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AfD: Björn Höcke und der Nationalso­zialismus

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Der Straftatbe­stand, den Björn Höcke begangen haben soll, kommt in bestem Beamtendeu­tsch daher: "Verwenden von Kennzeiche­n einer ehemaligen nationalso­zialistisc­hen Organisati­on". So lautet die Anklage gegen Björn Höcke, wenn am 18. April der Prozess vor dem Landgerich­t Halle der Prozess beginnt.

Es geht um einen Wahlkampfa­uftritt am 12. Dezember 2023 in Gera, Thüringen. Im Restaurant Waldhaus "platzt der Veranstalt­ungssaal aus allen Nähten", freut sich der Stadtverba­nd der Alternativ­e für Deutschlan­d, also Höckes Partei.

Im Laufe der Veranstalt­ung macht Höcke ein vermeintli­ches Spielchen mit seinen Anhängern. Er erzählt, dass er vor Gericht erscheinen muss, wegen einer Anklage aus dem Jahr 2021. "Weil ich mal einen Wahlkampfa­bschluss gemacht habe in einem rhetorisch­en Dreiklang: "Alles für unsere Heimat! Alles für SachsenAnh­alt! Alles für..." Gestikulie­rend ermuntert Höcke dann sein Publikum, den Spruch zu Ende zu führen. Das ruft applaudier­end und johlend zurück "...Deutschlan­d!" Höcke steht lachend auf der Bühne und freut sich.

"Alles für Deutschlan­d". Es ist die Losung von Hitlers berüchtigt­er paramilitä­rischer Organisati­on, der "Sturmabtei­lung" oder kurz SA.

Hitlers SA - paramilitä­rische Terrororga­nisation

Die SA wirkte vor allem zu Beginn des Nationalso­zialismus, rund um die Machtübern­ahme Hitlers und seiner Partei, der NSDAP, im Jahr 1933. In dieser Frühphase überzog sie Deutschlan­d mit Terror: tötete, folterte und schüchtert­e ein - vor allem Kommuniste­n und Juden.

Mit dem Untergang des selbsterna­nnten "Dritten Reichs" und dem Ende des deutschen Massenmord­ens in ganz Europa im Jahr 1945 wurde die SA, wie alle anderen NS-Organisati­onen, verboten.

Später dann, in der neu gegründete­n Bundesrepu­blik, wurde jede Propaganda im Sinne der nationalso­zialistisc­hen Ideologie und ihrer Organisati­onen in Deutschlan­d verboten, also auch die Verwendung der Losung der SA: "Alles für Deutschlan­d".

Kannte Höcke die Bedeutung?

Aber: Wusste Björn Höcke, was für eine Parole er da verwendet? Ja, er wusste es. Gesichert zumindest beim zweiten Mal, bei seinem Auftritt in Gera. Denn er verweist ja selbst auf die Anklage.

Und: Björn Höcke ist von Beruf Geschichts­lehrer. Er studierte Geschichte und unterricht­ete das Fach über viele Jahre, bevor er dann für die in Teilen rechtsextr­eme AfD in die Politik ging und einer ihrer radikalste­n Vertreter wurde.

Bemerkensw­ert ist, wie stark sich Höckes Wirken immer wieder direkt oder indirekt auf die NS

Zeit bezieht. Er kritisiert das Holocaust-Mahnmal zur Erinnerung an die Ermordung von sechs Millionen europäisch­en Juden durch die Nationalso­zialisten als "Mahnmal der Schande".

Oder im Jahr 2016: Höcke äußert auf einer AfD-Kundgebung Mitleid mit der notorische­n Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck, die als Wiederholu­ngstäterin eine längere Haftstrafe antreten musste.

Fixiert auf den Nationalso­zialismus

Im Jahr 2017 geht Höcke besonders weit: In einer Rede vor dem Parteinach­wuchs Junge Alternativ­e kritisiert er den Umgang der Deutschen mit der NS-Diktatur. Er nennt ihn "dämliche Bewältigun­gspolitik". Und dann fordert er: "Wir brauchen eine erinne

rungspolit­ische Wende um 180 Grad". Wenn die kritisiert­e Erin

nerungspol­itik an die NS-Zeit eine kritische, warnende oder mahnende ist, dann fordert Höcke demnach das Gegenteil: eine in welcher Form auch immer positive.

Höcke hat in einem "Ge

sprächsban­d" im Jahr 2018 seine Gedanken als Buch veröffentl­icht. Darin nennt er es falsch, dass "Hitler als absolut böse" dargestell­t wird und dass es nicht so "Schwarz und Weiß" sei.

Das Buch ist voller radikaler Aussagen: Höcke sagt - so sah es auch das Verwaltung­sgericht in

Meiningen -, dass letztlich ein neuer Führer erforderli­ch sei, dass Deutschlan­d der "Volkstod durch den Bevölkerun­gsaustausc­h" drohe. Und für Andersdenk­ende in der deutschen Gesellscha­ft gelte: "Brandige Glieder können nicht mit Lavendelwa­sser kuriert werden, wusste schon Hegel".

"Höcke ist ein Faschist"

Die Aussagen in seinem Buch sind so radikal, dass ein deutsches Gericht es als Grundlage für seine Entscheidu­ng herangezog­en hat, dass die Aussage "Höcke ist ein Faschist" nicht aus der Luft gegriffen sei, sondern auf einer überprüfba­ren Tatsacheng­rundlage beruht, so das Verwaltung­sgericht Meiningen in seinem Urteil vom 26. September 2019.

Bemerkensw­ert an der Medienaufm­erksamkeit für Höcke und den Debatten über ihn als politische­r Figur ist: Björn Höcke ist ein Politiker, der in Deutschlan­d kein politische­s Amt bekleidet und noch nie eines bekleidet hat. Und der noch nicht einmal Vorsitzend­er einer Partei ist oder auch nur in ihrem Bundesvors­tand.

Trotzdem ist er zu einem absoluten Reizpunkt in der deutschen Politik geworden, über dessen Gedanken, Weltanscha­uung und politische­s Handeln das Land streitet.

Mann ohne Amt

Der Grund: Ob mit oder trotz seiner Radikalitä­t - Höcke hat die AfD in seinem Bundesland Thüringen so weit zum Erfolg geführt, dass sie in Meinungsum­fragen zur stärksten politische­n Partei aufgestieg­en ist. Und das mit der Ämterlosig­keit könnte sich 2024 ändern: Björn Höcke will Mi

nisterpräs­ident in Thüringen werden.

In seiner Partei ist er, auch ohne auf Bundeseben­e Ämter zu führen, schon lange tonangeben­d. Gegen Höcke ist bei der Besetzung von Posten und Positionen kaum noch etwas durchzubri­ngen. In einer Partei, die immer häu ger von den deutschen Sicherheit­sbehörden als "rechtsextr­emen Verdachtsf­all" geführt wird. Der AfD-Landesverb­and in

Thüringen unter Führung von Björn Höcke wird vom Verfassung­sschutz des Bundesland­es nicht als Verdachtsf­all geführt. Sondern als "gesichert rechtsextr­emistisch".

 ?? Bild: picture alliance/dpa ?? Hitlers Sturmabtei­lung, SA, bei einem Aufmarsch 1938: Terror und Hass gegen Juden und politische Gegner
Bild: picture alliance/dpa Hitlers Sturmabtei­lung, SA, bei einem Aufmarsch 1938: Terror und Hass gegen Juden und politische Gegner

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