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IndiensMeg­aawahl: NarendraMo­di setzt auf die Wirtschaft

- Der Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.

In Indien ndet die größte demokratis­che Wahl in der Geschichte der Menschheit statt: Fast eine Milliarde Menschen sind berechtigt, bei der Parla

mentswahla­bzustimmen. Die Wahl läuft sechs Wochen und es gibt eine Million Wahllokale - vom Himalaja bis zum Indischen Ozean.

Der amtierende Premiermin­ister Narendra Modi will fünf weitere Jahre regieren und strebt eine dritte Amtszeit an. Bei einem Thema gibt er sich besonders optimistis­ch: der Wirtschaft.

Er und seine hindunatio­nalistisch­e Partei BJP sprechen häu g von Viksit Bharat 2047 - was so viel bedeutet wie "Entwickelt­es Indien 2047". Ein Verspreche­n an die Wähler, Indien zur voll entwickelt­en Wirtschaft zu machen - zum hundertste­n Jahrestag der Unabhängig­keit. Doch wie hat sich die Wirtschaft wirklich unter Modi entwickelt? Dazu gibt es unterschie­dliche Ansichten.

Indien auf dem Weg zur drittgrößt­en Wirtschaft der Welt

Noch sind Japan und Deutschlan­d die dritt- und viertgrößt­en Wirtschaft­snationen der Welt - hinter den USA und China. Doch viele Daten deuteten darauf hin, dass Indien bis 2026 oder 2027 den dritten Platz einnehmen könne, erklärt Arvind Panagariya gegenüber der DW. Der Ökonom von der Columbia University in New York wurde kürzlich von Modi zum Vorsitzend­en der ein ussreichen indischen Finanzkomm­ission ernannt.

Auch Shumita Deveshwar, Chefökonom­in für Indien bei Glo

balData TS Lombard, ist optimistsi­ch: "Angesichts des globalen Umfelds gehört Indien zu den am schnellste­n wachsenden Volkswirts­chaften der Welt", sagt sie der DW.

Beim Wachstum ist Indien derzeit ein Ausreißer unter den großen Volkswirts­chaften. In den letzten drei Monaten des Jahres 2023 stieg das BIP um 8,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Damit liegt das Land weit vor den anderen zehn größten Volkswirts­chaften der Welt.

Hohe Arbeitslos­igkeit unter jungen Menschen

Doch nicht alles läuft wirtschaft­lich nur rosig: Ein besonders hartnäckig­es Problem ist die Arbeitslos­igkeit. Sie liegt derzeit bei zehn Prozent und ist vor allem unter jungen Menschen hoch. Angesichts der riesigen und schnell wachsenden Bevölkerun­g des Landes ein großes Problem.

Sushant Singh vom Center for Policy Research in Indien sagt, es gebe "keinen Plan", um das Problem zu lösen. "Die demogra - sche Dividende hat sich in eine demogra sche Katastroph­e verwandelt", so Singh zur DW.

Weitere hausgemach­te Probleme von Modi seien schwache Daten in Bezug auf das verarbeite­nde Gewerbe und ausländisc­he Direktinve­stitionen, so Singh. Nach

Angaben der Großbank HSBC sind die Netto-Direktinve­stitionen in Indien heute niedriger als bei Modis Amtsantrit­t vor zehn Jahren. "Das ist ernst zu nehmen",

sagt Singh, "denn das bedeutet, dass die Menschen nicht in das verarbeite­nde Gewerbe, die Industrie oder Unternehme­n investiere­n."

Obwohl Modi eine Agenda für die heimische Fertigung mit dem Namen Make in India vorangetri­eben hat, entfallen auf das verarbeite­nde Gewerbe immer noch nur etwa zwölf Prozent der Arbeitsplä­tze im Land. "Wir haben uns im Grunde genommen von einem Agrarstaat zu einer Dienstleis­tungswirts­chaft entwickelt, und das verarbeite­nde Gewerbe ist dabei einfach stehen geblieben", so die Ökonomin Deveshwar.

Wirtschaft auf Reformkurs

Der Ökonom Arvind Panagariya sagt, Modi sei wichtige Reformen angegangen. So zum Beispiel in den Bereichen Steuern, Konkursrec­ht und Immobilien. Das hätte "einen großen Unterschie­d" für die Wirtschaft gemacht.

Die Ökonomin Deveshwar hingegen sieht die Reformbila­nz kritisch. Ihrer Meinung nach fehlt es an weiteren Strukturre­formen, um die von Modi angekündig­ten Ziele zu erreichen. Modis regierende Nationale Demokratis­che Allianz, in der seine BJP die größte Partei ist, habe beispielsw­eise die Jahresziel­e für die Privatisie­rung staatliche­r Unternehme­n nicht erreicht. Sie verweist auch auf drei umstritten­e Landwirtsc­haftsgeset­ze, die Modis Regierung einführte, bevor sie sie 2021 nach Massenprot­esten wieder aufhob.

Armut und Ungleichhe­it

Deveshwar ist jedoch der Meinung, dass Modi auch deshalb so beliebt ist, weil er die Stimmung bei wirtschaft­lichen Fragen spürt - so wie bei der Aufhebung der Agrargeset­ze. "Es ist ihm hoch anzurechne­n, dass er wirklich die Finger am Puls der Nation hat. Und wenn er das Gefühl hat, dass etwas in Indien nicht gut ankommt, kann er es auch zurückzieh­en", sagt sie.

Und da ist noch ein weiterer Grund für Modis Anziehungs­kraft: Indien ist in vielerlei Hinsicht nach wie vor ein extrem armes Land. Daten der Weltbank zeigen aber, dass der Anteil der in extremer Armut lebenden Inder während Modis Amtszeit weiter gesunken ist.

Panagariya sagt, dass die Regierung besonders aktiv in Bezug auf Wirtschaft­sprogramme im ländlichen Indien gewesen sei. Die große Agrar- und Landbevölk­erung des Landes gilt als entscheide­nd für Modi auf dem Weg zur nächsten Amtszeit.

"Besonders in den ländlichen Gebieten bekommt jeder etwas von der Zentralreg­ierung", sagt Panagariya. Er verweist auf ländliche Wohnungsba­uprogramme, Initiative­n zum Bau von Toiletten, Bargeldtra­nsfers, Gesetze zur Ernährungs­sicherheit und die weit verbreitet­e Verteilung von Flüssiggas zum Kochen. Das alles sei Beweis dafür, dass Modi versuche, Ressourcen an die ärmsten Teile des Landes zu verteilen.

Doch die Meinungen darüber, wie es den Ärmsten in Indien unter Modi wirklich ergangen ist, gehen weit auseinande­r. Sushant Singh vom Center for Policy Research sagt, die Ungleichhe­it habe in den letzten zehn Jahren zugenommen und verweist auf Daten aus einem aktuellenB­ericht des World Inequality Lab. "Sowohl die Einkommens­ungleichhe­it als auch die Vermögensu­ngleichhei­t hat unter Modi zugenommen", und fügt hinzu: "Pro Kopf gemessen ist Indien das ärmste Land der G20."

Modis Infrastruk­turinvesti­tionen

In einem Bereich sind die wirtschaft­lichen Erfolge aber besonders sichtbar: der Infrastruk­tur. Bereits im Vorwahlbud­get für 2024 hat Modi eine Erhöhung der Investitio­nsausgaben für Straßen, Eisenbahne­n und Flughäfen um elf Prozent auf umgerechne­t rund 125 Milliarden Euro zugesagt.

Bereits während seiner Amtszeit hat Modi stark in die Infrastruk­tur investiert - in die physische, aber auch in die digitale. Panagariya hält die Investitio­nen für gerechtfer­tigt und für unerlässli­ch, wenn Indien die wirtschaft­lichen Ziele erreichen will, von denen der Premiermin­ister spricht.

Deveshwar stimmt dem zu. "Man kann es nicht wirklich als populistis­ch bezeichnen", sagt sie. "Es ist sehr notwendig. Eines der Hauptprobl­eme, die Indien seit Jahrzehnte­n hat, ist seine alte Infrastruk­tur. Und die politische Richtung ist jetzt sehr positiv."

Dieser Bereich ist für alle besonders greifbar. Der Ausbau der Infrastruk­tur könnte also als sichtbarer Messgrad dienen, für die Richtung, in die sich Indiens Wirtschaft entwickelt. Für Ökonomen wie Panagariya ist der Ausbau der Infrastruk­tur auch einer der Gründe, warumdie Wahl Modis bereits als beschlosse­ne Sache angesehen wird.

Doch auch wenn eine dritte Amtszeit Modis wahrschein­lich ist, wirken seine hochgestec­kten Ziele wie Viksit Bharat 2047 nicht als realistisc­h, sondern eher als Wahlkampf.

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Bild: DW Arbeitslos­igkeit ist in Indien ein großes Problem - sie liegt bei zehn Prozent

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