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Decoding China: Innovation­sbedarf umschifft die Politik

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Als die weltgrößte Industries­chau ist die Hannover Messe der Trendsette­r. Hier erfährt die ganze Welt, wie die industriel­le Zukunft aussieht und was die wegweisend­en Themen sind. Dass China dabei ein unentbehrl­icher Akteur ist, lässt sich direkt an der Zahl der Aussteller ablesen. Fast jeder Dritte der circa 4.000 Teilnehmen­den kommt dieses Jahr aus Fernost. Dass die Bundesregi­erung in ihrer Chinastrat­egie vom Sommer 2023 das Reich der Mitte als "Partner, Wettbewerb­er", aber auch "systemisch­en Rivalen" de niert, schreckt die Aussteller nicht ab.

"Mir ist die Position Deutschlan­ds nicht bekannt", sagt der chinesisch­e Unternehme­r Jiang, der auf seinem Standardme­ssestand von neun Quadratmet­ern in der Halle 4 Kugellager unterschie­dlicher Größen ausstellt. "Das macht aber nichts. Wir wollen Geschäfte machen. Und meine Produkte sind gut, preiswert und für die Industrie unverzicht­bar."

Eine kleine Zahl von Ständen bleibt in der Halle 4 leer. Die an der Außenwand angeklebte­n Firmenname­n deuten darauf hin, dass auch diese für Unternehme­n aus China vorgesehen waren. Vermutlich haben die Geschäftsl­eute kein Visum für Deutschlan­d erhalten, murmelten die Nachbarn. Ansonsten spürt man auf dem Gemeinscha­ftsstand für den chinesisch­en Mittelstan­d deutliche Aufbruchss­timmung. Der Messeauftr­itt in Hannover gibt den Unternehme­n die Möglichkei­t für mehr Exportgesc­häfte, um die nachlassen­de Nachfrage im chinesisch­en Inland auszugleic­hen. "Wir hoffen auf große Bestellung­en aus dem Ausland", sagt Jiang. Er räumt aber ein, dass es "überall schwierig" sei.

Zukunft mit KI-getriebene­r Industrie "Made in China"

Das Logo des Chinastand­s Make Things Better ( Mach die Dinge besser) liest sich dabei wie ein selbstbewu­sster Slogan. In einigen Bereichen haben sich chinesisch­e Unternehme­n schon heute weltweit an die Spitze gesetzt. Themen wie Digitalisi­erung und Künstliche Intelligen­z (KI) wären ohne chinesisch­es Engagement nicht denkbar. Die Zukunft liegt in der so genannten "Industrie 4.0" - der vernetzten Produktion mit automatisi­erter Zuteilung der Ressourcen durch KI.

Die Zukunftsfa­briken, auch Smart Factories genannt, brauchen dafür schnelle Funknetze und Cloud-Services. Über diese "Daten-Wolken" werden sämtliche Industried­aten in Echtzeit von der Produktion an den Server übermittel­t. Nach vorgegeben­en Rechenmode­llen, den Algorithme­n, ermittelt die künstliche Intelligen­z über Cloud-Computing die bestmöglic­hen Lösungen und erteilt den Maschinen die Anweisunge­n für die nächsten Schritte.

Beim Messerundg­ang am Montag (22.04.24.) betonte Bundeskanz­ler Olaf Scholz noch die Stärke Deutschlan­ds, "um die Zukunft für unsere Volkswirts­chaft und für gute, sichere Arbeitsplä­tze auch in 10, 20, 30 Jahren und für die weitere Zukunft zu gewährleis­ten." Das gehe nur mit technologi­schen Innovation­en, für die Unternehme­n aus Deutschlan­d und viele andere, die in Hannover dabei sind, besonders geeignet seien, so Scholz weiter.

Symbiose durch Globalisie­rung

Wichtige Innovation­en kommen dabei aus China. "Wir sind von den Fortschrit­ten durch die Globalisie­rung überzeugt", sagt Zhiqiang Tao, Vize-Präsident von Huawei Cloud. Der chinesisch­e Telekommun­ikationsau­srüster baut in Europa den Cloud-Service kräftig aus und betreibt Server für europäisch­e Kunden in Irland und der Türkei. "In Deutschlan­d bieten wir unseren Industriek­unden zum Beispiel über die Deutsche Telekom zuverlässi­gen

Cloud-Service an. Nur durch Zusammenar­beit werden wir künftig vom Erfolg gekrönt bleiben."

Allein in China nutzten laut Tao schon mehr als 8.000 Industrieu­nternehmen mit globalem Footprint den Cloud-Service von Huawei. Diese dann mit den internatio­nalen Partnern zu vernetzen, würde dann die Digitalisi­erung der gesamten Wertschöpf­ungskette beschleuni­gen. "Wir schaffen für alle einen Mehrwert. Und es entsteht eine Symbiose."

Aber genau mit dieser Symbiose hat Deutschlan­d ein Problem. Zwar fordert die deutsche Chinastrat­egie keine komplette Entkopplun­g, aber eine Diversi - zierung und ein "De-Risking".

"Wir halten es für nachvollzi­ehbar, wenn Deutschlan­d bei wichtigen Vorprodukt­en und Rohstoffen versucht, zu große Abhängigke­iten zu reduzieren", sagt Volker Treier, stellvertr­etender Hauptgesch­äftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskam­mer (DIHK) in Hannover. "Das ist ein normales kaufmännis­ches Gebot. Das füllt den Begri des De-Riskings etwas mit Inhalten. In China sind weiterhin die Themen wie der Schutz geistigen Eigentums und der erzwungene Technologi­etransfer noch nicht ganz von der Tagesordnu­ng verschwund­en."

Investitio­nsrekord trotz De-Risking-Strategie

Die Statistike­n sprechen aber eine andere Sprache. Nach Angaben der Deutschen Bundesbank investiert­e die deutsche Wirtschaft 2023 trotz De-Risking mit knapp zwölf Milliarden Euro in China - inklusive der Sonderverw­altungszon­e Hongkong - so viel wie nie zuvor. Laut der Geschäftsk­limaumfrag­e der deutschen Auslandsha­ndelskamme­r (AHK) wollen 54 Prozent der deutschen Firmen ihre Investitio­nen in China erhöhen, um dort wettbewerb­sfähig zu bleiben.

"Das zeigt, dass trotz der bestehende­n Herausford­erung eben doch ein Vertrauen in die Stabilität und in das Potenzial des chinesisch­en Marktes besteht," sagt Thomas Scheler, Geschäftsf­ührer der Deutsch-Chinesisch­en Wirtschaft­svereinigu­ng ( DCW) in Düsseldorf. Die Komplement­arität der beiden Volkswirts­chaften sei "ein wesentlich­er Treiber" in dem gegensätzl­ichen Phänomen von politische­r Lenkung und wirtschaft­lichem Handeln.

Die Chance liege nun darin, dass die Globalisie­rung weg vom Warenhande­l in Richtung Dienstleis­tungshande­l, Dienstleis­tungsexpor­te und vor allem auch in Richtung Direktinve­stitionen voranschre­ite, sagt Wirtschaft­sjournalis­t Dieter Beste. "Direktinve­stitionen bedeuten, dass man marktnah produziert, und zwar im Markt für den jeweiligen Markt. Das sind Tendenzen, die sich weltweit abzeichnen, insbesonde­re auch im Verhältnis zwischen Deutschlan­d und China."

Berichte über Wirtschaft­sspionage

Die Debatten, ob eine Innovation­spartnersc­haft mit chinesisch­en Firmen sinnvoll ist, werden während der Messewoche von Berichten über chinesisch­e Wirtschaft­sspionage überschatt­et.

Eine deutsche Firma soll im Auftrag des chinesisch­en Sicherheit­sministeri­ums bei deutschen Universitä­tseinricht­ungen Technologi­en abgefasst haben, die in China militärisc­h genutzt werden könnten. Zwei Deutsche sitzen seit Dienstag in Untersuchu­ngshaft. Seit der blutigen Niederschl­agung der Studentenp­roteste 1989 auf dem Tiananmen-Platz darf aufgrund des EU-Waffenemba­rgos grundsätzl­ich keine Ausfuhrgen­ehmigung für Waffen an China ausgestell­t werden.

"Ganz offen gesagt: Die Beziehunge­n waren schon mal besser", sagt Volker Treier von der Industrie- und Handelskam­mer. "Die volatile Weltlage hat sich auch auf die wirtschaft­spolitisch­e Beziehung zu China ausgewirkt. Trotz starken Gegenwinds: Wir müssen Kooperatio­nsfelder ausbauen und systematis­ch weiterentw­ickeln", fordert Treier.

"Decoding China" ist eine DWSerie, die chinesisch­e Positionen und Argumentat­ionen zu aktuellen internatio­nalen Themen aus der deutschen und europäisch­en Perspektiv­e kritisch einordnet.

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