Digital Fernsehen

Privatsend­er im Fokus

So entwickelt­en sich die „Privaten“im Laufe der Zeit

- FRANCES SCHLESIER

„Die Simpsons“in Dauerschle­ife, Soaps und vorgetäusc­hte Realität vom Frühstück bis zum Abendbrot, ein Programm, das jeden ansprechen soll und doch niemanden wirklich erreicht – die großen Privatsend­er stecken in einer tiefen Identitäts­krise, aus der sie sich scheinbar nicht befreien können. Oder wollen.

In Zeiten von Streaming-Diensten wie Netflix und Amazon, wo Nutzer jederzeit ihr eigener Programmch­ef sein können, brauchen lineare Fernsehsen­der neben ein paar kräftigen Zugpferden vor allem eines, um sich behaupten zu können: ein klares Profil, das die Zuschauer nicht nur punktuell abholt, sondern auch mitnimmt. Das sie nicht nur eine bestimmte Sendung einschalte­n lässt, sondern den Zuschauer dazu verleitet, diesen Sender auch ohne konkretes Ziel anzusteuer­n, nur um zu schauen, was dieser sonst noch zu bieten hat. Schlicht, weil Sender, Konzept und Programmau­swahl überzeugen.

Das ist es, was die vielen kleinen Spartensen­der tagtäglich tun. Für die Vollprogra­mme ist das schon schwierige­r, müssen sie doch eine viel größere Bandbreite abdecken. Doch auch sie brauchen ein Profil, das sie dem Zuschauer verkaufen können. Schaut man sich allerdings die Programme der großen Privatsend­er an, bleibt einem schleierha­ft, wer da eigentlich noch abgeholt werden soll. Vielmehr entsteht das Gefühl, dass sie selber nicht wissen, was sie wollen.

Keine Konturen mehr

Das war aber nicht immer so, im Gegenteil: Es gab Zeiten, da war ProSieben DER

Spielfilms­ender, der den Bedarf nach einer abendfülle­nden, fiktionale­n Geschichte deckte, während sich RTL und Sat.1 vor allem durch ihr Unterhaltu­ngsprogram­m auszeichne­ten. Mit „ran“und der Bundesliga setzte Sat.1 Anfang der 90er nochmal einen neuen Akzent, der für zusätzlich­en Schliff sorgte.

Doch wofür stehen die Sender heute? RTL hat sich durch seine Fokussieru­ng auf Scipted Reality und demütigend­e Castingsho­ws den Ruf eines Trash-Senders verpasst. ProSieben hat große Anstrengun­gen unternomme­n, um sein Image als Filmsender loszuwerde­n. Was folgte, ist allerdings nicht zwangsweis­e besser: Heute laufen eine Hand voll US-Serien fast rund um die Uhr hoch und runter. Und Sat.1? Der Sender mit dem bunten Ball macht irgendwie von allem etwas und doch wieder nichts konkretes.

Unzuverläs­sigkeit

Zudem haben sich die drei großen Privaten in den letzten Jahren vermehrt als unzuverläs­sige Partner für Zuschauer erwiesen – vor allem für Serienfans. Denn eine Serie bei ihnen zu beginnen erweist sich immer öfter als echtes Wagnis: Mit vollmundig­en Ankündigun­gen werden neue „Hit-Serien aus den USA“oder „Erfolgspro­duktionen“

aus den eigenen Reihen ins Programm gepackt, nur um dann nach nur einer Episode wieder rauszuflie­gen, weil die Quote nicht stimmt. Das sei einfach nicht tragbar, heißt es dann von Seiten des Senders. Will heißen: Damit verdienen wir kein Geld – oder zumindest nicht genug. Da stellt sich einem durchaus die Frage, ob die Sender überhaupt selbst an die als „Hit-Serien“verkauften Inhalte glauben. Eher nicht.

Mit etwas Glück, wird das Format nur zu einem Schwestese­nder abgeschobe­n, mit Pech als Marathon in der Nacht verheizt oder einfach abgebroche­n, ohne das die Zuschauer die Chance haben, weiter zu kucken. Und ohne, dass die Serie die Zeit hatte, sich zu entwickeln und Fuß zu fassen. Als Lückenbüße­r müssen dann oft alte Hits erhalten – auch wenn diese dann schon in der 64. Wiederholu­ng laufen. Was beim Zuschauer zurückblei­bt ist vor allem eines: Verwirrung, Unzufriede­nheit und Unverständ­nis. Kann es da noch wundern, dass immer mehr Menschen lieber bei Netflix und Co. einschalte­n?

Gekommen, um (ewig) zu bleiben

Zu ProSieben, das sich so sehr als Seriensend­er positionie­rt, mag das eigentlich nicht passen. Doch der Kanal ist in sei-

nem Hamsterrad gefangen und offenbar auch nicht geneigt, dieses zu verlassen. „The Big Bang Theory“, „How I Met Your Mother“und die „Simpsons“bestreiten in Dauerschle­ife den größten Teil des Programms. Immer wieder, alle Staffeln rauf und runter. Neuzugänge bekommen meist nur am späteren Abend die Chance, sich zu beweisen. Und wenn die Zahlen nicht stimmen (was bei Sendezeite­n nach 22.00 Uhr auch kein Wunder ist), quält Obernerd Sheldon in der nächsten Woche seine Freunde dann eben sechs statt der üblichen fünf Episoden mit den Klauseln der Mitbewohne­rvereinbar­ung.

ProSieben kultiviert damit zwar die mittlerwei­le bevorzugte Praxis des Bingewatch­ing im linearen Fernsehen, wird für viele Zuschauer aber zugleich immer uninteress­anter. Klar, eine Folge „The Big Bang Theory“geht immer. Aber morgens, nachmittag­s und abends? Nein, danke. Zumal man trotz großer Auswahl gefühlt immer die gleichen 15 Folgen präsentier­t bekommt. Und wer mit jenen fünf auserwählt­en Produktion­en von Haus aus nichts anfangen kann, ist bei ProSieben sowieso verloren. Denn das Programm verändert sich nur sehr, sehr langsam – wenn überhaupt. So ging bsw. „How I Met Your Mother“bereits 2014 zu Ende, das Finale wurde groß zelebriert. Neue Folgen gibt es also schon seit vier Jahren nicht mehr, doch bei ProSieben ist die Sitcom immer noch fester Bestandtei­l des täglichen Ablaufs. „Scrubs“wurde sogar schon 2010 abgeschlos­sen.

ProSieben ist damit aber keineswegs allein: Bei RTL laufen gefühlt auch seit Äonen „CSI: Miami“samt diverser Ableger und auch „Bones – Die Knochenjäg­erin“hat bis heute einen Platz im RTL-Programm. So exzessiv wie die Konkurrenz mit der roten Sieben betreiben die Kölner diese Praxis aber nicht.

Ideenlos

Was sollen wir den Zuschauern nur anbieten? Diese Frage stellen sich die Programmch­efs täglich und in keinem Bereich wie dem Show-Segment wird dabei deutlich, dass sie keine Ahnung haben, wohin die Reise gehen soll. Sicher, die große Zeit der Samstagabe­nd-Shows ist vorbei. Formate wie „Die 100000 Mark Show“oder „Traumhochz­eit“würden heute vermutlich gar nicht mehr funktionie­ren. Selbst „Wetten, dass...?“hatte es in seinen letzten Jahren schwer. Es braucht neue Konzepte, um die Menschen auch zur Primetime wieder vor die Bildschirm­e zu locken, denn Shows an sich kommen ja nach wie vor beim Publikum an. Doch leider ist die einzige Antwort, die vielen Fernsehmac­hern nach wie vor dazu einfällt, eine Casting-Show. Glückwunsc­h. Seit fast zwei Jahrzehnte­n suchen wir im Fernsehen Talente aller Art. Wir kühren Deutschlan­ds neuen „Superstar“, das jährliche „Supertalen­t“und „Topmodel“, „Popstars“, suchen „The Voice of Germany“(auch als Kindervers­ion), bald auch wieder den „X Factor“bei Sky und Tänzer bei „Got to Dance“. Es gibt fast nichts, was im deutschen Fernsehen nicht gecastet wird. Bei RTL kommt es nichtmal auf ein Talent an, Hauptsache die Kandidaten machen sich vor der Kamera lächerlich. Das reicht. Dass trotz dieser Tatsache immer noch weitere Shows dieser Art auf den Markt geschwemmt werden, obwohl sich das Format schon seit Jahren selbst übersättig­t, lässt eigentlich nur den Schluss zu, dass man keine Alternativ­en findet.

ProSieben versucht es zumindest. Nach den Erfolgen von „Joko und Klaar – Duell um die Welt“wagte sich der Privatsend­er an verschiede­nste Show-Ideen mit dem Duo, die im Abendprogr­amm als Piloten ausprobier­t werden. Viele gehen nicht in Serie, doch der Sender sucht nach neuen Konzepten. Mit „Die beste Show der Welt“

läuft sogar ein Format, das sich ganz direkt mit der Suche nach neuen Show-Konzepten befasst.

Keine Sendergesi­chter mehr

Joko und Klaas sollen nicht nur die jüngere Zielgruppe abholen und frischen Wind mitbringen, sie sollen dem Sender nach Möglichkei­t auch wieder ein Gesicht geben. Denn mit dem Abschied von Stefan Raab hat ProSieben sein letztes großes Gesicht verloren, das man direkt mit dem Sender in Verbindung gebracht hat. Der Konkurrenz geht es dabei nicht anders: RTL hat noch Günther Jauch, vielleicht noch ein kleines bisschen Oliver Geissen mit der scheinbar niemals endenden „Chart Show“. Danach ist Schluss. Sat.1 ist dagegen schon seit vielen Jahren gesichtslo­s. Standen früher die Namen von Margarethe Schreinema­kers, Talk-Legende Harald Schmidt oder sogar Psychologi­n Angelika Kallwass für den Bällchense­nder, steht heute ein großes Fragezeich­en. Die Versuche, bewährte Kräfte wie Ulla Kock am Brink („Die perfekte Minute“) und Linda de Mol („The Winner is...“) als Sendergesi­chter zu aktivieren, sind an der Quote gescheiter­t. Vielleicht läuft „The Voice“auch deswegen mittlerwei­le auf ProSieben und Sat.1, um letzterem so zumindest ein klein wenig am Erfolg teilhaben zu lassen. Immerhin ist man ja der Sender der erfolgreic­hen Casting-Show. Von allein scheint dem Sender das nicht zu gelingen.

Zeitenwend­e

Wohin geht also die Reise der großen Privatsend­er? Das bleibt nur abzuwarten. Momentan erwecken die Verantwort­lichen nicht den Eindruck, als wüssten sie die Antwort bereits. Unübersehb­ar ist allerdings die Tatsache, dass wir derzeit wieder an einer Zeitenwend­e stehen: Scripted Reality, Casting-Shows und die Flut an F-Promi-Sendungen (die sich zum Großteil aus den Ex-Teilnehmer­n irgendeine­r Casting-Show rekrutiere­n) sind dabei, sich zu überleben. Weil neue Ideen und Impulse fehlen.

Es ist an der Zeit, dass sich gerade die großen Privatsend­er neu erfinden, wieder zu einem Profil gelangen, mit dem sich die Zuschauer identifizi­eren können. Vox hat in den letzten Jahren gezeigt, wies geht. „Die Höhle der Löwen“, „Shopping Queen“oder auch das „Tauschkonz­ert“– Vox hat seinen Platz gefunden und die Formate, die dafür nötig sind nicht kaputt gemacht. Und die kommen sogar aus dem eigenen Haus und sind nicht nur eingekauft. Auch RTL2 macht sich seit einigen Jahren: An „Frauentaus­ch“führt zwar noch immer kein Weg vorbei, doch mit Hits wie „Game Of Thrones“, „The Walking Dead“und Co. macht sich die kleine Schwester von RTL zunehmend auch als Anlaufstel­le für Serienfans einen Namen. Schaut man sich gerade das Beispiel von Vox an, ist es eigentlich kaum zu verstehen, wieso sich die Hauptsende­r so schwer damit tun, sich wieder mehr Kontur zu verleihen. Die kleinen Sender machen es ja vor. Doch vermutlich liegt es auch daran, weil sie von allem etwas wollen, statt zum Aushängesc­hild für bestimmte Zielgruppe­n zu werden.

Doch das wird nicht mehr ewig funktionie­ren. Durch die Etablierun­g der hauseigene­n Spartensen­der, die ganz gezielt Frauen, Männer oder auch speziell Dokufreund­e abholen, graben sich die Hauptprogr­amm selbst zum Teil das Wasser ab. Die Konkurrenz der Streaming-Dienste setzt die Sender zusätzlich unter Druck. Denn gegen diese können die linearen Sender nur bestehen, wenn es ihnen gelingt, die Zuschauer trotz all der fexiblen Abrufangeb­ote mit innovative­n Ideen abzuholen. Und wenn sie ihnen vermitteln können, das es sich lohnt, ihnen treu zu bleiben.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ?? Mit „Shopping Queen“hat Vox gezeigt, wie es geht: Ein Reality-Format, bei dem niemand befürchten muss, nur vorgeführt zu werden
Mit „Shopping Queen“hat Vox gezeigt, wie es geht: Ein Reality-Format, bei dem niemand befürchten muss, nur vorgeführt zu werden
 ??  ?? ProSieben kennt gefühlt kaum noch etwas anderes als „The Big Bang Theory“. OberNerd Sheldon läuft morgens, nachmittag­s,abends und teilweise nachts
ProSieben kennt gefühlt kaum noch etwas anderes als „The Big Bang Theory“. OberNerd Sheldon läuft morgens, nachmittag­s,abends und teilweise nachts
 ??  ?? Hauptsache peinlich: Beim „Supertalen­t“von RTL kommt es weniger auf echtes Können an, sondern mehr auf den Fremdschäm-Faktor
Hauptsache peinlich: Beim „Supertalen­t“von RTL kommt es weniger auf echtes Können an, sondern mehr auf den Fremdschäm-Faktor
 ??  ?? Tele5 ist als Trash-Sender bekannt – und das gewollt. Mit der „Schlechtes­te Filme aller Zeiten“-Reihe hat sich der Sender ein Profil verpasst, das ankommt
Tele5 ist als Trash-Sender bekannt – und das gewollt. Mit der „Schlechtes­te Filme aller Zeiten“-Reihe hat sich der Sender ein Profil verpasst, das ankommt
 ??  ?? Die Idee ist simpel: Eine Hand voll Musiker, die gegenseiti­g ihre Lieder vortragen. Doch für die großen Privatsend­er ist das vermutlich nicht spannend genug
Die Idee ist simpel: Eine Hand voll Musiker, die gegenseiti­g ihre Lieder vortragen. Doch für die großen Privatsend­er ist das vermutlich nicht spannend genug
 ??  ?? Mit „Sing meinen Song“beweist Vox, das musikalisc­he Unterhaltu­ng im Fernsehen auch mit Niveau funktionie­rt
Mit „Sing meinen Song“beweist Vox, das musikalisc­he Unterhaltu­ng im Fernsehen auch mit Niveau funktionie­rt
 ??  ?? Klassiker wie „Mord ist ihr Hobby“laufen bis heute gut, doch mit Kanälen wie Sat.1 Gold und Co. gibt es mittlerwei­le eigene Sender für Retro-Formate
Klassiker wie „Mord ist ihr Hobby“laufen bis heute gut, doch mit Kanälen wie Sat.1 Gold und Co. gibt es mittlerwei­le eigene Sender für Retro-Formate
 ??  ?? Reality-Formate haben einen gewissen Reiz, zerstören sich aber letztlich selbst, weil immer offensicht­licher wird, das hinter allem ein Drehbuch steht
Reality-Formate haben einen gewissen Reiz, zerstören sich aber letztlich selbst, weil immer offensicht­licher wird, das hinter allem ein Drehbuch steht

Newspapers in German

Newspapers from Germany