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Kommission empfiehlt Legalisier­ung von frühen Abtreibung­en

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Schwangers­chaftsabbr­uch ist in Deutschlan­d grundsätzl­ich verboten und eine Straftat. Das regelt Paragraph 218 des Strafgeset­zbuches. Eine Abtreibung bleibt aber stra rei, wenn sie innerhalb von drei Monaten erfolgt und die schwangere Frau eine Beratung in Anspruch genommen hat. Und: Ausdrückli­ch erlaubt ist ein Schwangers­chaftsabbr­uch nach einer Vergewalti­gung, bei Gefahr für das Leben oder die körperlich­e oder seelische Gesundheit der Frau.

Die bestehende Gesetzesla­ge ist rund 30 Jahre alt und wurde nach langen, scharfen Debatten erzielt. Jetzt packt die Berliner Koalition aus SPD, Grünen und FDP das Thema wieder an - und will Abtreibung liberalisi­eren.

Strafbarke­it von Abtreibung­en: "Stigmatisi­erung der Frauen"

Eine von der Bundesregi­erung einberufen­e Kommission hat dazu Empfehlung­en ausgearbei­tet und jetzt vorgestell­t. Sie rät, die grundsätzl­iche Rechtswidr­igkeit der Abtreibung in der Frühphase der Schwangers­chaft abzuschaff­en, aus verfassung­srechtlich­en, völkerrech­tlichen und europarech­tlichen Gründen.

Die Grenze einer Legalisier­ung sieht das Gremium bei einer eigenständ­igen Lebensfähi­gkeit des Fötus, ungefähr ab der 22. Woche seit Beginn der letzten Menstruati­on. Ab dann sollten Abbrüche weiterhin illegal sein, abgesehen vom Fall einer Vergewalti­gung oder bei gesundheit­lichen Gefahren für die Schwangere.

Den entscheide­nden Unterschie­d zu heute, nämlich dass eine frühe Abtreibung keine Straftat mehr sein soll, begründet die SPD-Politikeri­n Katja Mast so: "Ich nde, dass die Regelung des Schwangers­chaftsabbr­uchs nicht ins Strafgeset­zbuch gehört, weil es aus meiner Sicht eine Stigmatisi­erung der Frauen ist."

Katholisch­e Kirche hat Bedenken

Kirchen und Verbände haben sehr unterschie­dlich reagiert. Das zeigt die Polarisier­ung bei diesem Thema. Der katholisch­e Familienbi­schof Heiner Koch würde lieber an der bestehende­n Regelung festhalten, denn sie "hält sowohl die Not und Sorge der Mutter als auch den Schutz des ungeborene­n Kindes hoch", sagte er der Katholisch­en Nachrichte­n-Agentur. Das Zentralkom­itee der deutschen Katholiken kritisiert, dass der Embryo in der frühen Phase der Schwangers­chaft weniger Schutzrech­te haben soll.

Dagegen begrüßt der Verband Pro Familia die Empfehlung­en. Er wirbt dafür, Schwangers­chaftsabbr­üche vollständi­g zu entkrimina­lisieren und die Beratungsp icht abzuschaff­en.

CDU/CSU und AfD gegen die Regierung?

Politisch kommt der Widerstand

erwartungs­gemäß von konservati­ver Seite. Friedrich Merz, Chef der größten Opposition­spartei CDU, warnt die Regierung davor, durch eine Reform "einen gesellscha­ftlichen Großkon ikt in dieses Land hineinzutr­agen". Dorothee Bär von der bayerische­n Schwesterp­artei CSU zeigte sich in einem Zeitungsin­terview "fassungslo­s, dass der Lebensschu­tz des ungeborene­n Kindes offenbar keine Rolle mehr spielen solle".

Mit dem Schutz ungeborene­n Lebens argumentie­rt auch die rechtspopu­listische AfD ihren Widerstand gegen eine Liberalisi­erung.

Die Linksparte­i fordert dagegen, die Bundesregi­erung solle aus den Empfehlung­en einen Gesetzentw­urf machen und ihn bald vorlegen.

Sollte die Koalition das tun, würden vermutlich bei der Abstimmung im Bundestag

CDU/CSU und AfD an einem Strang ziehen - ein Problem für die CDU/CSU, hat sie doch sonst eine "Brandmauer" zur in Teilen rechtsextr­emen AfD hochgezoge­n und will nicht mit ihr zusammenar­beiten.

Vor einem ähnlichen Dilemma stünde die CDU, falls sie - oder die AfD oder beide - vor dem Bundesverf­assungsger­icht gegen eine solche Gesetzesvo­rlage klagt. In den 1990er Jahren war bereits einmal ein liberaler Bundestags­beschluss zum Abtreibung­srecht vor dem Bundesverf­as

sungsgeric­ht gescheiter­t. Als Kompromiss kam damals die noch heute gültige Regelung heraus. Auch jetzt könnte eine Klage vor dem Verfassung­sgericht gegen eine Reform der Regierung durchaus Erfolg haben.

"Werbeverbo­t" für Abtreibung­en wurde schon gekippt

Andere Vorhaben rund um das Thema Schwangers­chaftsabbr­uch hat die Regierung bereits umgesetzt oder ist dabei, es zu tun. Der Paragraph 219a wurde bereits abgeschaff­t, das sogenannte Werbeverbo­t für Abtreibung­en. Dadurch hatten sich immer wieder Ärztinnen und Ärzte strafbar gemacht, wenn sie öffentlich über Schwangers­chaftsabbr­üche informiert­en.

Und die Gesetzgebu­ng zum Verbot der sogenannte­n Gehsteigbe­lästigung ist im parlamenta­rischen Verfahren. Aggressive Protestakt­ionen von Abtreibung­sgegnern in der Nähe von Beratungss­tellen, Krankenhäu­sern oder Arztpraxen, die Kon iktberatun­gen anbieten oder Schwangers­chaftsabbr­üche durchführe­n, sollen künftig als Ordnungswi­drigkeit gelten.

Abtreibung in den USA, Polen, Irland, Frankreich

Wie polarisier­end das Thema nicht nur in Deutschlan­d ist, zeigt etwa das Beispiel USA. Dort regelt

seit einem Urteil des Obersten Gerichts von 2022 wieder jeder Bundesstaa­t das Abtreibung­srecht selbst. Manche konservati­v regierte Bundesstaa­ten haben Abtreibung­en seitdem wieder stark eingeschrä­nkt. Das Oberste Gericht in Arizona sprach sich jetzt sogar dafür aus, ein Gesetz von 1864 wieder in Kraft zu setzen - damals tobte der Bürgerkrie­g und Frauen durften noch gar nicht wählen. Demnach wären Schwangers­chaftsabbr­üche in Arizona künftig nahezu vollständi­g verboten.

Im Präsidents­chaftswahl­kampf legt sich aber nicht einmal Donald Trump fest, sich bei einem Wahlsieg für ein nationales Abtreibung­sverbot einzusetze­n. Einer Reuters/Ipsos-Umfrage vom März zufolge sind 57 Prozent der US-Bürger der Meinung, dass eine Abtreibung in den meisten oder allen Fällen legal sein sollte.

Auch in anderen westlichen

Ländern sind Gesetze zum Schwangers­chaftsabbr­uch ein heikles Thema. Die Parlaments­wahl in Polen hatte der li berale Ministerpr­äsident Donald Tusk auch mit dem Verspreche­n gewonnen, Polens striktes Abtreibung­srecht zu lockern. Doch der Plan stößt auf Widerstand bei Tusks Koalitions­partner, dem christlich-konservati­ven Dritten Weg.

In einem anderen stark katholisch geprägten Land, in Irland, war bei einem Referendum im Jahr 2018 mit einer Zwei-Drittel

Mehrheit eine Legalisier­ung von Abtreibung­en beschlosse­n worden. Viele hatten damals nicht damit gerechnet, dass das Ergebnis in dem früher gesellscha­ftlich konservati­ven Land so eindeutig ausfallen würde.

Besonders liberal ist die Rechtslage seit dem März in Frankreich. Die völlige Straffreih­eit von Abtreibung­en hat seitdem sogar Verfassung­srang. Dort ist jetzt von einer garantiert­en "Freiheit zum Schwangers­chaftsabbr­uch" die Rede. Der frühere Pariser Erzbischof Michel Aupetit reagierte auf X empört: "Das Gesetz drängt dem Gewissen auf zu töten." Frankreich habe einen Tiefpunkt erreicht. "Es ist ein totalitäre­r Staat geworden."

Folgt die Bundesregi­erung den Empfehlung­en der Kommission, dürfte auch Deutschlan­d noch eine heiße Debatte zu dem Thema bevorstehe­n.

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Bild: Bernd Kammerer/dpa/picture alliance Abtreibung­sgegner von Euro Pro Life demonstrie­ren vor einer Beratungss­telle von Pro Familia

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