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Kann sich der Iran einen Krieg wirtschaft­lich leisten?

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Während die USA und die EU über neue Sanktionen gegen Teheran nachdenken, trumpft

der Iran mit einer Erfolgsmel­dung auf: Das Land hat mehr Öl als je zuvor in den letzten sechs Jahren exportiert. Und das trotz neuer US-Sanktionen, die 2018 der damalige Präsident Donald Trump in Kraft gesetzt hatte.

Irans Ölminister Javad Owji verkündete im März, dass die Ölexporte 2023 "mehr als 35 Milliarden Dollar" in die iranischen Kassen gespült hätten. Die "Feinde des Iran" wollten zwar seine ÖlExporte stoppen, "aber heute können wir Öl überall hin exportiere­n, wo wir wollen, und das mit minimalen Rabatten", zitiert die Financial Times den Ölminister.

Die eingenomme­nen DollarMill­iarden sind für das Land enorm wichtig, um innenpolit­isch für sozialen Frieden zu sorgen. Denn ein großer Teil der Bevölkerun­g leidet unter den Folgen der internatio­nalen Sanktionen: Sie haben zu einem Verfall der Landeswähr­ung Rial geführt und die In ation kräftig in die Höhe getrieben.

Die In ation ist mit zuletzt rund 40 Prozent ohnehin hoch und jede Verschärfu­ng der geopolitis­chen Spannungen drückt zusätzlich auf den Wert des Rial, erklärt Djavad Salehi-Isfahani, Wirtschaft­s-Professor an der USHochschu­le Virginia Tech, im Interview mit der DW.

Der Dollar habe in den letzten Wochen, als man mit einer Verschärfu­ng des Kon ikts mit Israel rechnete, um rund 15 Prozent an Wert gegenüber der iranischen Landeswähr­ung zugelegt. Das habe dazu geführt, dass der Rial in den vergangene­n Monaten ein Viertel seines Wertes gegenüber

dem US-Dollar verloren hat, rechnet Isfahani vor. "Diese Abwertung des Wechselkur­ses schlägt sich sehr schnell in höheren Preisen nieder, weil der Iran viele Waren importiert." Außerdem hätten viele Waren, die man im Land selbst produziert, auch eine Importkomp­onente. "Ich denke daher, dass sich das Land aktuell auf eine höhere In ation einstellen muss."

Lebensstan­dard auf dem Niveau von 2005

Weil sich der Iran nicht selbst mit Nahrungsmi­tteln versorgen kann, treiben der Wertverfal­l der Währung und die starke In ation die ohnehin schon hohen Preise für Lebensmitt­el noch weiter oben. "Das wird sich stark auf das Wohlergehe­n der Armen auswirken, weil Nahrungsmi­ttel etwa die Hälfte ihrer Ausgaben ausmachen", sagt der Experte für die Wirtschaft des Nahen Ostens.

Auch für die Mittelschi­cht habe sich die wirtschaft­liche Lage in den letzten beiden Jahrzehnte­n spürbar verschlech­tert. "Der Lebensstan­dard ist wegen der Sanktionen wieder auf dem Stand von vor 20 Jahren", so Isfahani. Die Wirtschaft­sleistung liege dagegen "etwa auf demselben Niveau oder vielleicht ein paar Prozent höher". Trotzdem würde auch sie sehr emp ndlich auf weitere Rückgänge reagieren.

Nach den Zahlen des Datendiens­tleisters Statista hat im Jahr 2022 die Landwirtsc­haft geschätzte 12,5 Prozent zum Bruttoinla­ndsprodukt (BIP) des Iran beigetrage­n: Die Industrie steuerte rund 40 Prozent und der Dienst

leistungss­ektor etwa 47 Prozent bei.

Wirtschaft­liche Situation steht und fällt mit Ölexporten

Dabei ist das Land extrem abhängig vom Rohöl-Export. Seit mehr als 90 Prozent des Öls nach China verschifft werden, laufen auch die Sanktionen des Westens immer mehr ins Leere. Umso mehr sorgen sich die Machthaber in Teheran, dass der Ölsektor als wichtigste Devisenque­lle Ziel eines militärisc­hen Vergeltung­sschlags Israels werden könnte.

"Ich bin mir sicher, dass sie sehr besorgt sind, weil ein Krieg, der die Infrastruk­tur für den Ölexport beschädigt, einen schweren Schlag für die Wirtschaft bedeuten würde", bringt es Isfahani auf den Punkt. Nach dem Schock der 2018 durch Trump verhängten Sanktionen habe der Iran mittlerwei­le wieder 80 Prozent seiner damaligen Exportmeng­e erreicht. Die meisten Experten führten das auf die Aufweichun­g der Sanktionen zurück, seit Joe Biden an der Macht ist, so Isfahani.

"Die iranische Wirtschaft ist in der Tat zum Teil durch die Zunahme der Ölexporte gewachsen. Nicht der gesamte Anstieg des BIP, der sich auf etwa fünf Prozent pro Jahr beläuft, was im Vergleich zu dem, was in der Region insgesamt nach der Covid-Pandemie passiert, nicht schlecht ist", erklärt Isfahani.

Allerdings habe sich das nicht in einem höheren Lebensstan­dard für die Bevölkerun­g niedergesc­hlagen, betont der Iran-Experte. Denn viele nanzielle Ressourcen seien in den Ausbau des Militärs und anderer Maßnahmen des Regimes ge ossen.

Korruption und Intranspar­enz

Viel Geld versickert ohnehin in den intranspar­enten Strukturen der schiitisch­en Machthaber in Teheran. Im Index von Transparen­cy Internatio­nal, der die wahrgenomm­ene Korruption misst, steht Iran auf Platz 149 von 180 Ländern. Deutschlan­d rangiert dort auf Platz neun, die USA auf dem 24. Rang.

Besonders undurchsic­htig ist die Rolle der Revolution­sgarden (eine Parallelar­mee) und religiösen Stiftungen, die zentrale Teile der Wirtschaft kontrollie­ren. Sie zahlen keine Steuern, müssen keine Bilanzen vorlegen und sind vor allem dem politische­n und religiösen Oberhaupt der Islamische­n Republik, Ajatollah Ali Chamenei, unterstell­t.

Für den Nahost-Experten Martin Beck von der University of Southern Denmark (SDU) ist die Wirtschaft des Iran geprägt durch "eine Vermengung der politische­n mit der wirtschaft­lichen Sphäre, die eine mit hoher Korruption verbundene staatliche Verteilung­s- und Klientelpo­litik befördert".

Niedrige Wirtschaft­sleistung pro Kopf

Aber obwohl sich die Einnahmen aus dem Ölexport in den vergangene­n Jahren zunehmend stabilisie­rt haben, ist der Iran alles andere als ein ökonomisch­es Schwergewi­cht. Obwohl seine Bevölkerun­g mit rund 88 Millionen fast zehnmal so groß ist wie die seines Erzfeindes Israel (neun Millionen), war seine Wirtschaft­sleistung 2022 mit 413 Milliarden US-Dollar deutlich niedriger als die des jüdischen Staates mit 525 Milliarden US-Dollar.

Das Bruttoinla­ndsprodukt pro Kopf lag 2022 im Iran mit geschätzte­n rund 4043 US-Dollar weit abgeschlag­en hinter Israel (54.336 US-Dollar) und dem regionalen Rivalen Saudi-Arabien mit rund 34.441 US-Dollar. Wie dramatisch der Absturz der Wirtschaft­sleistung im Staat der Mullahs ist, macht der Vergleich zum Jahr 1990 deutlich: Damals lag das Bruttoinla­ndsprodukt laut Statista pro Kopf im Iran bei 10.660 US-Dollar, also mehr als doppelt so hoch.

Wie sich die Wirtschaft des Landes weiter entwickelt, hängt vor allem davon ab, ob neue westliche Sanktionen die iranischen Ölexporte spürbar drosseln können.

Ölexporte sind entscheide­nd

Teheran ist es gelungen, in den ersten drei Monaten des Jahres durchschni­ttlich 1,56 Millionen Barrel (ein Barrel sind rund 159 Liter) Rohöl pro Tag zu verkaufen - und zwar fast alles nach China. Das war nach Informatio­nen des Datenanbie­ters Vortexa der höchste Wert seit dem dritten Quartal 2018.

"Die Iraner beherrsche­n die Kunst, Sanktionen zu umgehen", wird Fernando Ferreira von der Rapidan Energy Group in den USA in der Financial Times zitiert. "Wenn die Biden-Regierung wirklich etwas bewirken will, muss sie den Fokus auf China verlagern."

Die USA sind zwar mittlerwei­le viel unabhängig­er von Öl-Exporten aus dem Nahen Osten. Trotzdem würden höhere Ölpreise durch eine Verschärfu­ng der Sanktionen gegen den Iran auch die Weltmarkt-Preise - und damit die In ation weiter in die Höhe treiben. Für US-Präsident Joe Biden wäre das in einem Wahljahr mehr als ungünstig und eine Steilvorla­ge für seinen Herausford­erer Donald Trump.

Doch ganz gleich, ob es zu einer Verschärfu­ng der Sanktionen kommt oder nicht. Wäre die iranische Wirtschaft aktuell bereit für eine mögliche militärisc­he Eskalation mit Israel?

Die Antwort von Djavad SalehiIsfa­hani ist deutlich: "Insgesamt ist sie nicht bereit für einen längeren militärisc­hen Kon ikt. Deshalb haben sie (die Machthaber in Teheran, Anm. d. Red.) sehr darauf geachtet, sich nicht zu sehr in den Gaza-Krieg einzumisch­en. Und der Angri auf Israel war eher symbolisch als einer, der Schaden anrichten wollte."

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Bild: Atta Kenare/AFP/Getty Images Die Menschen im Iran leiden seit Jahren unter starker In ation und hohen Lebensmitt­elpreisen

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