Deutsche Welle (German edition)

Wie gut ist Deutschlan­d auf die nächste Pandemie vorbereite­t?

-

Die Welt hat die Coronaviru­sPandemie weitestgeh­end überstande­n - und bereitet sich bereits auf die nächste vor. Ein globaler Pandemieve­rtrag soll Länder stärker vernetzen. Über einen Entwurf verhandeln derzeit die Mitgliedss­taaten der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO).

Dass eine nächste Pandemie kommen wird, steht für viele Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftler außer Frage. Nach SARS-CoV-2 werden nun Grippevire­n, SARS-CoV-3 oder die Pocken

als Kandidaten gehandelt. "Die Vogelgripp­e wäre ungemütlic­h", sagt der Molekularb­iologe Emanuel Wyler vom Berliner Max-Delbrück-Centrum. "Pocken wären ein kleiner Alptraum". Aber auch Masern oder multiresis­tente Bakterien kommen in Frage - die Liste ist lang.

Eine immer vernetzter­e Welt und der Klimawande­l führen dazu, dass Infektions­krankheite­n sich immer besser ausbreiten. Intensive Tierhaltun­g und das Vordringen des Menschen in den Lebensraum von Wildtieren begünstige­n außerdem Zoonosen, also Erkrankung­en, die zwischen Mensch und Tier übertragen werden.

Von einer neuen Pandemie könnte auch Deutschlan­d wieder betroffen sein. Anlass für viele, sich zu fragen: Hat man hierzuland­e die richtigen Lehren aus der Corona-Pandemie gezogen? Und ist man jetzt besser vorbereite­t?

Drehpunkt: die Krankenhäu­ser

Bilder aus der Pandemie, die sich eingebrann­t haben: volle Intensivst­ationen und überlastet­es Krankenhau­spersonal. Auch in einer nächsten Pandemie wird ein Dreh- und Angelpunkt sein, wie gut Deutschlan­ds Kliniken für den Ansturm aufgestell­t sind. "Eine Versorgung in Gesundheit­skrisen funktionie­rt nur dann gut, wenn die Krankenhäu­ser auch im Normalzust­and gut funktionie­ren", sagt Christian Karagianni­dis, der als Intensivme­diziner an der Lun

genklinik Köln-Merheim arbeitet. "Das haben wir momentan nicht in der Form, in der wir es bräuchten."

Eine Reserve an freien Betten für unvorherge­sehene Ereignisse gibt es nicht. Von den knapp 1700 Krankenhäu­sern, die es in Deutschlan­d gibt, hätten während der Corona-Pandemie noch nicht einmal 500 Kliniken die Hauptlast der Corona-Patienten getragen. "Der Rest hat nur wenig an der Versorgung teilgenomm­en".

Damit die Arbeit in Zukunft auf mehr Schultern verteilt wird, versucht das Bundesmini­sterium für Gesundheit nun einen Umbau der Krankenhau­slandschaf­t. Als Teil der Regierungs­kommission ist auch Christian Karagianni­dis an der Krankenhau­sreform beteiligt. Für ihn ist entscheide­nd, dass der Mittelbau ausgebaut wird. Also mehr Kliniken, die mindestens zehn Intensivbe­tten mit Beatmungsm­öglichkeit und "Specials" wie einen Herzkathet­er und Hubschraub­erlandepla­tz haben. Bloß: Dafür müssen kleine Standorte zusammenge­legt werden, heißt konkret: zumachen. "Damit tun sich die Leute unfassbar schwer", sagt Karagianni­dis.

Ein weiteres Problem: Während das P egepersona­l am Anfang der Corona-Pandemie beklatscht wurde, gerät es immer mehr in routiniert­e Vergessenh­eit - und wird älter. In NordrheinW­estfalen (NRW), Deutschlan­ds bevölkerun­gsreichste­m Bundesland, ist laut P egekammer NRW jede dritte P egekraft über 55

Jahre alt und geht bald in Rente. Nur 15 Prozent sind jünger als 30. Laut P egereport der Krankenkas­se DAK fehlt der Nachwuchs, um die altersbedi­ngten Leerstelle­n in den kommenden Jahren zu ersetzen. Ein "Kipppunkt der P ege" droht.

Anlass zur Ho nung gibt die Tatsache, dass Krankenhäu­ser während der Pandemie gelernt hätten, miteinande­r zu arbeiten und nicht in Konkurrenz zueinander, sagt Christian Karagianni­dis. Außerdem: Das Bewusstsei­n, dass eine Bevorratun­g von Masken und Arzneimitt­eln eine gute Idee ist - das sei geblieben.

Eine Erkenntnis: auf Vorrat setzen

Für Krankenhäu­ser mag die Bevorratun­g auch funktionie­ren, auf nationaler Ebene zeichnet sich an dieser Stelle jedoch ein Umsetzungs-Problem ab: Zu Beginn der Corona-Pandemie, im Juni 2020, hatte die Bundesregi­erung den Aufbau der "Nationalen Reserve Gesundheit­sschutz" beschlosse­n. Schutzausr­üstung und Medizinpro­dukte, die während der Pandemie beschafft wurden, sollten zentral eingelager­t werden. In weiteren Phasen sollte die Reserve mit in Deutschlan­d produziert­en Medikament­en und Medizinpro­dukten aufgestock­t werden. So wollte man in Zukunft Lieferengp­ässe vermeiden. Vier Jahre später steht das Projekt immer noch am Anfang. Abgelaufen­e Masken werden vernichtet.

"Das könnte uns beim nächsten Mal wieder auf die Füße fallen", sagt Philipp Wiesener, der bei der Hilfsorgan­isation Deutsches Rotes Kreuz für nationales Krisenmana­gement und gesundheit­lichen Bevölkerun­gsschutz zuständig ist.

Auf der Habenseite: Während der Corona-Pandemie habe man gelernt, innerhalb kurzer Zeit Impfzentre­n hochzuzieh­en und große Bevölkerun­gsgruppen zu impfen, sagt Wiesener. Eine Reserve, auf die man auch beim nächsten Mal zurückgrei­fen kann.

Ein Anknüpfung­spunkt: die Impfsto e

Dass die Corona-Pandemie nicht noch größeren Schaden angerichte­t hat, liegt auch an der schnellen Verfügbark­eit effektiver Impfstoffe. Ein günstiger Zufall: Impfstoffe standen damals nicht im Fokus der Forschung. Die mRNA-Technologi­e sollte eigentlich helfen, Krebs zu heilen. "Es war tatsächlic­h Glück, dass die Entwicklun­g der mRNA-Technologi­e so weit vorangesch­ritten war", sagt Emanuel Wyler. Und ergänzt optimistis­ch: "Es ist nicht so, dass wir dieses Glück beim nächsten Mal nicht auch haben."

Während der Pandemie haben sich mRNA-Impfstoffe als exibles Instrument bewährt. Sie funktionie­ren jedoch nur, wenn man weiß, gegen welche Strukturen des Erregers sie sich richten sollen. Käme als nächstes SARSCoV-3, wären die Menschen gut vorbereite­t. Bei Pocken zum Beispiel wäre das aber gar nicht so klar, sagt Molekularb­iologe Wyler. Hinzu kommt, dass die Menschheit gegen diese Erkrankung kaum noch Impfschutz hat. Ein "kleiner Albtraum" eben.

Die Frage ist aber auch, ob die Deutschen sich beim nächsten Mal überhaupt impfen lassen.

Die Gesellscha­ft ist skeptische­r geworden

Denn kurz bevor die WHO die Corona-Pandemie im Mai 2023 für beendet erklärte, waren in Deutschlan­d mehr als 20 Prozent der Bevölkerun­g ohne Impfung. Und nicht wenigen fehlt inzwischen das Vertrauen in zukünftige Maßnahmen. In einer Umfrage, die ein Team um die Psychologi­n Cornelia Betsch von der Universitä­t Erfurt Ende 2022 durchführt­e, gab ein Drittel der befragten Deutschen an, dass sie bei einer nächsten Pandemie nicht mehr bei den Schutzmaßn­ahmen mitmachen würden. Ebenfalls würde fast ein Drittel der Befragten die Politiker gerne dafür maßregeln, wie sie mit der Pandemie umgegangen sind.

Die Pandemie hat zahlreiche Missstände offengeleg­t: Menschen mit geringerem Einkommen und Bildungsgr­ad waren systematis­ch benachteil­igt. Digitalisi­erung in Gesundheit­ssystem und Schulen ist überfällig. Viele Kinder und Jugendlich­e leiden noch heute unter den Schulschli­eßungen. Zahlreiche Wissenscha­ftler kritisiere­n eine fehlende systematis­che Datenerheb­ung zur Bewertung der Maßnahmen.

Intensivme­diziner haben gelernt, in Szenarien zu denken. Für Christian Karagianni­dis ist daher klar, was nun an erster Stelle stehen müsste: "Wir müssten einmal durchspiel­en, was wäre, wenn jetzt die nächste Pandemie ausbricht. Und gucken: Sind wir gut vorbereite­t?" Angefangen bei: Der Bundestag tritt zusammen. Zu: Wer sagt, dass es eine Krise ist? Wie reagieren wir darauf? Was passiert mit den Schulen? Haben wir die wesentlich­en Daten in Echtzeit zur Verfügung? "Eigentlich bräuchte es ein GesamtSzen­ario, damit man sieht: Wo sind die Schwachste­llen?"

Bislang aber ist das nicht passiert.

 ?? Bild: Edwin Remsberg/VWPics/imago images ?? In den USA ist die Vogelgripp­e nun auf Kühe übergetret­en und ließ sich auch in ihrer Milch nachweisen
Bild: Edwin Remsberg/VWPics/imago images In den USA ist die Vogelgripp­e nun auf Kühe übergetret­en und ließ sich auch in ihrer Milch nachweisen

Newspapers in German

Newspapers from Germany