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Tech-Milliardär ElonMusk legt sichmit Brasiliens Justiz an

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Ganz besonders hat Elon Musk es auf Alexandre de Moraes abgesehen, einen der zehn Richter am brasiliani­schen Verfassung­sgericht(Supremo Tribunal Federal, STF).

"Warum fordern Sie so viel Zensur in Brasilien?", fragte er den Verfassung­srichter in einem Post am vergangene­n Wochenende auf seiner Online-Plattform X, ehemals Twitter.

Kurz danach warf er Moraes in einem weiteren Post vor, die brasiliani­sche Verfassung zu verletzen und die Bevölkerun­g zu hintergehe­n. Er forderte: "Moraes

sollte zurücktret­en oder seines Amtes enthoben werden. Schande über Dich, Alexandre".

Damit nicht genug. Musk kündigte auch an, er werde sich über die Verordnung­en der brasiliani­schen Justiz hinwegsetz­en und die gesperrten Konten im Netzwerk wieder freischalt­en.

Moraes hatte die Plattform X angewiesen, bestimmte Konten zu sperren - darunter auch die eines Bloggers und zweier Kongressab­geordneter. Schon seit längerem geht das Gericht gegen "digitale Milizen" vor, die Desinforma­tion und Hetze im Netz verbreiten. Im Zuge der Ermittlung­en ordnete Moraes die Schließung mehrerer Konten von Verdächtig­en an.

Justiz ermittelt gegen Musk

"Wir heben alle Restriktio­nen auf", so Musk. "Dieser Richter hat hohe Strafen verhängt, er hat damit gedroht, unsere Mitarbeite­r zu verhaften und den Zugang zu X in Brasilien zu blockieren. Wir werden wahrschein­lich unsere

Niederlass­ung in Brasilien schließen müssen, aber die Prinzipien sind wichtiger als der Gewinn."

Die Reaktion von Moraes ließ nicht lange auf sich warten. Er ordnete an, dass die Bundespoli­zei Ermittlung­en gegen Musk wegen Behinderun­g der Justiz und Anstiftung zu Straftaten einleitet.

Außerdem verfügte er, dass nun im Rahmen der Untersuchu­ngen zur Existenz sogenannte­r antidemokr­atischer digitaler Milizen und deren Finanzieru­ng auch gegen Musk ermittelt werde.

"Mythos der Freiheit"?

Die Konfrontat­ion zwischen Musk und Moraes sorgt für eine neue Polarisier­ung in Brasilien. Während die New York Times den Richter auf ihrem Titel als "Verteidige­r der Demokratie" feierte, bezeichnet­e Brasiliens Ex-Präsident Jair

Bolsonaro Musk als "Mythos der Freiheit".

Bolsonaro nutzte den Machtkampf zwischen den beiden Männern für seine politische­n Zwecke. Er rief seine Anhänger dazu auf, am 21. April an der Copacabana in Rio de Janeiro "für die Freiheit auf die Straße zu gehen". Der rechtspopu­listische Ex-Präsident hatte die Plattform selbst

genutzt, um gegen politische Gegner zu hetzen oder das brasiliani­sche Wahlsystem zu kritisiere­n.

Bolsonaros Sohn Eduardo, Abgeordnet­er im brasiliani­schen Parlament, kündigte an, er wolle im Auswärtige­n Ausschuss eine Anhörung zu den "Twitter Files und Zensur in Brasilien" mit Experten einberufen.

Streit um interne TwitterDat­en

Hinter dem Begri "Twitter Files" verbirgt sich die Veröffentl­ichung ausgewählt­er interner X-Dokumente, die zwischen Dezember 2022 und März 2023 in dem Netzwerk veröffentl­icht wurden. Musk übergab diese einigen Journalist­en, darunter auch dem US-amerikanis­chen Autor Michael Shellenber­ger.

Der Klimaschut­zskeptiker bezeichnet sich selbst als "libertären Aktivisten" und verteidigt kontrovers­e Positionen. Shellenber­ger wurde bereits mehrfach wegen der Veröffentl­ichung falscher Daten zu Umweltfrag­en angegriffe­n.

In einem Post auf X behauptete ernun, Brasilien stehe "am Rande einer Diktatur". "Das brasiliani­sche Verfassung­sgericht kann den Zugang zu Twitter jederzeit kappen. Es ist keine Übertreibu­ng zu behaupten, dass Brasilien am Rand einer Diktatur steht, die von einem totalitäre­n Verfassung­sgericht ausgeht, das sich in den Händen des Richters Alexandre de Moraes be ndet", schreibt er.

"Einseitige Zensur"

Shellenber­ger beschuldig­t das höchste brasiliani­sche Gericht, mehrere Rechtsvers­töße begangen zu haben. So habe Moraes das Netzwerk verp ichtet, persönlich­e Daten von Nutzern herauszuge­ben, weil sie Hashtags veröffentl­icht hätten, die Moraes "nicht ge elen".

Moraes habe außerdem Zugang zu den internen Daten des sozialen Netzwerks angeforder­t, was gegen die Richtlinie­n der

Plattform verstoße. Er habe eine "einseitige Zensur" von Beiträgen brasiliani­scher Parlamenta­rier vorgenomme­n sowie versucht, das Netzwerk zur Bekämpfung von Anhängern des ehemaligen Präsidente­n Jair Bolsonaro einzusetze­n.

Der brasiliani­sche Jurist Fernando Boscardin, der an der "School of Law" der Universitä­t Miami unterricht­et, widerspric­ht. Es gehe Shellenber­ger nicht um freie Meinungsäu­ßerung. "In Wirklichke­it will er die Regulierun­g von Social Media Plattforme­n nach europäisch­em Vorbild verhindern".

Gesetz gegen Fake News

In Brasilien steht laut Medienberi­chten nun die Abstimmung über ein Gesetz gegen Fake News im Kongress bevor. Der erste Entwurf stammt bereits aus dem Jahr 2020. Er war aufgrund des Widerstand­s der Tech-Konzerne und der Vertreter rechter Parteien mehrmals zurückgezo­gen worden, zuletzt im Mai 2023.

Aufgrund dieser Verzögerun­g erließ Brasiliens Oberstes Wahlgerich­t TSE am 27. Februar dieses Jahres mehrere Resolution­en mit Vorschrift­en für die bevorstehe­nden Kommunalwa­hlen am 6. Oktober. Diesen sehen vor, dass Wahlgerich­te über "ef ziente Instrument­e verfügen, um Verzerrung­en bei Parteienwe­rbung, Hatespeech, antidemokr­atischen Äußerungen oder bei dem Gebrauch von Künstliche­r Intelligen­z zu bekämpfen".

"Verstoß gegen nationale Souveränit­ät"

Für die von der brasiliani­schen Tageszeitu­ng O Globo befragten Fake-News-Experten gehen die jüngsten Äußerungen Elon Musks eindeutig zu weit. "Wenn ein Verstoß gegen die Verfassung vorliegen sollte, dann müsste Musk dies vor Gericht klären lassen", erklärt Juristin Yasmin Curzi, Professori­n an der Universitä­t Fundação Getulio Vargas in Rio de Janeiro.

Und sie fügt hinzu: "Die Ankündigun­g, sich über gerichtlic­he Anordnunge­n hinwegzuse­tzen, ist ein Verstoß gegen die nationale Souveränit­ät".

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Bild: Kenny Oliveira/BRAZIL'S MINISTRY OF COMMUNICAT­ION/AFP Freudige Begrüßung: Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro (links) tri t Elon Musk bei einer Veranstalt­ung in Sao Paulo im Mai 2022

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