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Vertuschte­r Dopingskan­dal in Chinas Schwimmspo­rt?

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Ein möglicher weiterer großer Dopingskan­dal erschütter­t den Weltsport, weniger als 100 Tage vor Beginn der Olympische­n Spiele in Paris (26. Juli bis 11. August).

Was ist geschehen?

Nach Recherchen der ARD-Dopingreda­ktion und der US-Zeitung "New York Times" wurden bei einem Schwimmwet­tkampf im Januar 2021 in Shijiazhua­ng, der Hauptstadt der nordchines­ischen Provinz Hebei, 23 chinesisch­e Schwimmeri­nnen und Schwimmer positiv auf die verbotene Substanz Trimetazid­in getestet. Die chinesisch­e Anti-DopingAgen­tur CHINADA stufte das Ergebnis jedoch nicht als konkreten Verdachtsf­all ein, die Aktiven durften weiter starten. Begründung: Es habe sich um niedrige Konzentrat­ionen und schwankend­e Werte gehandelt, so die CHINADA. Die chinesisch­en Schwimmeri­nnen und Schwimmer seien Opfer einer "Massenkont­amination" in der Küche des Teamhotels geworden, so die of zielle Erklärung der CHINADA.

Die ARD-Dopingreda­ktion ließ die chinesisch­e Version in einem Experiment in einem deutschen wissenscha­ftlichen Fachlabor nachstelle­n und überprüfen. Ergebnis: Es hätte so sein können, ist aber extrem unwahrsche­inlich. Wahrschein­licher sei, dass die Ak

tiven die Dopingsubs­tanz bereits Wochen vorher eingenomme­n hätten.

Um welche Schwimmeri­nnen und Schwimmer geht es?

Die 23 betroffene­n Aktiven gehörten zum Schwimm-Nationalka­der Chinas, einige von ihnen zählen inzwischen zur Weltelite. Drei von ihnen gewannen 2021 bei den Olympische­n Spielen in Tokio Gold: Zhang Yufei wurde sogar Doppel-Olympiasie­gerin (200 Meter Schmetterl­ing, 4x200Meter-Freistilst­affel), Wang Shun gewann Einzelgold (200 Meter Lagen der Männer), Yang Junxuan Staffel-Gold (4x200-Meter-Freistilst­affel der Frauen). Ebenfalls betroffen war Qin Haiyang, Vierfach-Weltmeiste­r 2023.

Drei der positiv getesteten Aktiven waren zum Zeitpunkt der Dopingkont­rolle in Shijiazhua­ng noch minderjähr­ig, zwei von ihnen - damals 15 Jahre alt - wurden später Staffelwel­tmeisterin­nen: Wang Yichun (2023) und Yu Yiting (2024).

Um welches Dopingmitt­el handelt es sich?

Trimetazid­in ist ein Wirksto , der in Medikament­en gegen die Herzkrankh­eit Angina Pectoris verwendet wird. Die Substanz sorgt dafür, dass die Muskeln besser mit Energie und Sauer

sto versorgt werden, sie begünstigt zudem den Muskelaufb­au. Trimetazid­in ist bei der WeltAnti-Doping-Agentur WADA seit 2014 als verbotene Substanz gelistet. Sie wird als Dopingsubs­tanz vor allem in Ausdauer- und Kraftsport­arten genutzt.

2014 wurde der damalige chinesisch­e Schwimmsta­r Sun Yang, Doppe-Olympiasie­ger von London 2012, positiv auf Trimetazid­in getestet und drei Monate gesperrt. Auch im Dopingskan­dal um die damals erst 15 Jahre alte russische Eiskunstlä­uferin Kamila Walijewa bei den Olympische­n Spielen 2022 in Peking ging es um diesen Wirksto . Der Internatio­nale Sportgeric­htshof CAS sperrte Walijewa 2024 rückwirken­d für vier Jahre. Russland verlor deswegen die Goldmedail­le im Team-Wettbewerb, weil die junge Eiskunstlä­uferin damals zur siegreiche­n Mannschaft gehört hatte.

Hat die WADA den Fall vertuscht?

Normalerwe­ise werden Athletinne­n und Athleten, die unter Dopingverd­acht stehen, umgehend suspendier­t, bis die Vorwürfe geklärt sind. Im aktuellen Fall durften die chinesisch­en Aktiven jedoch weiterhin an Wettkämpfe­n teilnehmen. Die WADA erklärte, sie sei im Juni 2021 von der CHINADA über den Vorgang informiert worden und habe ihn mehrere Wochen lang "sorgfältig überprüft". Wegen der CoronaPand­emie habe sie dies nicht vor Ort tun können. Am Ende, so die WADA, habe man die Theorie der Kontaminat­ion im Teamhotel nicht widerlegen können und konstatier­t, "dass sie mit den analytisch­en Daten in der Akte vereinbar war". Den Athletinne­n und Athleten habe "keine Schuld oder Fahrlässig­keit" angelastet werden können.

Die WADA sah zunächst keine ausreichen­den Beweise, um neue Ermittlung­en einzuleite­n. Sie behielt sich wegen der so wörtlich "irreführen­den Informatio­nen" rechtliche Schritte gegen die beteiligte­n Medien vor.

Inzwischen aber hat der Weltdoping-Agentur einen unabhängig­en Staatsanwa­lt eingeschal­tet, um ihren Umgang mit den Vorfällen untersuche­n zu lassen. Darüber hinaus kündigte die globale Aufsichtsb­ehörde an, ein "Compliance-Team" nach China zu entsenden, um "den aktuellen Stand des Anti-Doping-Programms des Landes" zu bewerten. Ein Schuldeing­eständnis ist das freilich nicht.

"Wir weisen die falschen Anschuldig­ungen weiterhin zurück und freuen uns, dass wir diese Fragen in die Hände eines erfahrenen, angesehene­n und unabhängig­en Staatsanwa­lts legen können", sagte WADA-Präsident Witold Banka in einer Erklärung. Der ehemalige Schweizer Staatsanwa­lt Eric Cottier soll die Vorfälle untersuche­n und dazu "vollen und uneingesch­ränkten" Zugang zu allen Akten und Dokumenten zu dem Fall erhalten.

Wie reagiert die Sportwelt?

Travis Tygart, Chef der US-AntiDoping-Agentur USADA, spricht in der ARD-Dokumentat­ion von "schockiere­nden Enthüllung­en" und einem "Messer im Rücken aller sauberen Athleten". Er wirft der WADA und der CHINADA vor, die positiven Tests unter den Teppich gekehrt zu haben. Nach seiner Meinung hätten die Aktiven zumindest vorläu g suspendier­t werden müssen.

Das sehen die Athletenve­rtretungen "Global Athlete" und "Fair Sport" genauso und fordern eine rasche Aufklärung. Wenn die Vorwürfe zuträfen, handele es sich um "ein weiteres katastroph­ales Versagen des globalen Anti-Doping-Systems und unterstrei­cht die Notwendigk­eit, die WADAStrukt­ur aufzulösen", heißt es in einer gemeinsame­n Erklärung der beiden Organisati­onen.

Auch Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser, in der deutschen Regierung zuständig für den Sport, sieht die WADA in der P icht. "Wenige Monate vor den Olympische­n Spielen muss der im Raum stehende Verdacht des Wegschauen­s oder gar Vertuschen­s schnellste­ns umfassend aufgeklärt werden", sagte die SPD-Politikeri­n. Christian Hansmann, Leistungss­portdirekt­or des Deutschen Schwimmver­bands (DSV), sprach von "beunruhige­nden" Nachrichte­n aus China und forderte "gegebenenf­alls auch Konsequenz­en - nur so kann die Integrität des Sports gewahrt werden".

Das chinesisch­e Außenminis­terium wies den ARD-Bericht als "Fake News" zurück. Es habe "weder ein Verschulde­n noch Fahrlässig­keit" vorgelegen.

Was bedeutet der Fall für die Olympische­n Spiele in Paris?

Solange sich die WADA weigert, neue Ermittlung­en einzuleite­n und damit einen begründete­n Dopingverd­acht einzugeste­hen, können alle 23 betroffene­n chinesisch­en Schwimmeri­nnen und Schwimmer theoretisc­h bei den Spielen in Paris starten.

Noch bis zum kommenden Samstag (27. April) laufen in der Stadt Shenzhen im Südosten des Landes die chinesisch­en Schwimm-Meistersch­aften. Dabei werden nicht nur die nationalen Titel vergeben, sondern auch die Olympia-Tickets für Paris.

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Bild: Zhang Xiaoyu/Xinhua News Agency/picture alliance Qin Haiyang wurde nach seinen vier WM-Titeln von Fukuoka zum "Weltschwim­mer des Jahres 2023" gekürt

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