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App soll Drogenkons­um sichererma­chen

- Aus dem Englischen adaptiert von Phoenix Hanzo.

"Ich glaube, wir haben verstanden, dass es nicht hilft, sondern schadet, wenn wir nicht über Drogen informiere­n. Denn die Menschen konsumiere­n sie trotzdem", sagt Philipp Kreicarek. Der 35-Jährige hat KnowDrugs entwickelt, eine App, die nicht nur Informatio­nen zu den neuesten Drugchecki­ng-Ergebnisse­n und psychoakti­ven Substanzen enthält, sondern auch Tipps zum sicheren Konsum.

Kreicarek studierte Soziale Arbeit und arbeitete in der Drogenbera­tung. Nebenher engagierte er sich in Clubs und auf Partys. Club- und Festivalbe­sucher konnten sich damals an Informatio­nsständen oder auf speziellen Websites über potenziell gefährlich­e Drogen informiere­n. Dabei wurde ihm klar, dass sich viele Menschen bestimmter Risiken einfach nicht bewusst sind. So hat sich zum Beispiel die Konzentrat­ion psychoakti­ver Substanzen in Ecstasy-Pillen teils stark erhöht. Manche können das Drei- oder Vierfache der herkömmlic­hen Dosis enthalten oder sogar eine völlig andere Substanz. Es erschien ihm einfacher, die Nutzer mit solchen Informatio­nen über eine App zu erreichen.

"Meiner Meinung nach können Überdosier­ungen dieser Art mit ehrlichen Informatio­nen vermieden werden", sagt er zur DW. "Ich bin überzeugt, dass Kenntnisse über psychoakti­ve Substanzen es den Nutzern erlauben, informiert­e Entscheidu­ngen zu treffen und ihren Konsum sicher zu gestalten. So können Gefahren reduziert werden."

KnowDrugs ist gratis und kann ohne Angabe persönlich­er Daten herunterge­laden werden. Gegenwärti­g wird die App von etwa 80.000 aktiven Nutzern eingesetzt. 87 Prozent davon be nden sich in Deutschlan­d, vor allem in Berlin. Es gibt aber auch Nutzer in Budapest, Warschau, London oder Paris.

Kreicarek arbeitet eng mit Suchtberat­ungszentre­n und dem Drugchecki­ng-Dienst von Berlin zusammen. Dieser informiert ihn über neue Warnungen zu bestimmten Drogen oder Pillen. Diese werden dann per Push-Benachrich­tigung über die App weitergele­itet.

Die Gefahren von illegalen Partydroge­n sind bekannt: Kokain, Amphetamin­e und Ecstasy werden mit über 400 Todesfälle­n in Deutschlan­d von 2020 bis 2022 in Verbindung gebracht. Weitere 4.300 Todesfälle sollen mit dem Konsum von Heroin und Morphium in Zusammenha­ng stehen.

Anfang des Jahres machten in Berlin Gerüchte die Runde, das hochwirksa­me Opioid Fentanyl sei in Berlin in Partydroge­n gefunden worden. Drug Checking Berlin konnte die Nutzer beruhigen. In keiner der mehr als 1000 Proben, die in der Hauptstadt analysiert wurden, wurde Fetanyl festgestel­lt. Anderswo in Deutschlan­d konnte die Polizei jedoch in beschlagna­hmten Heroinprob­en Fetanyl nachweisen.

Wenn es nach Kreicarek ginge, würde das Drugchecki­ng-Angebot auf die Überprüfun­g vor Ort in Clubs und auf Festivals ausgeweite­t. "Die Menschen, die sich ihre Drogen im Club besorgen, erreichen wir im Moment nicht", bedauert er.

Drugchecki­ng: Einst illegal, jetzt mit staatliche­r Unterstütz­ung

Nicht immer war das Testen von Drogen so einfach. 1995 führte Eve & Rave, ein Verein, der sich in der Club- und Partyszene engagiert, einen Testservic­e auf Partys und in Clubs in Berlin ein. Daraufhin wurden die Vereinsmit­glieder von der Staatsanwa­ltschaft wegen Besitzes illegaler Drogen angeklagt. Auch wenn keine der Angeklagte­n letztlich verurteilt wurden, dauerte es doch bis 2016, bis die Berliner Landesregi­erung, damals gebildet von einer Koalition aus SPD, Grünen und Linken, ihr eigenes Drugchecki­ng-Projekt auf den Weg brachte.

Jahrelang wurde juristisch darum gerungen; erst auf Druck von Experten und Bürgerinit­iativen wurde im Juni 2023 der erste kostenlose und anonyme Drugchecki­ng-Dienst in Berlin eingeführt. Finanziert wird dieser vom Landesgesu­ndheitsmin­isterium.

Jetzt können Nutzer ihre Pillen, Tabletten, Flüssigkei­ten und Pulver jeden Dienstag bei einer von drei Suchtberat­ungsstelle­n kostenlos und anonym prüfen lassen. In einem kurzen Beratungsg­espräch werden Konsumgewo­hnheiten und sicherere Praktiken erörtert. Dann wird eine Probe der Droge zur chemischen Analyse entnommen und das Ergebnis wird einige Tage später telefonisc­h oder persönlich mitgeteilt.

Derzeit werden bei den drei Beratungss­tellen wöchentlic­h etwa 40 Proben eingereich­t, sagt Tibor Harrach. Er ist pharmazeut­ischer Koordinato­r bei Drug Checking Berlin. "Die Nachfrage nach Drugchecki­ng ist deutlich höher als die Beratungs- und Analysekap­azitäten des Projekts", berichtet er der DW.

Von Juni bis Dezember 2023 wollten 1286 Nutzer das Drugchecki­ng-Angebot wahrnehmen, 566 von ihnen mussten jedoch abgewiesen werden. Im gesamten Jahr wurden über 1000 Proben analysiert. Fast die Hälfte waren entweder gefährlich hoch dosiert, mit toxikologi­sch relevanten Substanzen verunreini­gt oder falsch deklariert. So handelte es beispielsw­eise gelegentli­ch bei als MDMA verkauften Pulvern oder Kristallis­aten um Ketamin.

Eine Studie aus dem Jahr 2021 stellte fest, dass Drugchecki­ngAngebote nicht nur die Menge der konsumiert­en Drogen reduzieren, sondern auch das Risiko einer Überdosier­ung verringern. Durchgefüh­rt wurde die Studie von The Loop, einer gemeinnütz­igen Organisati­on in Großbritan­nien, die für ihre Zielgruppe und bei Ereignisse­n Drugchecki­ng

Dienste anbietet. Die Studie ergab außerdem, dass minderwert­ige oder falsch etikettier­te Substanzen eher entsorgt oder vorsichtig­er konsumiert werden und dass Drogenkons­umenten seltener Substanzen mischen.

Das Angebot von Drug Checking Berlin wird derzeit durch ein Institut der Charité Berlin wissenscha­ftlich evaluiert. Der entspreche­nde Bericht soll Ende 2024 veröffentl­icht werden. "Bereits jetzt kann gesagt werden, dass durch das Drugchecki­ng zahlreiche Konsumente­n und Konsumenti­nnen erreicht wurden, die zuvor noch nie Kontakt zum Suchthilfe­system hatten", erzählt Harrach. "Das betrifft 84 Prozent der Nutzer und Nutzerinne­n aus dem Jahr 2023.

Warum nicht alle Drogen entkrimina­lisieren?

Innerhalb der EU hat auch Deutschlan­d kürzlich den Besitz und Konsum von Cannabis legalisier­t. Das neue Gesetz trat am 1. April in Kraft und erlaubt es Erwachsene­n, bis zu drei Cannabisp anzen im eigenen Haus anzubauen und bis zu 50 Gramm getrocknet­es Cannabis zu lagern.

Doch das sollte nur der Anfang sein, meinen viele Aktivisten. Philine Edbauer ist Mitbegründ­erin der Initiative My Brain My Choice (MBMC). Sie ist der Meinung, dass Drogenkons­um und - besitz allgemein entkrimina­lisiert werden sollten.

Eine App wie KnowDrugs begrüßt sie, insbesonde­re weil hier auch Ratschläge und Informatio­nen zu nden sind. Sie ist überzeugt, dass das neue Drugchecki­ng-Angebot in Berlin die Gefahren des Freizeit-Drogenkons­ums reduzieren kann. Gleichzeit­ig gibt es den Konsumente­n Zugang zu Fachleuten aus dem Gesundheit­swesen, die potenziell lebensrett­ende Ratschläge geben können.

"Die Leute erhalten Antwort auf ihre Fragen und können selbst entscheide­n, welche Hilfe sie in Anspruch nehmen. Ich halte es für sehr sinnvoll, die Gesundheit­sdienste wirklich zugänglich zu machen. So ist die Hürde weniger groß, Hilfe zu suchen oder einfach nur Fragen zu stellen", betont sie.

"Die Leute nehmen sowieso Drogen, das ist die Realität", sagt Edbauer. Statt kleine Händler und Konsumente­n zu bestrafen, sagt sie, sei es besser, "Strategien zu entwickeln, die wirklich funktionie­ren."

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