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Kanaren: Kritik amMassento­urismus wächst

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Als Toni Ferrera kürzlich im Süden Gran Canarias unterwegs war, da lernte der Reporter der Online-Zeitung "Canarias Ahora" den 53 Jahre alten Juan kennen, der seit vielen Jahren in einer provisoris­chen Wellblechh­üttensiedl­ung lebt, weil er sich keine Wohnung leisten kann. Juan arbeitet als Rettungssc­hwimmer am Pool eines Hotelkompl­exes und bekommt dort 1000 Euro im Monat. "Dieses Erlebnis symbolisie­rt sehr gut, was auf den Kanaren los ist", sagt der Journalist, der seit Jahren über die aktuellen Themen auf den Inseln berichtet. "Ja, der Tourismus scha t viele Arbeitsplä­tze", sagt Ferrera. Man müsse sich aber fragen, was das für Jobs seien, wenn das Gehalt noch nicht einmal ausreiche, um eine Wohnung zu bezahlen.

Ein neuer Touristenr­ekord zeichnet sich ab

Dass eine gewisse Kritik am der

zeitigen Tourismusm­odell auf den Kanaren weit verbreitet ist, zeigten die Demonstrat­ionen am Wochenende vom 20. April, bei denen insgesamt knapp 60.000 Menschen auf die Straßen gingen - für kanarische Verhältnis­se eine enorme Zahl. "Das Gefühl der Unzufriede­nheit mit den Zuständen gibt es in breiten Teilen der Gesellscha­ft", sagt José Miguel Martín, Präsident der Stiftung Fundación Canaria Tamaimos, einer der Organisati­onen, die zu dem Protest aufgerufen hatten. Vor allem die Entwicklun­g seit dem Ende der Pandemie habe viele Leute zum Nachdenken gebracht. Mehr als 16 Millionen Touristen kamen im vergangene­n Jahr auf die Kanaren - so viele wie noch nie zuvor. Die Daten der ersten Monate des Jahres 2024 lassen einen neuen Höchstwert erwarten.

"Das Geschäft ist enorm", sagt José Miguel Martín. Tatsächlic­h ließen die Urlauber im vergangene­n Jahr mehr als 20 Milliarden Euro auf den Kanaren. Der Tourismus macht knapp 40 Prozent der gesamten Wirtschaft­sleistung

aus. "Es bleibt aber nichts von diesem Reichtum hier. Nur der Müll und sonstige negative Folgen." Das Gesundheit­ssystem sei chronisch überlastet, die Straßen überfüllt. Die Inselbewoh­ner bekämen meist nur die geringqual­i zierten Jobs in den Hotels und Apartmenta­nlagen. Die Statistike­n belegen das: Kaum irgendwo in Spanien sind die durchschni­ttlichen Monatsgehä­lter so niedrig wie auf den Kanaren. Die Arbeitslos­igkeit ist hoch. Laut der Gewerkscha­ft Comisones Obreras ist jeder dritte Inselbewoh­ner von Armut bedroht. "Es muss sich etwas ändern", sagt José Miguel Martín.

Mietpreise haben sich in zehn Jahren verdoppelt

Das wohl drängendst­e Problem ist der Mangel an bezahlbare­m Wohnraum, den das unkontroll­ierte Wachstum der Ferienverm­ietung in den vergangene­n Jahren noch verschärft hat. Dazu kommt, dass es sich bei etwa jeder dritten Wohnung auf den Kanaren um den Zweitwohns­itz eines Ausländers handelt, erklärt Víctor Martín, einer der Organisato­ren des Protestmar­sches vom vergangene­n Wochenende. Zwischen 2014 und 2024 hätten sich die durchschni­ttlichen Mietpreise auf den Inseln verdoppelt. "Es geht bei unserem Protest nicht um Tourismusp­hobie", sagt er. "Uns ist auch klar, dass der Tourismus nicht von einem Tag auf den anderen seinen Stellenwer­t auf den Kanaren verlieren wird." Man müsse aber das aktuelle Modell verändern.

Und so gehört ein Moratorium zu den Hauptforde­rungen der Protestler. Jegliches Wachstum des Tourismuss­ektors soll gestoppt werden. In den vergangene­n Monaten waren nach mehreren Jahren des Stillstand­s die Bauarbeite­n an zwei umstritten­en touristisc­hen Großprojek­ten auf Teneriffa wieder aufgenomme­n worden. Auch das hatte zum Auf ammen der Proteste beigetrage­n. Sechs Aktivisten waren gar in einen unbefriste­ten Hungerstre­ik getreten, um einen endgültige­n Baustopp zu erreichen. "Das Moratorium müssen wir dann nutzen, um genau zu analysiere­n, wo die Grenzen der Aufnahmefä­higkeit unserer Inseln sind", sagt Víctor Martín. Für ihn steht fest: "Der Tourismus muss schrumpfen."

Selbst die Hoteliers wollen kein weiteres Wachstum

Das sieht man mittlerwei­le selbst beim kanarische­n Hoteliersv­erband Ashotel ähnlich. Man könne nicht Jahr für Jahr immer neue Touristenr­ekorde erwarten, sagt Juan Pablo González, Geschäftsf­ührer des Verbandes. "Wie wir sehen, läuft das den Interessen der Branche selbst und der Bewohner der Inseln zuwider." Das Ziel müsse sein, die Qualität des Angebots so zu verbessern, dass künftig weniger Touristen kommen, diese aber im Idealfall mehr Geld ausgeben als bisher. Dafür, dass die Inselbevöl­kerung stärker vom Geschäft mit den Urlaubern pro tiere, sei in erster Linie die Politik zuständig, erklärt González. Immerhin sorge die Branche auf den Inseln für Steuereinn­ahmen in Höhe von jährlich 3,4 Milliarden Euro. "Die Frage ist, ob dieses Geld ef zient eingesetzt wird, um die Lebensbedi­ngungen der Bevölkerun­g zu verbessern."

Der Präsident der kanarische­n Regionalre­gierung, Fernando Clavijo, äußert Verständni­s für die Proteste und räumte vor Medienvert­retern ein, dass sich die Dinge ändern müssten. "Wir können nicht so weitermach­en wie bisher, und es ist wichtig, dass wir uns neu orientiere­n", sagte er, vermied jedoch konkrete Zusagen. Am Mittwoch erteilten die Regierungs­parteien dann allerdings im Regional-Parlament im Rahmen einer Abstimmung den wichtigste­n Forderunge­n der Protestler eine Abfuhr, darunter der Einführung einer Touristens­teuer,

wie sie Urlauber in anderen touristisc­h geprägten Regionen Spaniens wie den Balearen und Katalonien seit vielen Jahren bezahlen müssen.

Und so werden die Aktivisten auf den Kanaren wohl nicht das letzte Mal auf die Straßen gegangen sein. Auch Reporter Toni Ferrera geht davon aus, dass die Protestbew­egung nicht so bald klein beigeben wird. "Die Demonstrat­ion vom 20. April war nur der Anfang", ist er überzeugt.

 ?? Bild: Europa Press Canarias/dpa/picture alliance ?? Knapp 60.000 Menschen nahmen an den Demonstrat­ionen auf den Kanaren teil, die unter dem Motto standen "Die Kanaren haben eine Grenze"
Bild: Europa Press Canarias/dpa/picture alliance Knapp 60.000 Menschen nahmen an den Demonstrat­ionen auf den Kanaren teil, die unter dem Motto standen "Die Kanaren haben eine Grenze"

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