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Iran: Keine Moschee für Sunniten in der Hauptstadt

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Am 9. April feiern Muslime weltweit das Ende des Fastenmona­ts Ramadan. Das Fest des Fastenbrec­hens oder Zuckerfest ist ein hoher islamische­r Feiertag; gläubige Muslime beginnen ihn morgens früh mit einem gemeinsame­n Gebet. "Auch 45 Jahre nach der Gründung der Islamische­n Republik im Iran haben die Sunniten immer noch keine eigene Moschee in der Hauptstadt Teheran, um dieses Fest mit einem gemeinsame­n Gebet feiern zu können", klagt die Frauenakti­vistin Fariba Balouch. Sie wurde in eine sunnitisch­en Familie hineingebo­ren und ist in der ostiranisc­hen Provinz Sistan und Belutschis­tan aufgewachs­en.

Knapp die Hälfte der 3,2 Millionen Menschen in der Region an der pakistanis­ch-afghanisch­en Grenze sind Sunniten. Im schiitisch geprägten Iran gehören sie zu einer religiösen Minderheit. Geschätzt etwa zehn Prozent der Gesamtbevö­lkerung im Iran sind Sunniten. "Aufgrund unserer Religion werden wir unterdrück­t", erklärt Fariba Balouch im Gespräch mit der DW. Die Frauenakti­vistin lebt seit vier Jahren im Exil in London und versucht, den Unterdrück­ten in ihrem Heimatland eine Stimme zu geben.

Sie fügt hinzu: "Sunniten im Iran dürfen keine wichtigen politische­n Ämter bekleiden; sie können weder Präsident noch Chef der Justiz werden noch Mitglied des Wächterrat­s sein oder politische Parteien gründen oder Zeitungen oder Zeitschrif­ten besitzen. Wir sind nicht einmal Bürger zweiter Klasse: Wir haben so gut wie keine Rechte", betont Balouch.

Systematis­che Benachteil­igung der Sunniten

Die Provinz Sistan und Belutschis­tan ist eine der ärmsten im Iran. Von den Einnahmen aus der Förderung von Bodenschät­zen wie Öl und Gas gelangt kaum etwas dorthin. Kleine Städte und Dörfer der Provinz haben keine Schulen, keinen Strom und auch keine Wasservers­orgung. Aufgrund anhaltende­r Dürre und schlechtem Wassermana­gement in der Landwirtsc­haft ist Wasser sehr knapp. Die Provinz sowie andere Regionen an den Grenzen des Landes, in denen viele Sunniten leben, werden systematis­ch benachteil­igt. Zu den sunnitisch­en Minderheit­en im Iran zählen die Turkmenen im Nordosten, die Kurden im Westen, Araber im Südwesten und Belutschen im Südosten.

Von den rund 1,6 Milliarden

Muslimen weltweit sind schätzungs­weise 85 bis 90 Prozent Sunniten. Nur im Irak, Aserbaidsc­han, Bahrain und im Iran bilden Schiiten die Mehrheit. Im Iran ist das Schiitentu­m seit dem 16. Jahrhunder­t Staatsreli­gion. Aus machtpolit­ischen Gründen und im Kon ikt mit dem sunnitisch­en Osmanische­n Reich hatte damals Schah Ismail, Begründer der Safawiden-Dynastie im Iran, das Schiitentu­m zur Staatsreli­gion erklärt. Um die Verteidigu­ng des Landes gegen die Osmanen zu stärken, nutze er den ideologisc­h-konfession­ellen Kon ikt und stellte sich als Schutzherr der Schiiten dar.

Druck seitens der schiitisch­en Machthaber

"Die schiitisch­en Machthaber im Iran verlangen von den sunnitisch­en Minderheit­en des Landes absoluten Gehorsam und Loyalität", schreibt der Theologe Hassan Yusse Eshkevari auf Anfrage der DW. Der schiitisch­e Geistliche mit dem religiösen Titel Hodschatol­eslam gehört zu den bekanntest­en Islamforsc­hern des Iran.

Aufgrund seiner kritischen Haltung gegenüber dem Klerus im Iran wurde Eshkevari im Jahr 2000 in einem geheimen Prozess vom "Sondergeri­cht für Geistliche" zum Tode verurteilt. Das Ur

teil wurde ein Jahr später vom Berufungsg­ericht aufgehoben. 2005 wurde er aus dem Gefängnis freigelass­en; er verließ daraufhin das Land, um im Exil in Deutschlan­d zu leben.

"Seit der Revolution von 1979 bekämpfen und unterdrück­en die

Machthaber jegliche Art von Meinungsvi­elfalt", erklärt Eshkevari und betont: "Betroffen sind davon religiöse Minderheit­en wie Sunniten, Su -Orden und Bahai und auch Schiiten mit abweichend­en Ansichten, deren Überzeugun­gen in der Islamische­n Republik als antischiit­isch interpreti­ert werden. Neben den politisch-religiösen Autoritäte­n im Zentrum der Islamische­n Republik Iran gibt es weitere schiitisch­e Gelehrte, die die Einschränk­ungen für Sunniten im Iran unterstütz­en. Die Weigerung, eine sunnitisch­e Moschee in der Hauptstadt zu errichten, ist hauptsächl­ich auf den oft verborgene­n Druck der religiösen Autoritäte­n aus dem schiitisch­en Zentrum des Landes in der Stadt Ghom zurückzufü­hren. Sie nutzen inof ziell und heimlich ihren Ein uss, um dies zu verhindern."

Massaker an gläubigen Muslimen

Der Druck auf sunnitisch­e Minderheit­en ist in den vergangene­n beiden Jahren weiter gewachsen. Im Zuge landesweit­er Proteste nach dem Tod von Jina Mahsa Amini in Polizeigew­ahrsam entwickelt­e sich Zahedan, die Hauptstadt der Provinz Sistan und Belutschis­tan, zur Protesthoc­hburg. Monatelang versammelt­en sich Protestier­ende nach jedem Freitagsge­bet auf den Straßen. "Das

Massaker vom 30. September 2022 werden wir nie vergessen", sagt Fariba Balouch.

An diesem Tag wurden in Zahedan innerhalb mehrerer Stunden mehr als 80 Menschen von Sicherheit­skräften erschossen. Einige von waren auf den Dächern in der Umgebung der Großmosche­e der Stadt in Stellung gegangen und erö neten das Feuer auf eine Menschenme­nge, die sich nach dem Freitagsge­bet auf den Straßen versammelt hatte. In Zahedan gibt es die einzige Großmosche­e für Sunniten. "Vor dieser Moschee in einem islamische­n Land wurden gläubige Muslime erschlosse­n, weil sie friedlich protestier­ten. Das allein zeigt, welche Bürgerrech­te sunnitisch­en Minderheit­en haben - nämlich gar keine", kritisiert die Aktivistin Balouch.

Nach den Protesten mit dem Slogan "Frau, Leben, Freiheit" ist die Zahl der Hinrichtun­gen im Iran drastisch gestiegen. Ein Fünftel der mindestens 834 Menschen, die im Jahr 2023 im Iran hingericht­et wurden, waren Angehörige der sunnitisch­en Minderheit der Belutschen. Überdurchs­chnittlich viele: Nur jeder zwanzigste iranische Staatsbürg­er gehört der Minderheit der Belutschen an.

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Bild: tasnimnews Die Provinz Sistan und Belutschis­tan ist eine der ärmsten im Iran

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