zuletzt die Bestätigun­g einer vierjährig­en Dopingsper­ren gegen die russische Eiskunstlä­uferin Kamila Walijewa sowie die Reduzierun­g der Dopingsper­re von Tennispro Simona Halep von vier Jahren auf neun Monate.

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Bild: Laurent Gillieron/AP Photo/picture alliance Das Hauptquart­ier des CAS be ndet sich im Chateau de Bethusy in Lausanne

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