DIE ENTDECKUNG DER LANGSAMKEIT
Im Sommerhaus von Line und Martin steht die Zeit still.
Auf der norwegischen Insel Sandø steht die Zeit still – ein Sehnsuchtsort nicht nur für Kinder. Das Sommerhaus von Line und Martin erzählt Geschichten aus längst vergangenen Tagen – und auch vom Pioniergeist ihres Urgroßvaters.
Wenn der Sommer vor der Tür steht, packt Line Kind und Kegel ein und macht sich auf nach Sandø. „Gott sei Dank hat mein Urgroßvater damals schon anders gedacht“, strahlt Line begeistert. 1918 erwarb der besagte Vorfahre gemeinsam mit Freunden das nur einen Quadratkilometer kleine Eiland und die zwei Nachbarinseln. Das Feriendomizil liegt am südlichen Zipfel des Oslofjordes in der Inselgemeinde Tjøme. Das Stückchen Erde samt pittoreskem Sommerhaus ist nun schon in vierter Generation fest in Familienhand. Nur eine kurze Bootsfahrt vom kleinen Hafenörtchen Hvasser entfernt kann der Sommer beginnen. „Wer auch immer nach Sandø kommt, Stress und Sorgen bleiben auf dem Festland“, schwärmt Line. Die vor knapp 100 Jahren sehr unkonventionelle Investition des Urgroßvaters beschert ihr heute noch unbeschwerte Stunden, die sie mit Familie und Freunden abseits der Hektik des Alltags verbringen kann. „Das Leben auf Sandø ist langsam“, erzählt die Naturliebhaberin. „Wir versuchen, auf unsere innere Uhr zu hören. Wir stehen auf, wenn wir aufwachen, essen, wenn wir Hunger haben und
schlafen, wenn wir müde sind.“Noch heute ist der Rhythmus der alten Tage auf der Insel lebendig. Das Haus, erbaut in den Jahren um 1900, wurde vom Urgroßvater nur um einige Räume erweitert. Line und ihr Mann Martin investierten viel Mühe, um das großzügige Haupthaus und den kleineren Seitenflügel mit insgesamt 180 Quadratmetern nachhaltig aufzuwerten und dabei gleichzeitig den ursprünglichen Charme des Anwesens zu bewahren. „Wir haben die alten Dachziegeln bei Reparaturarbeiten nach vorne gesetzt, damit das authentische Gesicht des Hauses erhalten bleibt“, erklärt Line stolz. Im Inneren hat das Ehepaar die Zimmer lediglich neu arrangiert, ohne den Grundriss zu verändern. Das Badezimmer musste seinen Platz für eine größere Küche räumen. Die junge Generation wollte auf modernen Wohnkomfort nicht verzichten und gleichzeitig die lange Tradition des Hauses zusätzlich unterstreichen. Überall erinnern vor allem liebevoll restaurierte Möbelstücke an viele glückliche Sommertage. Ein antiker Korb platziert vor frischem Weiß oder auch der aufwendig verzierte Holzsekretär passend in Szene gesetzt, verweisen auf den erlesenen Geschmack der Hausherrin. „Massenware ist bei uns strengstens verboten“, lacht die Interieur-Enthusiastin. Auch in
Lines Küche wird man keine Fertigprodukte finden. Denn der Sommer auf Sandø bedeutet für die Familie ein Leben im Einklang mit der Natur – und das in jeder Hinsicht. Auf dem Ferienspeiseplan stehen einfache, sommerliche Gerichte mit Gemüse und Kräutern aus dem Garten, frischem Fisch und Beeren, die an jeder Ecke wild wachsen. Gutes Essen, reichlich frische Luft, die Sonne und das Meer sind ein zeitloser Garant für erholsame Tage. Die Nachtruhe verbringt man auf Sandø ebenso stilbewusst. Denn das historische Bett der Urgroßeltern ziert heute immer noch das Elternschlafzimmer. Mit einer hübschen, floralen Tagesdecke in Pastelltönen und weichen Kissen darf das 100 Jahre alte Schmuckstück ganz ungeniert seinen zweiten Frühling erleben. „Ich werde immer ganz ehrfürchtig bei dem Gedanken daran, dass hier schon drei Generationen vor mir geschlafen haben“, gesteht Line gerührt. Im gleisenden Licht der transparenten Vorhänge könnte man meinen, dass der alte Hausherr gerade erst den Raum verlassen hat, um noch einen Spaziergang über seine Insel zu machen. „Mein Urgroßvater war ein weiser Mann“, resümiert Line, „jetzt liegt es an uns, die Schönheit dieses Ortes zu erhalten und an die nächste Generation weiterzugeben.“