Leben im Fluss
Mit viel Traditionsbewusstsein, Leidenschaft, Kreativität und Stilgefühl erweckten Christian und Ladina ein altes Anwesen im Unterengadin in der Schweiz wieder zu neuem Leben.
Ein uriges Anwesen im Unterengadin in der Schweiz beeindruckt durch sein traditionelles und stilvolles Interieur.
Als Ladina und Christian vor etwa zwanzig Jahren in das ehemalige Ferienhaus der Familie einzogen, setzten sie sich zum Ziel, am Interieur des Bauernhauses so wenig wie möglich zu verändern. Sicherlich hatten auch Kindheitserinnerungen damit zu tun. Hier wohnte schon Christians Großmutter – seine Familie verbrachte regelmäßig die Sommerferien und den Winterurlaub in diesem traditionellen Haus. Christian Klainguti wurde in Südfrankreich geboren und besuchte dort die Schule. Dass er im späteren Leben einmal Architekt werden würde und obendrein noch Experte in Sachen Instandsetzung alter Engadiner Bausubstanz, hätte er sich damals sicher nicht träumen lassen. Heutzutage sind solche alten Bauernhäuser zu begehrten Immobilien geworden. Es ist also Glück, dass das Haus immer im Familienbesitz blieb. Von außen verrät das Bauernhaus nichts von seinem stilvollen Innenleben. Der traditionelle „Sgraffito“Stuck mit heimatlichen Motiven ziert Teile der Eingangsfassade und bildet ein Ziffernblatt für eine Sonnenuhr. Die Handwerkstechnik des Kratzputzes wird hier seit dem 16. Jahundert gepflegt. Es handelt sich um eine Methode zur Bearbeitung von Wandflächen durch das Aufbringen verschiedenfarbiger Putzschichten. Beim Betreten der Eingangshalle werden Besucher meistens durch das Bellen der beiden
Schon beim Betreten der Diele umfängt den Gast die wohlige Atmosphäre
Haushunde Baldo und Kalhua begrüßt. Vom doppelt verglasten Foyer gelangt man über eine Stufe in einen langen Flur. Das alte Lärchenparkett knarrt unter den Füßen. „Dies ist der sogenannte Suler,“erklärt uns der Hausherr und Experte Christian Klainguti. „Im traditionellen Engadiner Bauernhaus ist dies der Schlüsselraum, in den die Treppe vom Keller und vom Obergeschoss mündet.“Um den „Suler“ein wenig aufzuhellen, strichen Christian und Ladina die Holzdecke weiß. Nur die vier quer zum Flur verlaufenden, jahrhundertealten Stützbalken wurden im Rohzustand beibehalten. Links von der Eingangstür gelangt man in die holzvertäfelte Arvenstube. Hier sitzt man gerne mit der Familie und Freunden zusammen. Das Arvenholz laugten die Hausbesitzer in monatelanger Arbeit ab, um seine originale, gelbrötliche Patina freizulegen. Arvenholz stammt von der seltenen Zirbelkiefer, die nur oberhalb von 1.600 Metern wächst. Der traditionelle Stubenofen hat die Form eines kubischen Mauerklotzes. Er wird von der benachbarten Küche aus angefeuert. Ladina strich den Ofen türkisblau, um einen Farbkontrast zur Holzverkleidung zu erzeugen. Neben der Stube liegt das „Cha da fö“(Feuerhaus), was in der alten rätoromanischen Sprache der Region soviel wie Küche heißt. Früher war hier der einzige Ort im Haus, wo
Mit ungewöhnlichen Farben setzt Ladina ganz einzigartige Akzente
Feuer entfacht wurde. Das „Cha da Fö“war deshalb ursprünglich aus nicht brennbarem Material erbaut. Auch hier verfolgte die Hausherrin ein eigenwilliges Farbkonzept. Sie bemalte die Sitzbank und sämtliche Wände bis auf Augenhöhe im gleichen Aquamarin der Fliesen hinter dem Herd. Der alte Holzofen aus Großmutters Zeiten wird heute von der Familie im Winter noch zum Heizen genutzt. „Bei der Renovierung eines solchen Anwesens gilt es, genaue Behördenvorschriften in Bezug auf das Bauvolumen, die Grundmauern innen und außen und vieles mehr einzuhalten“, erzählt Christian Klainguti. Das Obergeschoss bildet den Privatbereich des Hauses; die wenigen kleinen Fenster vermitteln Privatsphäre. Das Treppenhaus aus Holz führt vom „Suler“aus zuerst in ein großes Wohnzimmer. Dieser Raum wird sowohl zum Fernsehen wie auch zum Lesen genutzt. Von hier erschließen sich durch verschiedene Türen Kinderzimmer, Bad und Elternschlafzimmer. Letzteres liegt oberhalb der Arvenstube und ist über eine steile Treppe durch eine Verbindungsklappe im Boden mit der Stube verbunden. „Was heute wie ein Geheimeingang aussieht, war früher der einzige Zugang zum Schlafzimmer. Man wollte im Winter keine Wärme verlieren, denn der Stubenofen war damals hier die einzige Heizquelle“, erklärt Christian. Die Möbel im Haus bilden einen zeitlosen Stilmix. Altes wurde mit Neuem kombiniert: Vom barocken Kronleuchter über ein modernes Sofa von Flexform bis hin zu einem antiken Polsterdiwan findet man alles, was sich über die Jahre hinweg angesammelt hat. Das einzylindrige 16H Norton Vintage-Motorrad im „Suler“sticht sofort ins Auge. Wer glaubt, es handele sich hier um ein bloßes Dekorationsstück, täuscht sich gewaltig. Christian absolvierte damit schon so manches Klausenpass-Rennen. Ohne Leidenschaft würde man den großen Zeitaufwand, den die Instandsetzung und Pflege eines solchen alten Bauernhauses beansprucht, nicht in Kauf nehmen“, gesteht Christian. Er und Ladina haben bewiesen, dass man auch mit geringem Aufwand, viel Passion und einem einfallsreichen Farb- und Innendekorationskonzept einem alten Bauernhaus ein neues Leben geben kann.
In den Wintermonaten ist Wärme in den Bergen ein sehr wertvolles Gut