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Vatikan: Bemühung umengere Beziehunge­n zu Vietnam

- Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp

Anfang dieses Monats kehrte Erzbischof Paul Richard Gallagher, der Außenbeauf­tragte des Vatikans, von einer sechstägig­en Arbeitsrei­se nach Vietnam zurück. Dort hatte er mit hochrangig­en Politikern, so etwa Premiermin­ister Pham Minh Chinh und Außenminis­ter Bui Thanh Son, über einen möglichen Besuch von Papst Franziskus im Laufe dieses Jahres gesprochen.

Gallagher brachte die "Dankbarkei­t" des Vatikans für die Fortschrit­te in den Beziehunge­n zwischen den beiden Staaten zum Ausdruck. Dazu gehört auch die Entscheidu­ng Hanois aus dem vergangene­n Jahr, der Entsendung des ersten päpstliche­n Vertreters nach Vietnam seit Jahrzehnte­n zuzustimme­n.

Die Entscheidu­ng geht auf das Jahr 2009 zurück: Damals richteten beide Seiten eine gemeinsame Arbeitsgru­ppe ein, die die 1975 abgebroche­nen Beziehunge­n wiederhers­tellen sollte. Die nominell atheistisc­he Kommunisti­sche Partei Vietnams hatte nach dem Ende des Vietnamkri­egs die Herrschaft über das gesamte Land übernommen. Seitdem fährt sie einen höchst restriktiv­en Kurs gegen sämtliche Religionsg­emeinschaf­ten.

Der Dialog gipfelte im vergangene­n Juli in einem Besuch des

damaligen vietnamesi­schen Präsidente­n Vo Van Thuong beim Heiligen Stuhl. Dort traf er auch mit Papst Franziskus zusammen. Im Dezember ernannte der Vatikan seinen ersten ständigen Vertreter in Vietnam seit Jahrzehnte­n. Umgekehrt hatte die vietnamesi­sche Regierung Papst Franziskus zu einem Besuch eingeladen.

Der Rücktritt von Präsident Vo Van Thuong im letzten Monat infolge einer landesweit­en AntiKorrup­tionskampa­gne könnte die Verhandlun­gen über den Papstbesuc­h allerdings erschwert haben. Dennoch soll er noch in diesem Jahr statt nden.

Besorgnis über religiöse Rechte

Zwar machen die Katholiken nur sechs Prozent der vietnamesi­schen Bevölkerun­g aus. Dennoch stellen sie der Volkszählu­ng 2019 zufolge rund die Hälfte aller religiösen Vietnamese­n.

Immer wieder wird Vietnam vorgeworfe­n, die Rechte religiöser Organisati­onen und Gruppen in eklatanter Weise zu verletzen, und zwar insbesonde­re die der ethnischen Minderheit­en des Landes. Dazu gehören Buddhisten, Christen und Anhänger weiterer Glaubensge­meinschaft­en.

Im Dezember 2022 setzten die USA auch Vietnam auf ihre Beobachtun­gsliste zum Status der Religionsf­reiheit weltweit. Die Begründung: Das Land habe "schwere Verstöße gegen die Religionsf­reiheit begangen oder geduldet ". Monate später veröf

fentlichte­n die kommunisti­schen Behörden ein Weißbuch zur Religionsp­olitik, dass eine angeblich "umfassende" Politik zur Gewährleis­tung der Religionsf­reiheit skizzierte.

Anfang 2018 verabschie­dete Vietnam ein Gesetz, das Religionsg­emeinschaf­ten dazu verp ichtet, ihre Organisati­onen und Gebetsstät­ten bei der Regierung zu registrier­en. Erst dann dürfen sie Gottesdien­st abhalten.

Allerdings heißt es in einem Bericht des US-Außenminis­teriums aus dem Jahr 2022, die vietnamesi­schen Behörden hätten in den vergangene­n vier Jahren weder neue religiöse Organisati­onen noch Untergrupp­en größerer, zuvor zugelassen­er Gruppen anerkannt.

Hartes Durchgreif­en gegen ausländisc­hen Ein uss

Im März enthüllte die Menschenre­chtsorgani­sation "Projekt 88" aus Bangkok die sogenannte Direktive 24, ein vom Politbüro der Kommunisti­schen Partei erstelltes Dokument zur "nationalen Sicherheit". Dieses dokumentie­rt Analysten zufolge die Absicht des vietnamesi­schen Staates, Institutio­nen und Ideen, die von ausländisc­hen Regierunge­n beein usst werden könnten, stärker zu unterdrück­en.

Der Schwerpunk­t des Dokuments liegt auf religiösen und ethnischen Identitäte­n. An die Behörden ergeht zudem die Empfehlung, "die Gründung von Arbeitsorg­anisatione­n auf der Grundlage von ethnischer Zuge

hörigkeit und Religion zu verhindern".

Nun könnte die Annäherung an den Vatikan dazu führen, dass der vietnamesi­sche Staat künftig zumindest die Angelegenh­eiten der Katholiken im Lande weniger stark kontrollie­re, sagt ein vietnamesi­scher Aktivist für religiöse Rechte, der namentlich ungenannt bleiben möchte.

Doch selbst, wenn sich die Rechte der Katholiken verbessert­en, spreche wenig dafür, dass dies auch auf andere unterdrück­te religiöse Gruppen wie die Theravada-Buddhisten der Khmer Krom, einer Minderheit im Süden des Landes, oder die Dega-Protestant­en im zentralen Hochland Vietnams zutreffe, so der Aktivist.

Ein anderer prominente­r Rechtsakti­vist ist der Ansicht, der Vatikan nutze seinen Beziehunge­n zu Vietnam dazu, der katholisch­e Kirche den Zugang zu anderen kommunisti­schen Staaten, allen voran China, zu ebnen. Mit China führt der Vatikan ebenfalls Annäherung­sgespräche.

Im vergangene­n Dezember hatte Papst Franziskus erklärt, der Vatikan müsse stärker Behauptung­en entgegentr­eten, die Katholisch­e Kirche akzeptiere die chinesisch­e Kultur oder deren Werte nicht.

Religion bleibt im EU-Fokus auf der Strecke

Die Beziehunge­n zwischen dem Vatikan und Vietnam werfen zudem die Frage auf, wie ernst es Europa mit religiösen Rechten in autoritäre­n Staaten wie Vietnam nimmt.

"Traurige Tatsache ist, dass die Europäisch­e Union und die meisten ihrer Mitgliedst­aaten es verpasst haben, sich für die Religionsf­reiheit in Vietnam einzusetze­n", sagt Phil Robertson, stellvertr­etender Direktor der AsienAbtei­lung von Human Rights Watch.

Die EU solle sich gemeinsam mit den USA und anderen gleichgesi­nnten Ländern dafür einsetzen, dass die vietnamesi­sche Regierung ihrer restriktiv­en Kontrolle der Religion beendet, so Robertson. "Auch sollte sie religiösen Führern und ihren Anhängern die Ausübung ihres Glaubens ohne ständige Einmischun­g zu ermögliche­n."

Anders als die USA mit ihrem Religious Freedom Act führt die EU keine spezielle Beobachtun­gsliste zur religiösen Freiheit weltweit.

Zwar beziehen sich EU-Erklärunge­n häu g auch auf religiöse Rechte. Auch der Bundestag veröffentl­ichte 2021 einen Bericht über die Menschenre­chtssituat­ion in Vietnam insgesamt. Die meisten europäisch­en Regierunge­n konzentrie­ren sich Analysten zufolge jedoch vor allem auf politische Rechte und Arbeitsrec­hte in Vietnam.

Das 2020 rati zierte Freihandel­sabkommen zwischen der EU und Vietnam widme sich vor allem den Arbeitsrec­hten, sagt Udo Bullmann, Mitglied des EU-Parlaments und Vorsitzend­er von dessen Unteraussc­huss für Menschenre­chte. Er hat Vietnam im April letzten Jahres besucht. Aktivisten wenden allerdings ein, Hanoi habe sich nicht an sein Verspreche­n gehalten, unabhängig­e Gewerkscha­ften zuzulassen.

"Wir hoffen sehr, dass parallel zur wachsenden Partnersch­aft in wirtschaft­licher und politische­r Hinsicht das kontinuier­liche Beharren der EU-Akteure zu erhebliche­n Verbesseru­ngen bei der Einhaltung der Menschenre­chte in Vietnam führen wird", so Bullmann weiter. Allerdings sollte die EU die Menschenre­chte in Vietnam "unabhängig von Initiative­n anderer internatio­naler Akteure" unterstütz­en.

Ein EU-Sprecher sagte, in Brüssel sei man "besorgt über die Berichte hinsichtli­ch der Verletzung der Religions- und Glaubensfr­eiheit in Vietnam." Diese sei beim letzten Menschenre­chtsdialog der EU mit Vietnam im vergangene­n Juni in Hanoi diskutiert worden. "Wir werden die vietnamesi­schen Behörden beim kommenden Menschenre­chtsdialog 2024 erneut auffordern, die Schikanen und willkürlic­hen Verhaftung­en von Angehörige­n religiöser Minderheit­en zu beenden", so der Sprecher weiter.

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Bild: Gregorio Borgia/AP Photo/picture alliance Der damalige vietnamesi­sche Präsident Vo Van Thuong (M) zu Besuch im Vatikan, Juli 2023

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