Privatsender im Fokus
So entwickelten sich die „Privaten“im Laufe der Zeit
„Die Simpsons“in Dauerschleife, Soaps und vorgetäuschte Realität vom Frühstück bis zum Abendbrot, ein Programm, das jeden ansprechen soll und doch niemanden wirklich erreicht – die großen Privatsender stecken in einer tiefen Identitätskrise, aus der sie sich scheinbar nicht befreien können. Oder wollen.
In Zeiten von Streaming-Diensten wie Netflix und Amazon, wo Nutzer jederzeit ihr eigener Programmchef sein können, brauchen lineare Fernsehsender neben ein paar kräftigen Zugpferden vor allem eines, um sich behaupten zu können: ein klares Profil, das die Zuschauer nicht nur punktuell abholt, sondern auch mitnimmt. Das sie nicht nur eine bestimmte Sendung einschalten lässt, sondern den Zuschauer dazu verleitet, diesen Sender auch ohne konkretes Ziel anzusteuern, nur um zu schauen, was dieser sonst noch zu bieten hat. Schlicht, weil Sender, Konzept und Programmauswahl überzeugen.
Das ist es, was die vielen kleinen Spartensender tagtäglich tun. Für die Vollprogramme ist das schon schwieriger, müssen sie doch eine viel größere Bandbreite abdecken. Doch auch sie brauchen ein Profil, das sie dem Zuschauer verkaufen können. Schaut man sich allerdings die Programme der großen Privatsender an, bleibt einem schleierhaft, wer da eigentlich noch abgeholt werden soll. Vielmehr entsteht das Gefühl, dass sie selber nicht wissen, was sie wollen.
Keine Konturen mehr
Das war aber nicht immer so, im Gegenteil: Es gab Zeiten, da war ProSieben DER
Spielfilmsender, der den Bedarf nach einer abendfüllenden, fiktionalen Geschichte deckte, während sich RTL und Sat.1 vor allem durch ihr Unterhaltungsprogramm auszeichneten. Mit „ran“und der Bundesliga setzte Sat.1 Anfang der 90er nochmal einen neuen Akzent, der für zusätzlichen Schliff sorgte.
Doch wofür stehen die Sender heute? RTL hat sich durch seine Fokussierung auf Scipted Reality und demütigende Castingshows den Ruf eines Trash-Senders verpasst. ProSieben hat große Anstrengungen unternommen, um sein Image als Filmsender loszuwerden. Was folgte, ist allerdings nicht zwangsweise besser: Heute laufen eine Hand voll US-Serien fast rund um die Uhr hoch und runter. Und Sat.1? Der Sender mit dem bunten Ball macht irgendwie von allem etwas und doch wieder nichts konkretes.
Unzuverlässigkeit
Zudem haben sich die drei großen Privaten in den letzten Jahren vermehrt als unzuverlässige Partner für Zuschauer erwiesen – vor allem für Serienfans. Denn eine Serie bei ihnen zu beginnen erweist sich immer öfter als echtes Wagnis: Mit vollmundigen Ankündigungen werden neue „Hit-Serien aus den USA“oder „Erfolgsproduktionen“
aus den eigenen Reihen ins Programm gepackt, nur um dann nach nur einer Episode wieder rauszufliegen, weil die Quote nicht stimmt. Das sei einfach nicht tragbar, heißt es dann von Seiten des Senders. Will heißen: Damit verdienen wir kein Geld – oder zumindest nicht genug. Da stellt sich einem durchaus die Frage, ob die Sender überhaupt selbst an die als „Hit-Serien“verkauften Inhalte glauben. Eher nicht.
Mit etwas Glück, wird das Format nur zu einem Schwestesender abgeschoben, mit Pech als Marathon in der Nacht verheizt oder einfach abgebrochen, ohne das die Zuschauer die Chance haben, weiter zu kucken. Und ohne, dass die Serie die Zeit hatte, sich zu entwickeln und Fuß zu fassen. Als Lückenbüßer müssen dann oft alte Hits erhalten – auch wenn diese dann schon in der 64. Wiederholung laufen. Was beim Zuschauer zurückbleibt ist vor allem eines: Verwirrung, Unzufriedenheit und Unverständnis. Kann es da noch wundern, dass immer mehr Menschen lieber bei Netflix und Co. einschalten?
Gekommen, um (ewig) zu bleiben
Zu ProSieben, das sich so sehr als Seriensender positioniert, mag das eigentlich nicht passen. Doch der Kanal ist in sei-
nem Hamsterrad gefangen und offenbar auch nicht geneigt, dieses zu verlassen. „The Big Bang Theory“, „How I Met Your Mother“und die „Simpsons“bestreiten in Dauerschleife den größten Teil des Programms. Immer wieder, alle Staffeln rauf und runter. Neuzugänge bekommen meist nur am späteren Abend die Chance, sich zu beweisen. Und wenn die Zahlen nicht stimmen (was bei Sendezeiten nach 22.00 Uhr auch kein Wunder ist), quält Obernerd Sheldon in der nächsten Woche seine Freunde dann eben sechs statt der üblichen fünf Episoden mit den Klauseln der Mitbewohnervereinbarung.
ProSieben kultiviert damit zwar die mittlerweile bevorzugte Praxis des Bingewatching im linearen Fernsehen, wird für viele Zuschauer aber zugleich immer uninteressanter. Klar, eine Folge „The Big Bang Theory“geht immer. Aber morgens, nachmittags und abends? Nein, danke. Zumal man trotz großer Auswahl gefühlt immer die gleichen 15 Folgen präsentiert bekommt. Und wer mit jenen fünf auserwählten Produktionen von Haus aus nichts anfangen kann, ist bei ProSieben sowieso verloren. Denn das Programm verändert sich nur sehr, sehr langsam – wenn überhaupt. So ging bsw. „How I Met Your Mother“bereits 2014 zu Ende, das Finale wurde groß zelebriert. Neue Folgen gibt es also schon seit vier Jahren nicht mehr, doch bei ProSieben ist die Sitcom immer noch fester Bestandteil des täglichen Ablaufs. „Scrubs“wurde sogar schon 2010 abgeschlossen.
ProSieben ist damit aber keineswegs allein: Bei RTL laufen gefühlt auch seit Äonen „CSI: Miami“samt diverser Ableger und auch „Bones – Die Knochenjägerin“hat bis heute einen Platz im RTL-Programm. So exzessiv wie die Konkurrenz mit der roten Sieben betreiben die Kölner diese Praxis aber nicht.
Ideenlos
Was sollen wir den Zuschauern nur anbieten? Diese Frage stellen sich die Programmchefs täglich und in keinem Bereich wie dem Show-Segment wird dabei deutlich, dass sie keine Ahnung haben, wohin die Reise gehen soll. Sicher, die große Zeit der Samstagabend-Shows ist vorbei. Formate wie „Die 100000 Mark Show“oder „Traumhochzeit“würden heute vermutlich gar nicht mehr funktionieren. Selbst „Wetten, dass...?“hatte es in seinen letzten Jahren schwer. Es braucht neue Konzepte, um die Menschen auch zur Primetime wieder vor die Bildschirme zu locken, denn Shows an sich kommen ja nach wie vor beim Publikum an. Doch leider ist die einzige Antwort, die vielen Fernsehmachern nach wie vor dazu einfällt, eine Casting-Show. Glückwunsch. Seit fast zwei Jahrzehnten suchen wir im Fernsehen Talente aller Art. Wir kühren Deutschlands neuen „Superstar“, das jährliche „Supertalent“und „Topmodel“, „Popstars“, suchen „The Voice of Germany“(auch als Kinderversion), bald auch wieder den „X Factor“bei Sky und Tänzer bei „Got to Dance“. Es gibt fast nichts, was im deutschen Fernsehen nicht gecastet wird. Bei RTL kommt es nichtmal auf ein Talent an, Hauptsache die Kandidaten machen sich vor der Kamera lächerlich. Das reicht. Dass trotz dieser Tatsache immer noch weitere Shows dieser Art auf den Markt geschwemmt werden, obwohl sich das Format schon seit Jahren selbst übersättigt, lässt eigentlich nur den Schluss zu, dass man keine Alternativen findet.
ProSieben versucht es zumindest. Nach den Erfolgen von „Joko und Klaar – Duell um die Welt“wagte sich der Privatsender an verschiedenste Show-Ideen mit dem Duo, die im Abendprogramm als Piloten ausprobiert werden. Viele gehen nicht in Serie, doch der Sender sucht nach neuen Konzepten. Mit „Die beste Show der Welt“
läuft sogar ein Format, das sich ganz direkt mit der Suche nach neuen Show-Konzepten befasst.
Keine Sendergesichter mehr
Joko und Klaas sollen nicht nur die jüngere Zielgruppe abholen und frischen Wind mitbringen, sie sollen dem Sender nach Möglichkeit auch wieder ein Gesicht geben. Denn mit dem Abschied von Stefan Raab hat ProSieben sein letztes großes Gesicht verloren, das man direkt mit dem Sender in Verbindung gebracht hat. Der Konkurrenz geht es dabei nicht anders: RTL hat noch Günther Jauch, vielleicht noch ein kleines bisschen Oliver Geissen mit der scheinbar niemals endenden „Chart Show“. Danach ist Schluss. Sat.1 ist dagegen schon seit vielen Jahren gesichtslos. Standen früher die Namen von Margarethe Schreinemakers, Talk-Legende Harald Schmidt oder sogar Psychologin Angelika Kallwass für den Bällchensender, steht heute ein großes Fragezeichen. Die Versuche, bewährte Kräfte wie Ulla Kock am Brink („Die perfekte Minute“) und Linda de Mol („The Winner is...“) als Sendergesichter zu aktivieren, sind an der Quote gescheitert. Vielleicht läuft „The Voice“auch deswegen mittlerweile auf ProSieben und Sat.1, um letzterem so zumindest ein klein wenig am Erfolg teilhaben zu lassen. Immerhin ist man ja der Sender der erfolgreichen Casting-Show. Von allein scheint dem Sender das nicht zu gelingen.
Zeitenwende
Wohin geht also die Reise der großen Privatsender? Das bleibt nur abzuwarten. Momentan erwecken die Verantwortlichen nicht den Eindruck, als wüssten sie die Antwort bereits. Unübersehbar ist allerdings die Tatsache, dass wir derzeit wieder an einer Zeitenwende stehen: Scripted Reality, Casting-Shows und die Flut an F-Promi-Sendungen (die sich zum Großteil aus den Ex-Teilnehmern irgendeiner Casting-Show rekrutieren) sind dabei, sich zu überleben. Weil neue Ideen und Impulse fehlen.
Es ist an der Zeit, dass sich gerade die großen Privatsender neu erfinden, wieder zu einem Profil gelangen, mit dem sich die Zuschauer identifizieren können. Vox hat in den letzten Jahren gezeigt, wies geht. „Die Höhle der Löwen“, „Shopping Queen“oder auch das „Tauschkonzert“– Vox hat seinen Platz gefunden und die Formate, die dafür nötig sind nicht kaputt gemacht. Und die kommen sogar aus dem eigenen Haus und sind nicht nur eingekauft. Auch RTL2 macht sich seit einigen Jahren: An „Frauentausch“führt zwar noch immer kein Weg vorbei, doch mit Hits wie „Game Of Thrones“, „The Walking Dead“und Co. macht sich die kleine Schwester von RTL zunehmend auch als Anlaufstelle für Serienfans einen Namen. Schaut man sich gerade das Beispiel von Vox an, ist es eigentlich kaum zu verstehen, wieso sich die Hauptsender so schwer damit tun, sich wieder mehr Kontur zu verleihen. Die kleinen Sender machen es ja vor. Doch vermutlich liegt es auch daran, weil sie von allem etwas wollen, statt zum Aushängeschild für bestimmte Zielgruppen zu werden.
Doch das wird nicht mehr ewig funktionieren. Durch die Etablierung der hauseigenen Spartensender, die ganz gezielt Frauen, Männer oder auch speziell Dokufreunde abholen, graben sich die Hauptprogramm selbst zum Teil das Wasser ab. Die Konkurrenz der Streaming-Dienste setzt die Sender zusätzlich unter Druck. Denn gegen diese können die linearen Sender nur bestehen, wenn es ihnen gelingt, die Zuschauer trotz all der fexiblen Abrufangebote mit innovativen Ideen abzuholen. Und wenn sie ihnen vermitteln können, das es sich lohnt, ihnen treu zu bleiben.