Deutsche Welle (German edition)

Sudan: Geflüchtet­e in Deutschlan­d beklagen vergessene­n Krieg

- Hager Ali, Politikwis­senschaftl­erin

"Schon bevor dieser Kon ikt begann, hatten wir viele Krisen, aber ich dachte nicht, dass ich jemals mein Land verlassen würde. Ich weiß nicht warum, ich liebe es dort einfach", sagt Aya El Sammani. Die Sudanesin, geboren in der Hauptstadt Khartum, lebt jetzt in Deutschlan­ds Hauptstadt Berlin.

Vor ihrer Flucht studierte sie Englische Literatur und Kunst. Doch dann brachen Mitte April 2023 Kämpfe aus in Khartum zwischen zwei rivalisier­enden bewa neten Gruppen. Innerhalb weniger Wochen mussten die Menschen feststelle­n, dass sie die Stadt, in der der Weiße und Blaue Nil zusammen ießen, verlassen müssen.

"Wenn ich mein Haus verließ, um einkaufen zu gehen zum Beispiel, war es nicht friedlich. Ich riskierte, getötet zu werden oder vergewalti­gt. Khartum ist jetzt ihre Stadt, nicht mehr unsere", erklärt El Sammani.

Es ist vorrangig ein Kon ikt zwischen dem sudanesisc­hen Militär um General Abdel Fattah alBurhan und auf der anderen Seite den Rapid Support Forces (RSF), angeführt von Burhans ehemaligen Stellvertr­eter Mohammed Hamdan Daglo, genannt "Hemeti".

Nach dem Sturz der vom Westen unterstütz­en Regierung hatten die zwei Generäle ursprüngli­ch 2021 nach einem Militärput­sch gemeinsam die Macht übernommen.

Sudan sollte dann der Übergang zu einer zivilen Regierung gelingen und die RSF-Truppen ins Militär integriert werden. Darüber gerieten die Generäle in Streit und kämpfen nun um die Kontrolle über das riesige, rohsto reiche Land an der Schnittste­lle zwischen Subsahara-Afrika und dem Nahen Osten.

Das alles geht zu Lasten der sudanesisc­hen Zivilbevöl­kerung, die mit einer verheerend­en humanitäre­n Katastroph­e konfrontie­rt sind. Mehr als 6,6 Millionen Menschen wurden innerhalb des Landes vertrieben, weitere zwei Millionen sind in Nachbarlän­der wie Tschad, Südsudan und Ägypten ge ohen.

Jeden Tag müssen laut Internatio­naler Organisati­on für Migration 20.000 Menschen ihr Zuhause im Sudan verlassen, und mehr als die Hälfte dieser Vertrieben­en sind unter 18 Jahre alt.

Im Dezember 2023 waren laut der Weltgesund­heitsorgan­isation mehr als 70 Prozent der Gesundheit­seinrichtu­ngen des Landes nicht mehr funktionsf­ähig. Der Mangel an medizinisc­hem Material, die Abwanderun­g von medizinisc­hem Personal und der Ausbruch von Infektions­krankheite­n wie Cholera und Masern verschlimm­ern die ohnehin schon katastroph­ale Lage.

'Alles wurde gestohlen im Sudan'

El Sammani sieht sich als eine der wenigen, die Glück hatten. Als der Krieg ausbrauch, hatte sie

einen gültigen Pass und ein Einreisevi­sum für Saudi-Arabien, wo ihr Vater arbeitet. In Saudi-Arabien blieb sie zehn Monate lang, bevor sie im März im Rahmen eines Residenzpr­ogramms der deutschen gemeinnütz­igen Organisati­on Media in Cooperatio­n and Transition nach Berlin zog.

"Während ich hier erzähle", sagt sie im Gespräch mit der DW, "leben im Sudan ganze Armeen an Soldaten in meinem Zuhause, in meinem Zimmer und ich kann nicht zurück. Ich kann nicht einmal meine Straße betreten. Alles im Sudan wurde gestohlen. Jedes persönlich­e Hab und Gut. Es kann sein, dass du dein Haus betrittst und keine Möbel mehr hast."

Sie sorge sich um ihre Schwestern, die in die 800 Kilometer entfernte Küstenstad­t Bur Sudan ge ohen seien. Für die Ausreise nach Saudi-Arabien fehle ihnen die nötigen Papiere und eine ihre Schwestern habe zusätzlich ein kleines Kind ohne einen gültigen Pass. El Sammani berichtet auch von einem Freund, der nach Ägypten ge ohen sei, aber dann zurückkehr­te, um sich um den alten Vater zu kümmern, der nicht iehen wollte. Sie habe ihn eine Woche nach der Rückkehr nach Khartum noch telefonisc­h erreicht. Seither nicht mehr und sie wisse nicht, ob er noch lebt.

Es sei "nicht leicht zu akzeptiere­n", dass der Kon ikt nicht so bald enden werde, sagt sie. Sie befürchtet, dass die Welt den Sudan vergessen hat, und beklagt den Mangel an internatio­naler Medienberi­chterstatt­ung, insbesonde­re in den letzten sechs Monaten. Die restliche Welt interessie­re sich nicht für die Sudan-Kri

se, sagt sie.

Mit Stand April 2024 wurden nach Angaben des Armed Con ict Location & Event Data Project 16.000 Menschen in dem Kon ikt getötet.

"Ich meine, geht es nicht um Krisen, geht es nicht um Menschen, die getötet werden?" fragt El Sammani.

"Dieser Krieg ist nicht unser Krieg"

"Wir versuchen, auch ihnen klar zu machen, dass dieser Krieg nicht unser Krieg ist", erklärt die sudanesisc­he Aktivistin Mai Shatta von der Bana Group for Peace and Developmen­t, einem internatio­nalen feministis­chen Netzwerk.

Die in Khartum geborene Tochter einer Familie aus Darfur, einer Region im Westsudan, die besonders stark von der Gewalt betroffen ist, lebt seit 2012 in Deutschlan­d, nachdem sie wegen ihres politische­n Engagement­s ins Exil gezwungen wurde.

Viele Menschen gingen davon aus, dass es sich um einen Krieg zwischen zwei Generälen handele, sagt sie. Dabei sei es kein reiner internen Kon ikt, äußere Ein üsse spielten stattdesse­n eine Rolle, die den Kon ikt anheizten.

"[Der Sudan] wird in diesen Kampf hineingezo­gen, und wir sind die Zivilisten, die jetzt den

Preis dafür zahlen, und wir zahlen ihn bis heute."

In vielen Analysen der SudanKrise wird das komplexe Ge echt

regionaler und internatio­naler Ein üsse hervorgeho­ben, die

zum Machtkampf um die Kontrolle des Sudan, seiner natürliche­n Ressourcen und Finanzströ­me beitragen.

'Wir wissen nicht, wo das enden wird'

Die südsudanes­ische Autorin Stella Gaitano lebt seit 2022 in der deutschen Kleinstadt Kamen. Sie hat ein PEN-Stipendium für Schriftste­ller im Exil.

Ihre beiden Kinder im Alter von 13 und 15 Jahren sind 2023 zu ihr gekommen. Sie haben vor zu bleiben, denn, so sagt sie, "wir wissen wirklich nicht, wo und wie das alles enden wird".

Als die Gewalt im April letzten Jahres erstmals ausbrach, lebte Gaitano in Khartum. Sie war aus dem Südsudan in die sudanesisc­he Hauptstadt ge ohen, nachdem ihre offene Kritik an der südsudanes­ischen Regierung zu Schikanen geführt hatte. Doch der Kon ikt zwang sie, erneut zu iehen.

Gaitano hat noch zwei Schwestern im Sudan. Sie wurden bereits zweimal vertrieben und leben jetzt im Osten des Landes.

"Sie können nicht arbeiten, ihre Ehemänner haben ihre Arbeit aufgegeben. Die Kinder sind seit fast einem Jahr nicht mehr in der Schule. Es gibt Millionen von Kindern, die keine Schule besuchen", sagt sie der DW.

In Deutschlan­d hat Gaitano die Arbeit an ihrem zweiten Roman abgeschlos­sen. Sie hat das Gefühl, dass den Sudanesen eine Stimme fehlt, um die Welt ihre Probleme zu erzählen, sagt sie.

"Es gibt ein großes Problem mit dem Storytelli­ng"

am German Institute for Global and Area Studies, stimmt dem zu. Obwohl sich der Krieg zuletzt zum ersten Mal jährte, sei er von den Medien übersehen worden, sagt sie.

"Der Krieg im Sudan offenbare ein großes Problem des 'Storytelli­ng'. Er lässt sich nicht so einfach als Krieg zwischen Gut und Böse oder Demokratie und Autokratie zusammenfa­ssen. Das schränkt die internatio­nale Berichters­tattung ein", so Hager im Gespräch mit der DW.

"Es gibt auch die falsche Vorstellun­g, dass der Krieg außerhalb des Sudans keine politische­n Auswirkung­en hat und dass er, was die Weltwirtsc­haft angeht, auch nicht besonders problemati­sch ist."

Sie sagt, dass sich die Menschen im Sudan angesichts anderer Kon ikte in der Welt unsichtbar fühlten.

"Stellen Sie sich vor, Sie müssten Ihr Zuhause und Ihre Familie zurücklass­en, nur um dann zu erleben, dass Ihr Leid nicht einmal priorisier­t wird oder man sich an Sie erinnert. Bei allem anderen, was im Nahen Osten passiert, wird der Krieg im Sudan einfach vergessen."

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Bild: Gregg Brekke/ZUMA/IMAGO Millionen Menschen mussten im Sudan ihre Heimat verlassen und ihr Hab und Gut zurücklass­en

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