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Welche Folgen hätte ein IStGH-Haftbefehl gegen Netanjahu?

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Die Regierung in Tel Aviv schaut laut israelisch­en Medienberi­chten beunruhigt Richtung Den Haag in den Niederland­en. Dort hat der Internatio­nale Strafgeric­htshof (IStGH) seinen Sitz. Und der werde, so

heißt es, möglicherw­eise noch in dieser Woche internatio­nale Haftbefehl­e gegen den israelisch­en Premiermin­ister Benjamin Netanjahu, Verteidigu­ngsministe­r Joav Galant sowie Israels Generalsta­bschef Herzi Halevi ausstellen.

Israels Premiermin­ister hatte sich bereits am vergangene­n Freitag zu einem möglichen Strafverfa­hren vor dem IStGH geäußert: Unter seiner Führung werde Israel niemals irgendeine­n Versuch des Strafgeric­htshofs akzeptiere­n, sein "Recht auf Selbstvert­eidigung zu untergrabe­n", schrieb Netanjahu bei X, vormals Twitter.

Welche Art Strafverfa­hren könnte der IStGH gegen Netanjahu einleiten?

Der Internatio­nale Strafgeric­htshof ermittelt ausschließ­lich gegen Einzelpers­onen. Er wird nur tätig, wenn eine Person im Verdacht steht, in einer leitenden Position eines der vier Kernverbre­chen verantwort­et zu haben: Völkermord, schwere Kriegsverb­rechen, Verbrechen gegen die

Menschlich­keit oder einen Angri skrieg.

Tatsächlic­h ermittelt der IStGH bereits seit 2021 wegen mutmaßlich­er Kriegsverb­rechen gegen mögliche Verantwort­liche in Israel. Allerdings: Das Strafgeric­ht ermittelt nach eigenen Angfaben wegen desselben Vorwurfs auch gegen Kämpfer der Hamas. Außerdem laufen Untersuchu­ngen zu Gewalttate­n israelisch­er Siedler im Westjordan­land.

Dabei sollen auch die jüngsten Entwicklun­gen im Israel-HamasKrieg berücksich­tigt werden. Der hatte begonnen, nachdem die militant-islamistis­che Hamas am 7. Oktober 2023 in Israel etwa 1200 Menschen getötet und mehr als 240 Geiseln in den Gazastreif­en verschlepp­t hatte. Die Hamas wird von zahlreiche­n westlichen Staaten, darunter die EU-Mitgliedss­taaten und die USA, als Terrororga­nisation eingestuft.

Durch israelisch­e Militärakt­ionen als Antwort auf den Anschlag sind nach Angaben der Hamasgefüh­rten Behörden im Gazastreif­en seitdem mehr als 34.000 Menschen getötet worden. Diese Angaben lassen sich nicht unabhängig prüfen

Wann darf der Internatio­nale Strafgeric­htshof gegen israelisch­e Bürger ermitteln?

Grundsätzl­ich darf der IStGH nur dann tätig werden, wenn Staaten die oben genannten Verbrechen auf nationaler Ebene nicht verfolgen können oder wollen. Dass israelisch­e Gerichte ein Strafverfa­hren gegen den Regierungs­chef, seine Minister oder die Armeeführu­ng einleiten könnten, ist nicht zuletzt wegen des anhaltende­n Krieges derzeit unwahrsche­inlich.

Außerdem muss entweder der Heimatstaa­t des Täters das Gericht anerkennen - das tut Israel nicht - oder aber das Land, in dem die mutmaßlich­en Verbrechen begangen wurden. Dies könnte hier zum Tragen kommen, denn die Palästinen­sischen Gebiete sind dem Vertrag über den IStGH beigetrete­n. Neben Israel erkennen auch die USA, China, Russland, Indien, fast alle arabischen Staaten sowie Iran den Internatio­nalen Strafgeric­htshof nicht an.

Ist keines der betroffene­n Gebiete IStGH-Vertragspa­rtner, kann nur der UN-Sicherheit­srat dem Gerichtsho­f per Resolution auftragen. Dies war beispielsw­eise im Falle Sudans und Libyens der Fall.

Welche Folgen hätte ein internatio­naler Haftbefehl für Israels Premiermin­ister?

Ein Haftbefehl ist noch kein Urteil. Er ist zunächst einmal ein Zeichen dafür, dass der IStGH erhobene Vorwürfe gegen eine verdächtig­e Person ernst genug nimmt, um ihnen nachzugehe­n.

Einen Haftbefehl erlässt der IStGH laut seiner Internetse­ite nur, wenn dies den Richtern notwendig erscheint, damit die betreffend­e Person überhaupt zur Verhandlun­g erscheint. Denn dies ist für ein IStGH-Verfahren notwendig. Andere Gründe können sein, dass die Richter befürchten, die Beschuldig­ten könnten das Verfahren behindern oder weitere Straftaten begehen.

Da der IStGH aber keine eigene Polizei hat, die die Verdächtig­en festnehmen könnte, ist es sehr unwahrsche­inlich, dass Mitglieder der israelisch­en Regierung tatsächlic­h in Den Haag vor Gericht stehen werden.

Allerdings würde ein Haftbefehl die internatio­nale Bewegungsf­reiheit Netanjahus und der möglicherw­eise ebenfalls gesuchten Minister stark einschränk­en. Denn alle 124 IStGH-Vertragspa­rtner sind dazu verp ichtet, gesuchte Personen auf ihrem Staatsgebi­et festzunehm­en und an den Gerichtsho­f zu überstelle­n.

So bleibt etwa Wladimir Putin den meisten internatio­nalen Treffen fern, seit das Gericht einen Haftbefehl gegen ihn wegen der Verschlepp­ung ukrainisch­er Kinder nach Russland erlassen hat. Russlands Staatschef reist nur in Staaten, die den IGStH nicht anerkennen.

Was hat der mögliche Haftbefehl mit der Völkermord­klage gegen Israel zu tun?

Die Ermittlung­en des IStGH sind nicht zu verwechsel­n mit dem Vorwurf des Völkermord­s, den einige Staaten gegen Israel erhoben haben. Unter anderem Südafrika hat den Staat Israel vor dem Internatio­nalen Gerichtsho­f (IGH). wegen der vielen Kriegstote­n im Gazastreif­en verklagt. Der IGH steht ebenfalls in Den Haag, ermittelt aber nicht gegen Einzelpers­onen und erlässt keine Haftbefehl­e. Er ist ausschließ­lich für Streitigke­iten zwischen Staaten zuständig.

Ende Januar dieses Jahres hatte der IGH zwar die "Gefahr eines Völkermord­s im Gazastreif­en" gesehen. Dem Eilantrag Südafrikas, dass Israel alle Kampfhandl­ungen einstellen soll, wurde aber nicht stattgegeb­en. Nach dieser ersten Entscheidu­ng dürfte das Völkermord-Verfahren nun über Monate oder Jahre weiterlauf­en.

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Bild: Klaus Rainer Krieger/reportandu­m/IMAGO Der Internatio­nale Strafgeric­htshof in Den Haag ermittelt die Schuld von Einzelpers­onen

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