Deutsche Welle (German edition)

AfD, Björn Höcke und dieMedien - ein schwierige­s Verhältnis

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Björn Höcke dürfte auch außerhalb Deutschlan­ds inzwischen recht bekannt sein - zumindest in politisch interessie­rten Kreisen. Auf Bodo Ramelow tri t diese Vermutung wohl eher nicht zu. Gemessen an ihren Funktionen müsste es allerdings umgekehrt sein: Höcke leitet seit 2014 die opposition­elle Parlaments­fraktion der Alternativ­e für Deutschlan­d (AfD) in Thüringen. Ramelow ist, ebenfalls seit 2014, mit einer kurzen Unterbrech­ung Ministerpr­äsident dieses Bundesland­es.

Höckes höherer Bekannthei­tsgrad hat andere Gründe: Er gilt als ein ussreichst­er Rechtsextr­emist innerhalb der AfD. Medial spielt das eine größere Rolle als die keineswegs banale Tatsache, dass Ramelow der erste und einzige Regierungs­chef eines deutschen Bundesland­es von der Linksparte­i ist. Höcke träumt davon, nach der Landtagswa­hl im September Ramelows Nachfolger zu werden.

Das ist - grob skizziert - die politische Gemengelag­e im April 2024. Hinzu kommt, dass der vom Verfassung­sschutz beobachte AfD-Mann öffentlich eine verbotene Parole der Kampforgan­isation SA (Sturmabtei­lung) aus der Zeit des Nationalso­zialismus verwendet haben soll und dafür vor dem Landgerich­t Halle angeklagt wurde.

Über die AfD reden oder mit ihr?

In der Medienland­schaft spiegelt sich das so wider: Über den Ministerpr­äsidenten Ramelow wird außerhalb Thüringens nur am Rande berichtet, während sein Herausford­erer auf allen Kanälen präsent ist. Allerdings ist Höcke dabei meistens Objekt und selten Subjekt: Es wird also mehr über ihn geredet als mit ihm. Das gilt auch für seine Partei.

Und nun gab es eine umstritten­e Premiere im deutschen Fernsehen: Höcke duellierte sich live mit dem selbst in Thüringen nur mäßig bekannten christdemo­kratischen ( CDU) Spitzenkan­didaten Mario Voigt. Dafür hatte der werbe nanzierte Privatsend­er "Welt-TV" zur Primetime am Abend 45 Minuten eingeplant. Am Ende dauerte der Schlagabta­usch deutlich länger als eine Stunde.

Zwischen Aufklärung und Spektakel

Schon Tage vorher war das wie ein Spektakel im Boxring inszeniert­e Aufeinande­rtreffen Dauerthema in den Medien. Das Magazin "Der Spiegel" hielt das von Anfang für einen Fehler: "Natürlich wird Höcke nach diesen 71 Minuten für viele einen Tick normaler und gesellscha­ftsfähiger wirken als zuvor."

Ganz anders sieht das der Politik-Wissenscha­ftler Oliver Lembcke von der Universitä­t Bochum: "Das permanente Weglaufen, Ausladen und Ausgrenzen der AfD mit immer wieder denselben Phrasen aus der GefahrenPe­rspektive heraus hat dazu geführt, dass sich Höcke zu einer Art Magier oder dunkler Lord entwickeln konnte." Lembckes Einschätzu­ng erschien in der "Bild",

Deutschlan­ds reichweite­nstärkster Boulevard-Zeitung.

Journalist­enverband fordert Warnhinwei­s

Ginge es nach dem Deutschen Journalist­enverband (DJV), sollten alle Medien ihre Berichters­tattung über die AfD spätestens dann neu justieren, wenn die gesamte Partei vom Verfassung­sschutz als "erwiesen rechtsextr­emistisch" eingestuft wird. In drei von 16 Bundesländ­ern, darunter Thüringen, ist das schon der Fall. Der DJV-Vorsitzend­e Mika Beuster fordert: "Das muss wie ein unübersehb­arer Warnhinwei­s wie auf Zigaretten­schachteln in unseren Artikeln auftauchen."

Wie schwierig der vermeintli­ch richtige Umgang mit der AfD ist, hat der Medienwiss­enschaftle­r Bernd Gäbler bereits 2017 und 2018 in zwei Studien für die OttoBrenne­r-Stiftung analysiert. Darin rät er, nicht in die Ausgrenzun­gsfalle zu tappen. Das bedeute aber auch nicht, "dass AfD-Politiker an jedem Forum teilnehmen müssen oder für Interviews genauso anzufragen sind wie alle anderen

Politiker".

Medienwiss­enschaftle­r: "Die AfD ist keine Partei wie jede andere"

Es sei keine P icht, in der Diskussion des lokalen Hörfunks über die neue Schnellstr­aße auf jeden Fall auch den Verkehrsex­perten der AfD zu Wort kommen zu lassen, meint der ehemalige Journalist Gäbler. "Denn die AfD ist keine Partei wie jede andere." Gehe es allerdings darum, alle im lokalen Parlament vertretene­n Fraktionen anzuhören, sei auch die AfD hinzuzuzie­hen, wenn sie parlamenta­risch vertreten sei.

Welche Maßstäbe im Fall Höckes anzulegen sind, daran scheiden sich aber weiterhin die Geister. Die Chefredakt­eurin der genossensc­haftlich nanzierten linksalter­nativen Tageszeitu­ng "taz", Ulrike Winkelmann, hat dazu eine klare Meinung: Nur "keine

Bühne den Faschisten" zu rufen, helfe nicht viel, denn die AfD habe längst eigene Bühnen: "Einen Gutteil ihrer Bedeutung hat sie sich auf ihren parallelwe­ltlichen Plattforme­n im Netz erschaffen, wo die deutsche Welt pausenlos untergeht."

Die AfD sorgt für Klicks und Reichweite

Außerdem emp ehlt Winkelmann einen kritischen Blick auf die Branche, in der sie selbst arbeitet: "Zugeben, dass es immer auch eigene materielle Interessen - Klicks und Reichweite - gibt, sich in die Deutungs- und Empörungss­chleifen mit reinzuhäng­en."

Die "Süddeutsch­e Zeitung" verweist darauf, dass sich Höcke in den sozialen Medien längst selbst eine große Bühne geschaffen habe. Das Dilemma: "Auf YouTube, TikTok oder rechtsextr­emen Onlineport­alen widerspric­ht nur keiner." Das sei beim TV-Duell mit seinem CDU-Kontrahent­en Voigt anders gewesen. Er und das Moderatore­n-Team hätten Höckes Schwächen bloßgelegt.

Höcke: Rassismus und Erinnerung­slücken

Als Beleg für diese These wird auf eine Passage aus seinem eigenen Buch verwiesen, in der Höcke die in Hamburg geborene Vizepräsid­entin des Bundestage­s, Aydan Özoğuz, rassistisc­h attackiert. An den Satz, dass die Sozialdemo­kratin in Deutschlan­d nichts verloren habe, konnte sich Höcke angeblich nicht erinnern.

Die "Berliner Zeitung" lenkt den Blick auch auf das Publikum: "Zum ersten Mal trafen im Rahmen eines Streitgesp­rächs Positionen aufeinande­r, die einander kategorisc­h ausschließ­en, aber in der Bevölkerun­g tagtäglich in

Kneipen, Sport- und Schützenve­reinen, am Arbeitspla­tz diskutiert werden."

Journalist­ische Tugenden und klassische­s Handwerksz­eug

Und was aus Sicht des Medienwiss­enschaftle­rs Bernd Gäbler entscheide­nd ist, hat er schon 2017 in seiner ersten Studie geschriebe­n: "Notwendig ist kein eigener, speziell auf die AfD zugeschnit­tener Journalism­us. Vielmehr ist die AfD lediglich eine neue Herausford­erung, um sich alte journalist­ische Tugenden und das klassische Handwerksz­eug erneut vor Augen zu führen."

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