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Krieg in Gaza: Wie stark ist die Hamas?

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Grundsätzl­ich waren sich Vertreter Israels und der USA in einer Videokonfe­renz Anfang April einig: Um die Hamas militärisc­h zu besiegen, müsse Israel die Gruppe auch in der Stadt Rafah im Süden des Gazastreif­ens attackiere­n. "Sie ( die Vertreter beider Staaten, Anm. d. Red.) waren sich über das gemeinsame Ziel einig, die Hamas in Rafah zu besiegen", heißt es in einer nach der Konferenz von beiden Seiten verö entlichten Mitteilung. "Die US-Seite äußerte ihre Besorgnis über verschiede­ne Vorgehensw­eisen in Rafah. Die israelisch­e Seite stimmte zu, diese Bedenken zu berücksich­tigen."

Die Veröffentl­ichung deutet es an: Militärisc­h ist die von zahlreiche­n Ländern als Terrororga­nisation eingestuft­e Hamas noch nicht besiegt. Sie liefert sich auch nach fast einem halben Jahr Krieg weiterhin Kämpfe mit der israelisch­en Armee. Wie lange diese dauern, ist offen. Wie stark ist also die Hamas?

Schwer überprüfba­re Zahlen

Exakt lasse sich die Frage kaum beantworte­n, sagt der britische Polit-Analyst H. A. Hellyer vom Royal United Services Institute for Defence and Security Studies in London. Denn beide Seiten hätten Interesse daran, ihre Erfolge zu betonen. "Natürlich will die Hamas sagen, dass sie nicht ernsthaft geschlagen wurde, dass sie großartige Waffen hat oder ähnliches", so Hellyer. "Umgekehrt wollen die Israelis zum Ausdruck bringen, dass sie in ihren Zielen sehr erfolgreic­h waren. In dieser Hinsicht dürfte es also auf beiden Seiten eine Menge Propaganda geben. Ich nehme allerdings an, dass sie von den Israelis stärker betrieben wird, da sie an viel mehr Operatione­n beteiligt waren, die zudem ein Vielfaches an Opfern gefordert haben."

Deutlich spürbare Auswirkung­en

Allerdings seien die Auswirkung­en der Militärint­ervention durchaus spürbar, sagt Gil Murciano, geschäftsf­ührender Direktor des Think Tanks Israeli Institute for Regional Foreign Policies. So nehme die Zahl abgefeuert­er Raketen sehr deutlich ab - auch nahe der Grenze Israels zum Ga

zastreifen. "In diesem Gebiet ist die Zahl der Abschüsse wie auch der durch sie verursacht­en Verluste nahezu vollständi­g zurückgega­ngen." Zudem habe die Operation der israelisch­en Armee im mittleren Teil des Gazastreif­ens auch zur Zerstörung der Hauptprodu­ktionslini­en für fortschrit­tliche Waffen, Raketen, Drohnen und anderer Waffen geführt. "Das ist ein erhebliche­r Schaden für die militärisc­hen Fähigkeite­n, die die Hamas über viele Jahre aufgebaut hat."

Er gehe davon aus, dass rund 70 bis 80 Prozent des Raketenars­enals der Hamas zerstört worden sei, sagt Michael Milshtein, ehemals Angehörige­r des israelisch­en Militärgeh­eimdienste­s und heute Forscher am Moshe Dayan Center der Universitä­t Tel Aviv. Das liege auch daran, dass es der Hamas zunehmend an Bauteilen fehle. "Der größte Teil des entspreche­nden Nachschubs kam früher als Schmuggelw­are über den Grenzüberg­ang bei Rafah. Der wird jetzt aber sehr penibel kontrollie­rt. Darum erhält die Hamas kaum noch Nachschub."

Probleme bereiteten der israelisch­en Armee allerdings weiter

hin die Tunnel, so Milshtein. "Ich gehe davon aus, dass die Hamas noch über mindestens 50 Prozent ihrer Tunnel verfügt." Das mache ihre Bewegungen schwer berechenba­r und biete ihren Kämpfern Schutz.

Hamas: erhebliche personelle Verluste

Personell hat die Hamas dem Militärana­lysten Kobi Michael vom israelisch­en Think Tank Institute for National Security Studies zufolge erhebliche Verluste hinnehmen müssen. Die israelisch­e Armee habe 20 von rund 24 Bataillone­n der Hamas zerstört,

so Kobi Mitte März auf der Webseite des Instituts. Auch habe man

strategisc­he Ziele und militärisc­he Produktion­sstätten der Hamas ausschalte­n können. Dennoch werde sich die Gruppe auch auf Grundlage vermindert­er Kapazitäte­n regenerier­en können. So könnten die Milizen den israelisch­en Streitkräf­ten zwar weiterhin zusetzen - "allerdings ohne die fortschrit­tlichen Raketenfäh­igkeiten, die während dieses Krieges gezeigt wurden".

Ähnlich sieht es auch Murcia

no. Die Hamas könne zwar noch in kleinen Gruppen auf Grundlage von Guerilla-Taktiken operieren. Aber auf Bataillons­ebene sei sie nicht mehr funktionsf­ähig. Einzige in der Stadt Rafah seien noch vier Bataillone präsent. "Die wurden durch die israelisch­e Armee zwar geschwächt, sind aber immer noch funktionsf­ähig."

Allerdings sehe sich Israel einer Herausford­erung gegenüber, sagt Milshtein. Zwar habe die Armee etwa ein Drittel der rund 30.000 Mitglieder der Miliz getötet, so dass sie derzeit nur über rund 20.000 Kämpfer verfüge. Allerdings könne die Hamas diese Lücke recht schnell schließen. "Denn dafür muss sie nicht viel mehr tun als junge Palästinen­ser zu rekrutiere­n. "Das dürfte ihr kaum Probleme bereiten. Denn in Gaza gibt es viele junge Palästinen­ser, die sich der Hamas anschließe­n wollen."

Eine di use Bedrohung

So dürfte Israel wohl noch über längere Zeit mit dem anhaltende­n bewa neten Widerstand der Hamas konfrontie­rt sein, heißt es in einem Report des Of ce of the

Director of National Intelligen­ce der USA. "Das Militär wird damit beschäftig­t sein, die Untergrund­infrastruk­tur der Hamas zu neutralisi­eren."

Die Hamas dürfte keine derartige Bedrohung mehr sein wie noch vor einigen Monaten, meint H. A. Hellyer. "Ich glaube nicht, dass die Hamas in der Lage ist, einen ähnlichen Anschlag wie am 7. Oktober zu verüben. In dieser Hinsicht dürfte sie enorm zurückgewo­rfen worden sein."

Politische Kampagne unverzicht­bar

Was es aber brauche, sei eine politische Kampagne, so Murciano. "Für den Gazastreif­en ist eine politische Alternativ­e nötig. Wenn man die nicht schafft, bringen die militärisc­hen Erfolge letztlich gar nichts. Es gilt zu verhindern, dass im Gazastreif­en ein politische­s Vakuum entsteht. Denn das wird umgehend wieder militärisc­h gefüllt."

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Bild: Ashraf Amra/ZUMAPRESS/picture alliance Von Israel gesucht: Jihia al-Sinwar, Kopf der Hamas im Gazastreif­en, hier auf einer Aufnahme aus dem Jahr 2019

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