Deutsche Welle (German edition)
"Das andere Berlin": Reiseführer und Videoguide
Zu Berlin ist alles geschrieben und gesagt? Das geht schon deshalb nicht, weil die Stadt sich ständig verändert. Sie auch noch im Buch festzuhalten wäre aussichtslos, weil alles nur Momentaufnahme bliebe?
Dem Autor Oliver Kiesow und dem Berliner Videocontent-Creator Kai Steinecke ist mit dem Buch ein Balanceakt zwischen klassischem Sightseeing und dem Einblick in eine schnelllebige Szene gelungen. Denn natürlich führt das Buch zu den wichtigen Sehenswürdigkeiten der Stadt, vors Brandenburger Tor, zum
Reichstag und auf die Museuminsel. So schnell wird sich deren Status als Must-See auch nicht ändern. Die Stationen gehören zum Tagesprogramm.
"Berliner Nächte sind lang"
Und dann wird es Nacht. Mit dem ersten Kapitel ist der Ton gesetzt: "Berliner Nächte sind lang" heißt es in Anlehnung an den Song "Kreuzberger Nächte sind lang" aus den 1970er-Jahren: "Hier steppt der Bär." Womit der Reiseführer über das andere Berlin schnurstracks in der Clubszene angekommen ist. Mit Clubs wie
Berghain, Tresor und Bunker erlangte Berlin Weltruhm. Leser erfahren, dass rund 1,4 Milliarden Euro Umsatz in Hotelgewerbe und Gastronomie auf den Clubtourismus zurückzuführen waren, zumindest bis kurz vor der Pandemie. Sie lesen aber auch, wo
Tanzen abseits der Touristenpfade möglich ist, wo Livemusik gespielt wird, welche Kneipentouren sich anbieten, wo die besten Biergärten liegen. "Partylocation ist die ganze Stadt", sagt DW-Host Kai Steinecke dazu. Die Szene verändert sich schnell, aber wer die "Kieze", wie die Berliner ihre Stadtteile nennen, so detailreich mit ihren Schleichwegen und Geheimtipps vorgestellt bekommt, ist gerüstet für eigene Entdeckungen.
Für Steinecke ist Berlin die "Stadt im permanenten Umbau". Sie war durch die Jahrhunderte
Experimentierfeld für architektonische Visionen. Das Buch beschreibt und bebildert die historischen Brüche, die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg, den Nachkriegsaufbau in der geteilten Stadt und die fast 35 Jahre seit dem Mauerfall.
Best of Currywurstbuden
Und dann ist es immer wieder das Schräge, Skurrile und Sinnliche, von dem sich dieser Berlinführer leiten lässt. Mehrere Kapitel widmen sich dem kulinarischen Angebot der Stadt: den besten Adressen für die Currywurst, für den in Berlin erfundenen Döner, das Fleisch vom Spieß, das mit Salat in ein aufgeschnittenes im Brot gepackt wird, das urberlinerische deftige Eisbein. Selbst die Blutwurstmanufaktur in Neukölln wird gewürdigt, mit Adresse und U-Bahn-Haltestelle.
Da müssen Vegetarier und Veganer einen Moment lang stark bleiben, bis sie ihre Tipps fürs eischlose Glück bekommen. Nach London gilt Berlin als zweitgrößte vegane Metropole der Welt. Vom Streetfood bis zum Fine Dining der Sterneküche bietet der Reiseführer Dutzende Adressen und Kurzporträts. Der alte
Vorwurf, Berlin sei eine kulinarische Steppe, preußisch, protestantisch und karg, wurde in den vergangenen Jahrzehnten häu g widerlegt, und dazu haben die Einwanderer aus fast allen Nationen der Welt beigetragen. Auch ihrem Platz in der Berliner Kulinarik ist ein Kapitel gewidmet.
Berlins queere Geschichte
"Das andere Berlin" zeigt aber auch, was an Berlin anders ist als an anderen Städten. Kaum sonst wo gibt es eine so vielfältige und so traditionsreiche schwul-lesbische und queere Szene wie in der deutschen Hauptstadt. Sie ist verbunden mit dem politischen Kampf um Gleichstellung und Freiheitsrechte, der vor mehr als 150 Jahren begann. Im damaligen Deutschen Reich wurde der Strafrechtsparagraf 175 eingeführt, der homosexuelle Handlungen unter Strafe stellte. Das Kapitel „Der lange Weg zur Freiheit" führt zu den Stätten Berlins, die an die Verfolgung, etwa in der NS-Diktatur, erinnern.
Heute ist Berlin nicht nur Party-, sondern auch LGBTQ+-Metropole. Mit dutzenden Tipps zum Ausgehen in der Szene endet der knapp 200 Seiten starke Reiseführer.
Das Gute ist: Selbst wer nur wenig Deutsch beherrscht, wird sich in diesem Reiseführer schnell zurecht nden. Die Fotos, die Adressen, alle mit den S- und UBahnhaltestellen versehen, springen ins Auge. Und wer sich die Highlights im Video ansehen möchte, scannt mit seinem Smartphone den QR-Code und schaut sich einen der kurzen Info lme an.
Oliver Kiesow: Das andere Berlin. Mit Insidertipps zu Kunst und Kultur, Architektur, Hotspots, Food, Nightlife, Queer Life. Fotogra ert von André Götzmann. 192 Seiten, 115 Fotos
te als "Nakba", "Katastrophe", bezeichnet.
Eine weitere zentrale Figur in Soualems Dokumentar lm ist ihre Mutter, die gefeierte palästinensische Schauspielerin Hiam Abbass. Sie verließ ihr Dorf Deir Hanna, um ihre Schauspielkarriere in Europa fortzusetzen - eine weitere Form des Exils, die sich auf die Identität ihrer Tochter auswirkte. Soualem wuchs in Frankreich auf und sehnte sich danach, ihre Herkunft besser zu verstehen.
Für Soualem führt die Erforschung intimer Beziehungen innerhalb einer palästinensischen Familie automatisch zur kollektiven Geschichte ihres Volkes: "Jede palästinensische Geschichte ist per se politisch", betont sie, da sie "nicht nur überlebten, sondern auch weiterlebten, nachdem sie massive Enteignungen und den Entzug ihrer Identität als Palästinenser erlebt hatten - was bei jedem Palästinenser der Fall ist, insbesondere seit 1948".
Die Geschichten der Ausgeschlossenen erzählen
Ihr Film wurde bereits vor den
Terroranschlägen der Hamas am 7. Oktober, die zu den israelischen Vergeltungsschlägen im Gazastreifen führten, fertig gestellt. Er feierte im vergangenen September bei den Filmfestspielen in Venedig Premiere. Außerdem wurde er als palästinensischer Beitrag für die Oscar-Verleihung 2024 ausgewählt.
Doch schon vor und während der Dreharbeiten "gab es die Entmenschlichung der Palästinenser, die Beraubung ihrer Identität, die Unterdrückung. All das war bereits Realität", sagt die Regisseurin.
"Wir sprechen immer von den
Palästinensern als Masse, als wären sie ein abstraktes Volk. Wir sprechen über Gaza als Abstraktion. Aber in Wirklichkeit geht es um Leben, es geht um Menschen." Und sie fügt hinzu: "Ich war motiviert, diesen Film zu machen, um den Palästinenserinnen und Palästinensern durch meine persönliche Geschichte Komplexität zurückzugeben, weil sie so entmenschlicht, so stigmatisiert wurden."
Soualems Dokumentar lm spiegelt auch das diesjährige Motto des Arabischen Filmfestivals wider: "In einem Kontext, in dem Geschichten unsichtbar gemacht und marginalisiert werden, sind Bilder und das Erzählen von Geschichten von entscheidender Bedeutung. Denn wenn wir unsere Geschichten nicht erzählen, wird die Geschichte ohne uns geschrieben", betont sie. "Die Fähigkeit, unser Wissen zu teilen, ist auch eine Art zu überleben. Vor allem in einem Kontext, in dem Leben verschwinden, wird das Kino immer da sein, um an diese Menschen zu erinnern, deren Leben ausgelöscht werden."