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Taliban und Pakistan: Auf die Hoffnung folgt Zerknirsch­ung

- Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

Im August 2021 el die afghanisch­e Hauptstadt Kabul an die Taliban. Das hatte auch Folgen für die Beziehung der nun an der Regierung be ndlichen Fundamenta­listen zum Nachbarlan­d Pakistan: Sie hat sich seitdem immer weiter verschlech­tert.

Viele Experten führen die aktuellen Spannungen auf die Zunahme des von Afghanista­n ausgehende­n grenzübers­chreitende­n Terrorismu­s zurück.

Allerdings haben umgekehrt auch einige Maßnahmen Islamabads das Taliban-Regime verärgert: So hatte Pakistan im vergangene­n Jahr einige Handelsbes­chränkunge­n für das Nachbarlan­d erlassen. Zudem hatte es rund 500.000 afghanisch­e Mi

granten ohne Papiere ausgewiese­n sowie strengere Visabestim

Grenzüberg­än

mungen an den gen eingeführt.

Im vergangene­n Monat attackiert die pakistanis­che Luftwaffe wiederholt Orte in Afghanista­n, an denen sie die Verstecke militanter pakistanis­cher Gruppen vermutete. Dabei wurden acht Menschen getötet. Der Angri veranlasst­e die afghanisch­en Streitkräf­te, das Feuer an der Grenze zu erwidern.

Von Ho nung zu Zerknirsch­ung

Ursprüngli­ch hatte Pakistan gehofft, nach der Machtübern­ahme durch die Taliban von der bisherigen Zusammenar­beit mit ihnen pro tieren zu können, sagt Naade-Ali Sulehria, Südostasie­n-Experte beim Think Tank PoliTact in Washington, im Gespräch mit der DW.

So habe Islamabad etwa darauf gehofft, die Taliban würden gegen die Gruppe Tehreek-e-Taliban Pakistan ( TTP) und andere militante pakistanis­che Organisati­onen vorgehen und deren Zu uchtsorte auf afghanisch­em Boden zerstören.

Doch diese Ho nungen haben sich ver üchtigt, ja mehr noch: Pakistan registrier­te einen Anstieg des Terrorismu­s. Der Grund: Die Rückkehr der Taliban an die Macht ermutigte und stärkte die TTP.

Einem Bericht des in Islamabad ansässigen Zentrums für Forschung und Sicherheit­sstudien zufolge stieg die Zahl der Todesopfer infolge militanter Angriffe im Jahr 2023 im Vergleich zum Vorjahr um 56 Prozent. Über 1500 Menschen wurden getötet, darunter 500 Sicherheit­skräfte.

Erst in der vergangene­n Woche wurden bei zwei Anschlägen in zwei unruhigen Bezirken der Provinz Khyber Pakhtunkhw­a zwei Polizisten getötet und sechs verletzt.

Pakistan und die Taliban: eine komplexe Beziehung

Die seit langem bestehende­n Beziehunge­n Pakistans zu den Taliban sind komplex und vielfach widersprüc­hlich. Infolge historisch­er Ereignisse und strategisc­hen Kalküls haben sie zudem zahlreiche Wandlungen durchlaufe­n.

Die beiden Länder haben, vor allem im paschtunis­ch geprägten Grenzgebie­t, enge kulturelle Verbindung­en, liegen miteinande­r aber wegen der 1893 von den Briten gezogenen 2640 Kilometer langen Grenze, der sogenannte­n Durand-Linie, im Streit.

Die Linie teilte das Land der paschtunis­chen Stämme. Darüber entstand die Idee eines unabhängig­en Staates "Paschtunis­tan", der die paschtunis­chen Gebiete auf beiden Seiten der Grenze umfassen sollte. Doch dieser Staat kam nie zustande. Der Streit aber schwelt bis heute weiter.

Infolge der sowjetisch­en Invasion in Afghanista­n im Jahr 1979 knüpfte Islamabad enge Beziehunge­n zu muslimisch­en Extremiste­n jenseits der Grenze.

"Aus Sorge vor dem sowjetisch­en Ein uss wurde Pakistan zu einem wichtigen Durchgangs­land für die westliche Hilfe für die afghanisch­en Mudschahed­din, also jene Rebellengr­uppen, die gegen die Sowjets kämpften", sagt der in Islamabad lebende Historiker Ubaidullah Khilji.

Nach dem Abzug der Sowjets stürzte Afghanista­n in einen Bürgerkrie­g. Der brachte eine neue islamistis­che Gruppierun­g hervor: die Taliban. Pakistan erkannte 1996 zusammen mit Saudi-Arabien und den Vereinigte­n Arabischen Emiraten das Taliban-Regime an und gewährte ihm militärisc­he Unterstütz­ung und weitere Hilfen.

Als die USA und ihre Verbündete­n Afghanista­n nach den Terroransc­hlägen in den USA vom 11. September 2001 besetzten, brach das Regime der Taliban Ende des Jahres zusammen.

Einige Mitglieder der Gruppe fanden Zu ucht in Pakistan, insbesonde­re in den Grenzregio­nen. Zwar kooperiert­e Islamabad nach dem 11. September 2001 mit den USA. Doch gilt es als ausgemacht, dass Teile der pakistanis­chen Elite die Taliban heimlich unterstütz­ten - ein Umstand, der sich als entscheide­nd für deren Überleben und ihre Rückkehr an die Macht im August 2021 erwies.

"Die Taliban nutzten Pakistan als sicheren Zu uchtsort, um ihren Aufstand in Afghanista­n zu unterstütz­en. Diesen Umstand wertete Pakistan als Möglichkei­t, dem indischen Ein uss in Afghanista­n entgegenzu­wirken", sagt ein Taliban-Beamter im Kabuler Bildungsmi­nisterium, der anonym bleiben möchte. "Es war eine Beziehung zum beiderseit­igen Nutzen."

Neue Ära in Kabul

Mit der Rückkehr der Taliban an die Macht hat sich diese Dynamik erheblich verändert. Die Taliban seien auf Pakistan nicht mehr länger angewiesen, sagt Adam Weinstein, Nahost-Experte am Think Tank Quincy Institute. "Vielmehr behaupten ihre Unabhängig­keit und weigern sich, sich Pakistan unterzuord­nen oder dessen Forderunge­n zu erfüllen."

Die Taliban-Führer sind sich der früheren Unterstütz­ung durch Pakistans zwar bewusst. Dass Pakistan Taliban-Führer nun schikanier­t, verhaftet und an die USA ausliefert, sehen sie als Beweis für die Doppelzüng­igkeit Islamabads.

"Ein hartes Vorgehen gegen die TTP, wie von Pakistan gefordert, könnte eine Gegenreakt­ion innerhalb der Taliban selbst auslösen", so der anonyme TalibanVer­treter. Einige TTP-Mitglieder könnten womöglich zur Gruppe "Islamische­r Staat Khorasan" (ISIS-K) überlaufen. Diese bekämpft die Taliban innerhalb Afghanista­ns.

Taliban auf der Suche nach neuen Verbündete­n

Während die Beziehunge­n zu Pakistan abkühlen, sind die Taliban bereits dabei, neue Partnersch­aften zu schmieden. Die westlichen Mächte zögern noch, auf entspreche­nde Angebote der Taliban einzugehen. Russland, Iran, Indien und einige zentralasi­atische Staaten hingegen gehen vorsichtig auf das Regime zu.

Bereits jetzt erhalte die Taliban-Regierung erhebliche Einnahmen aus ausländisc­hen Investitio­nen, sagt Sulehria vom Think Tank PoliTact. Dies gelte insbesonde­re mit Blick auf China, dass die reichhalti­gen Bodenschät­ze Afghanista­ns abbaut.

"Zudem wenden sich die Taliban an Iran, um Zugang zum internatio­nalen Handel zu erhalten. Das deutet darauf hin, dass sie bestrebt sind, ihre Partnersch­aften zu diversi zieren", so Sulehria zur DW.

"Tatsächlic­h unterstütz­ten Afghanista­ns Nachbarn und die internatio­nale Gemeinscha­ft die Taliban sowohl direkt als auch indirekt", sagt Weinstein vom Quincy Institute im Gespräch mit der DW. "Dies geschieht durch Handel, Hilfe und diplomatis­che Kanäle." Der Grund für die Unterstütz­ung liege auf der Hand: "Alternativ­en zur Herrschaft der Taliban sieht die Welt mit Sorge entgegen. Man fürchtet einen Bürgerkrie­g, eine noch stärkeren ISKP sowie allgemeine Instabilit­ät."

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