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Bürgerkrie­g inMyanmar: "Viele gegen viele"

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Der Bürgerkrie­g in Myanmar steht im vierten Jahr. Nach einer O ensive im nordöstlic­hen Shan-Staat vom Oktober 2023 hat die Militärreg­ierung, der State Administra­tive Council (SAC), die Kontrolle über große Gebiete an der Grenze zu China verloren. Anfang April el die Grenzstadt Myawaddy, ein Knotenpunk­t für den Warenverke­hr zwischen Thailand und Myanmar, in die Hände der ethnischen Minderheit der Karen. Diese kämpfen seit Jahrzehnte­n gegen die Zentralreg­ierung. Inzwischen ist das Militär zwar wieder zurück in Myawaddy, aber die Situation bleibt volatil. Im Westen, an der Grenze zu Bangladesc­h, setzt die Arakan Army (AA) dem Militär zu.

Das Militär ist in den Grenzregio­nen des Landes auf dem Rückzug und steht massiv unter Druck. Es ist nur noch in der Lage, Vergeltung­sangriffe mit der Luftwaffe oder mit weitreiche­nder Artillerie auszuführe­n. Doch ein Experte aus Yangon, der aus Sicherheit­sgründen nicht namentlich genannt werden kann, sieht das Militär noch nicht vor einer Niederlage: "Der Bürgerkrie­g geht weiter und wird so schnell nicht enden."

Fragmentie­rung

Im Grunde genommen ist die aktuelle Situation Myanmars nicht völlig neu. Das heutige Myanmar, ehemals Birma, ist seit der Unabhängig­keit 1948 weder ein Staat noch eine Nation. Keiner Zentralreg­ierung ist es je gelungen, das ganze Land zu regieren. Und noch viel weniger hat sich in dem Vielvölker­staat jemals eine gemeinsame nationale Identität herausgebi­ldet. Dabei wechselten sich in den letzten 76 Jahren Phasen hoher und vermindert­er Kon iktintensi­tät mit entspreche­nder weniger oder mehr zentralsta­atlicher Kontrolle ab.

Der Militärput­sch vom Februar 2021 gegen die Regierung um Staatsräti­n und Friedensno­belpreistr­ägerin Aung San Suu Kyi haben das Land in eine neue Phase der Fragmentie­rung gestürzt.

Im Unterschie­d zu früher ist der Prozess aber heute viel augenfälli­ger, wie der Experte in Yangon sagt: "Früher war das Land auch fragmentie­rt, aber es war nicht so sichtbar. Heute sehen es die Menschen, wegen der sozialen

Medien und wegen der Vernetzung." Darum werde die Frage nach dem Zerfall des Landes vermehrt diskutiert.

Flickentep­pich aus bewa - neten Gruppen

Die ohnehin unübersich­tliche Kon iktlandsch­aft Myanmars hat sich seit dem Putsch nochmal verkompliz­iert. Vor dem Putsch gab es in Myanmar etwa 24 bewa nete ethnische Armeen und mehrere hundert Milizen. Die Truppenstä­rke der Gruppen variierte von einigen Hundert Kämpfern bis zu schätzungs­weise 30.000 Kämpfern etwa der United Wa State Army (UWSA), aber auch der Arakan Army.

Seit dem Putsch sind nochmals etwa 250 bis 300 sogenannte People's Defense Forces (PDF) hinzugekom­men, die insgesamt über etwa 65.000 Kämpfer verfügen sollen. Die PDFs stehen zum Teil unter Kontrolle der Gegenregie­rung (dem National Unity Government, NUG), agieren teilweise unabhängig und teilweise in enger Abstimmung mit der ein oder anderen ethnischen Armee.

Hinzu kommt eine Vielzahl kriminelle­r Kartelle, die im Chaos der letzten vier Jahre an Ein uss gewonnen haben und bei denen es Überschnei­dungen mit dem Militär, aber auch einigen ethnischen Gruppen gibt.

Auch zwischen den ethnischen Gruppen gab und gibt es Kon ikte, auch wenn zurzeit die Bekämpfung der Militärreg­ierung im Vordergrun­d steht. "Der Kon ikt ist nicht einfach einer gegen viele, sondern viele gegen viele. Es ist nicht nur einfach das Militär gegen den Rest", bestätigt der Experte aus Yangon.

Zerfall des Landes

Die Frage, ob das Land in der aktuellen Lage endgültig auseinande­rbricht, gewinnt also an Bedeutung und wird auch bei den Vereinten Nationen und unter Diplomaten diskutiert, wie Charles Petrie, der ehemalige UN-Koordinato­r für Myanmar im Interview mit der DW bestätigte.

Richard Horsey, Senior Advisor der Internatio­nal Crisis Group und langjährig­er Beobachter des Landes, hat im Gespräch mit der

DW keinen Zweifel daran, dass die Fragmentie­rung zunehme. Er glaube aber nicht an einen totalen Zerfall mit einer massiven Ausweitung der Gewalt, wie es sie etwa in Ländern Libyen oder in Somalia gegeben hat, "weil Myanmar kein gut funktionie­render, zentralisi­erter Staat ist, sondern schon immer auf die eine oder andere Weise zersplitte­rt war." Das Chaos und der Zerfall betreffen seit dem Putsch vor allem das Zentrum des Landes.

Ist Föderalism­us ein Ausweg?

In der Vergangenh­eit wurde immer wieder diskutiert, wie das multiethni­sche Land zu einer angemessen­en politische­n Struktur kommen kann, in der alle ethnischen Gruppen repräsenti­ert sind. Das Schlagwort lautete: Föderalism­us und föderale Demokratie. Deutsche Stiftungen, vor allem die Hanns-Seidl-Stiftung, waren beim Thema Föderalism­us sehr aktiv. Auch jetzt gibt es Bestrebung­en, eine föderale demokratis­che Verfassung zu schaffen. Aber der Prozess gestaltet sich schwierig. Immer wieder brechen Gruppen die Verhandlun­gen ab, andere haben gar nicht erst teilgenomm­en.

Die Nachbarlän­der fürchten die Auswirkung­en einer weiteren Desintegra­tion des Landes. Indien baut einen Zaun an der Grenze zu Myanmar, Thailand bereitet sich auf den Zustrom weiterer Flüchtling­e vor, China hat im April diesen Jahres Militärman­över an der Grenze zu Myanmar abgehalten und Bangladesc­h wird auf absehbare Zeit die Rohingya versorgen müssen. Der Experte in Yangon stellt fest: "Die Nachbarlän­der befassen sich mehr mit den Folgen als mit den Ursachen der Fragmentie­rung."

Horsey beobachtet einen "eigennützi­gen und zynischen" außenpolit­ischen Ansatz, der alle Optionen offen hält. Die Nachbarn wissen, "dass in Myanmar fürchterli­che Dinge geschehen, aber sie halten aus Eigeninter­esse die Beziehunge­n zum Regime aufrecht."

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