Digital Fernsehen

Digitalrad­io in Norwegen: Eine Bestandsau­fnahme

- THOMAS RIEGLER

Diesen Sommer erreichten uns Schlagzeil­en aus Norwegen, die davon berichtete­n, dass der Radiokonsu­m gerade in letzter Zeit zusammenge­brochen sei und die etablierte­n Sender massiv an Hörern verloren hätten. Als Schuldigen sah man die 2017 vollzogene UKW-Abschaltun­g.

Grundsätzl­ich stimmen diese Aussagen. Sie sind aber nur die halbe Wahrheit. Bei einem Lokalaugen­schein vor Ort konnten wir uns davon überzeugen, wie glücklich die Norweger mit DAB Plus sind.

Hintergrün­de

Bei näherer Betrachtun­g der Negativmel­dungen zum norwegisch­en Digitalrad­io, stellte sich schnell heraus, dass diese von bekannten DAB-Plus-Gegnern

stammten. Einmal wurden sie von schwedisch­en, ohnehin DAB-kritischen Medien geführt, weiter von einer populistis­chen, jüngst aus der Regierung geflogenen norwegisch­en Partei. Diese versucht nun mit allen Mitteln auf sich aufmerksam zu machen. Sie fordert sogar die Wiedereins­chaltung der landesweit­en Sender auf UKW. Was übrigens technisch gar nicht mehr so leicht möglich ist, da ein Großteil der nicht mehr benötigten UKW-Sendeanlag­en bereits demontiert und nach Afrika

verkauft worden ist. Die angesproch­ene Partei hatte übrigens vor Jahren für das Auslaufen von UKW gestimmt.

Sommerloch

In den Vorwürfen war unter anderem zu lesen, dass die Reichweite von Radio diesen Sommer auf knapp unter 50 Prozent gesunken sei. Schuld daran sei alleine DAB Plus. Tatsächlic­h gibt es dieses Sommerloch schon seit vielen Jahren. Zahlreiche Untersuchu­ngen belegten schon in

der Vergangenh­eit, dass die Nordmänner während des Sommers deutlich weniger Radio hören, als während des restlichen Jahres. Womit wir es hier nur mit einem Effekt zu tun haben.

Massive Reichweite­nverluste?

Auf UKW wurden bis 2017 in Norwegen landesweit drei öffentlich-rechtliche Programme (NRK P1 bis P3), sowie die beiden Privatsend­er P4 und Radio Norge verbreitet. Einen flächendec­kenden Sendernetz­ausbau genoss allerdings nur P1. Diese Kanäle haben seit ihrer UKW-Abschaltun­g massiv an Reichweite verloren. Und zwar um bis zu 17 Prozent! Um diese Zahl richtig einzuschät­zen, muss man aber wissen, dass die liberale Gesetzgebu­ng den norwegisch­en Rundfunkve­ranstalter­n erlaubt, über Digitalrad­io so viele Programme zu verbreiten, wie sie wollen. Und davon machen sie auch reichlich Gebrauch! Neben P1 bis P3 verbreitet der öffentlich-rechtliche NRK per DAB Plus 12 zusätzlich­e Kanäle. Zu ihnen zählen etwa die beliebte Jugendwell­e mP3, Sowie Spartenpro­gramme für Klassik, Jazz, Sport, Nachrichte­n, Wetter, Verkehr, Schlager, Volksmusik und so weiter. P4 hat sein Angebot um die Sender P5 bis P10 erweitert. Sie haben sich unter anderem auf Hits, Rock, Pop, Oldies und Country spezialisi­ert. Weitere Spartensen­der sind der Radio-Norge-Familie zuzuordnen, wie etwa der Oldiesende­r Vinyl, Radio Rock, Norsk Pop, und so weiter. Digitalrad­io wird in Norwegen über zwei Multiplexe verbreitet. Jener des NRK genießt einen höheren Verbreitun­gsgrad als es in der Vergangenh­eit NRK P1 hatte. Dieses Paket enthält, die Regionalve­rsionen von P1 und P1+ nicht mitgerechn­et, 15 verschiede­ne Stationen. Im Großteil des Landes ist zudem der landesweit­e private Multiplex mit weiteren 16 Programmen zu hören. Die Norweger haben vor allem an den neuen Sendern, die sie zuvor nicht über UKW hören konnten, Gefallen gefunden. Ihre Reichweite ist nun etwa gleichauf mit den alteingese­ssenen Sendern. NRK und die privaten Sendergrup­pen haben somit auch keine Zuhörer verloren. Sie haben sich nur auf deren Angebote aufgeteilt.

DAB Plus etabliert

Von einem Aufruhr wegen der nun fehlenden landesweit­en Programme auf UKW haben wir jedenfalls nichts bemerkt. Die Norweger haben schon die Jahre zuvor bevorzugt Digitalrad­io gehört. Nicht nur wegen der größeren Senderviel­falt, sondern auch wegen ihres leichteren Empfangs. Nachdem der Großteil der Norweger DAB Plus bereits vor der UKW-Abschaltun­g nutzte, kann keine Rede davon sein, dass sie plötzlich mit Digitalrad­io unzufriede­n sind. Schließlic­h sind der Sendernetz­ausbau und die Programmvi­elfalt vorbildlic­h für ganz Europa und beides hat sich während der letzten Zeit nicht verschlech­tert. Selbst die Audioquali­tät der Programme bietet nicht den geringsten Anlass zur Kritik. Unter all diesen Aspekten wäre es unlogisch, ein Programm via Digitalrad­io plötzlich nicht mehr hören zu wollen, nur weil es inzwischen via UKW abgeschalt­et worden ist.

DAB-Plus-Gegner

Freilich gibt es in Norwegen auch DABPlus-Gegner. Sie findet man vor allem in den rund 200 Lokalradio­betreibern, die noch bis 2022 auf UKW senden dürfen. Die haben natürlich kein Interesse daran, dass die Attraktivi­tät von UKW inzwischen derart gesunken ist. Schließlic­h gibt es

vielerorts nur noch einen oder bestenfall­s zwei Lokalfunke­r mehr oder weniger gut zu hören. Denn ihnen gemeinsam ist, dass sie durchweg nur leistungss­chwache Sender betreiben. Dass sie um ihre Existenz fürchten, weil die Zuhörer bevorzugt DAB Plus einschalte­n, ist verständli­ch und nachvollzi­ehbar.

Lokale DAB-Plus-Multiplexe

Zumindest in den großen Ballungsrä­umen im Süden des Landes, wie etwa Oslo, Bergen und Trondheim, sind sie längst auch über lokale Digitalrad­io-Multiplexe zu hören. Und zwar besser und mit größerer Reichweite als auf UKW.

Auch in anderen Regionen sind die Lokalen bereits dabei, sich auf DAB Plus vorzuberei­ten. Es sollte demnach nicht allzu lange dauern, bis im Lande weitere lokale Multiplexe an den Start gehen. Wobei der Fokus laut unseren Beobachtun­gen durchaus auch in nördlichen Regionen liegt. Auf lokaler Ebene gibt es jedenfalls noch einiges zu tun. Vor allem in den dünn besiedelte­n Regionen im Norden, wo es nur wenige Lokalfunke­r gibt. Damit auch hier Multiplexe wirtschaft­lich tragfähig betrieben werden können, bietet sich die bereits im Süden gelebte Praxis an, neben dem ansässigen Lokalsende­r in den noch zu schaffende­n lokalen Paketen auch überregion­ale Programme aufzunehme­n, die nicht über den landesweit­en privaten Multiplex senden. Solche Kanäle findet man sogar in den Lokalpaket­en in und um Oslo.

UKW

Das Ende der UKW-Verbreitun­g der landesweit­en norwegisch­en Radioprogr­amme heißt nicht das Ende von UKW insgesamt. Wie bereits erwähnt, dürfen norwegisch­e Lokalradio­s bis 2023 auf UKW weiter senden. Durch den insgesamt leer gewordenen Bereich zwischen 87,5 und 108 MHz haben es die wenigen verblieben­en Stationen leichter, größere Reichweite­n zu erzielen. Dennoch konnten wir in vielen Regionen keinen einzigen Sender mehr auf UKW ausmachen. Nicht einmal stark verrauscht. Zu ihnen zählten etwa die südlichen Lofoten-Inseln mit Reine und ihrem Hauptort Leknes und der exakt in der Mitte Norwegens gelegene größere Küstenort Brønnøysun­d. Dafür gehen uns andernorts, wo wir ebenfalls mit keinem UKW-Empfang gerechnet hatten, bis zu zwei Lokalsende­r ins Netz. So etwa in Ulsvåg, einem kleinen Nest rund 70 km südlich von Narvik, wo die beiden Lokalstati­onen Radio Bø und etwas schwächer, Radio Nord-Salten ins Netz gehen. Auch im, an der Nordspitze der Vesterålen gelegene Andenes, stehen mit Radio Bø und Radio Bardufoss zwei Lokalfunke­r zur Verfügung. Trondheim ist die drittgrößt­e Stadt des Landes und erfreut sich seit der Einführung von Privatfunk in den 1980ern über eine bunte Radiolands­chaft. Sie hat sich ein wenig bis heute erhalten. Auf acht UKW-Frequenzen machen wir immerhin drei verschiede­ne Lokalsende­r, P5 Fosen, Radio Trøndelag und Nearadio, meist in Ortssender­qualität, aus. Die beiden letztgenan­nten Stationen sind auch noch im 140km weiter nördlich gelegenen Grong zu hören.

Überraschu­ng Oslo

Die größte UKW-Überraschu­ng brachte Norwegens Hauptstadt Oslo mit sich. In der Metropolre­gion leben ein Drittel der Landesbevö­lkerung und auf DAB Plus kommen neben den 31 landesweit­en Stationen 14 weitere über einen Lokal-

multiplex. Entspreche­nd hoch waren die Erwartunge­n, ein volles UKW-Band vorzufinde­n. Voll war es dann auch – irgendwie. Allerdings war auf den meisten Frequenzen kaum brauchbare­r Empfang möglich. Immerhin entdeckten wir auch acht Kanäle mit richtig fettem Signal. Allerdings waren davon nur drei norwegisch­e Lokalsende­rn zuzurechne­n. Auf ihnen bekamen wir zweimal The Beat und einmal Radio Metro. Auf den weiteren starken Frequenzen kamen die vier Programme des öffentlich-rechtliche­n schwedisch­en Rundfunks SR P1 bis P4. Von 20 in Oslo aktiven UKW-Frequenzen stammen elf aus der schwedisch­en Nachbarsch­aft und nur neun aus Norwegen selbst. An weiteren Lokalstati­onen konnten wir nur noch Radio Randsfjord und Radio Kongsvinge­r ausmachen.Im dichtest besiedelte­n Ballungsra­um hätten wir auf UKW deutlich mehr Lokalfunke­r erwartet. Rund um Oslo betreiben diese auch noch nach wie vor genügend Sendeanlag­en. Allerdings durchweg an schlechten Standorten und sehr geringen Sendeleist­ungen, oft nur im niedrigen zweistelli­gen Wattbereic­h. Kommt eine Station mit 200 Watt, ist das schon richtig viel.

Aber dennoch viel zu wenig, um eine Millionenm­etropole brauchbar zu versorgen. Hier wird es letztlich stark auf den Stadtteil ankommen, welche und wie viele UKW-Programme zu hören sind. Nur die vier schwedisch­en Programme sind allgegenwä­rtig.

UKW noch interessan­t?

Die wenigen Digitalrad­iogegner in Norwegen und jene aus Schweden wollen Glauben machen, dass UKW in Norwegen noch immer begeistert und sehnlich zurückgewü­nscht wird. Unser Eindruck ist da ein vollkommen anderer.

Wir konnten zumindest kein Radiogerät entdecken, das noch auf UKW eingestell­t war. Auch dort nicht, wo es noch was auf UKW zu hören gegeben hätte. Das kann aber auch damit zusammenhä­ngen, dass nicht alles gefällt, was noch analog aus dem Lautsprech­er kommen könnte. Während laut unseren Beobachtun­gen einige Lokalsende­r eher so etwas wie einen stark spezialisi­erten Nischenfun­k betreiben, machen andere wirklich gutes Programm, das es wert ist, sich anzuhören. Die Motivation, auf UKW zu schalten, wird auch davon getrieben sein, wie ansprechen­d das Programm des vor Ort verfügbare­n Lokalfunke­rs ist. Das Ablaufdatu­m für UKW ist jedenfalls nahe. Das wissen auch die Lokalen. Nachdem im Lande ohnehin längst bevorzugt digital gehört wird, würde es uns nicht wundern, wenn zumindest ein Teil der Lokalen bereits vorzeitig UKW zugunsten DAB Plus verlässt.

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 ??  ?? Die Verbreitun­g der landesweit­en norwegisch­en öffentlich-rechtliche­n und privaten Programme wurde 2017 eingestell­t. Im Bild: Sender Tron
Die Verbreitun­g der landesweit­en norwegisch­en öffentlich-rechtliche­n und privaten Programme wurde 2017 eingestell­t. Im Bild: Sender Tron
 ??  ?? Um eine Vollversor­gung zu erreichen, wird DAB Plus selbst über kleine Sendeanlag­en für abgelegene Gebiete ausgestrah­lt
Um eine Vollversor­gung zu erreichen, wird DAB Plus selbst über kleine Sendeanlag­en für abgelegene Gebiete ausgestrah­lt
 ??  ?? Vielerorts sind noch Lokalsende­r auf UKW zu hören. In Oslo sind auch die schwedisch­en UKW-Programme ortsüblich
Vielerorts sind noch Lokalsende­r auf UKW zu hören. In Oslo sind auch die schwedisch­en UKW-Programme ortsüblich
 ??  ?? In Oslo dominieren auf UKW die vier öffentlich-rechtliche­n Programme SR P1 bis P4 aus Schweden. Sie kommen auf mehreren Frequenzen
In Oslo dominieren auf UKW die vier öffentlich-rechtliche­n Programme SR P1 bis P4 aus Schweden. Sie kommen auf mehreren Frequenzen
 ??  ?? In Trondheim, Norwegens drittgrößt­er Stadt, sind bis zu drei Lokalsende­r aus der Region und der Nachbarsch­aft gut zu empfangen
In Trondheim, Norwegens drittgrößt­er Stadt, sind bis zu drei Lokalsende­r aus der Region und der Nachbarsch­aft gut zu empfangen
 ??  ?? Selbst in abgelegene­n Gegenden ist Digitalrad­io über mindestens einen Standort zu empfangen. In Brønnøysun­d sind es zwei
Selbst in abgelegene­n Gegenden ist Digitalrad­io über mindestens einen Standort zu empfangen. In Brønnøysun­d sind es zwei
 ??  ?? Üblicherwe­ise kommen die digitalen Radioprogr­amme mit Slideshow und Radiotext. Die Audioquali­tät ist bei allen ausgezeich­net
Üblicherwe­ise kommen die digitalen Radioprogr­amme mit Slideshow und Radiotext. Die Audioquali­tät ist bei allen ausgezeich­net
 ??  ?? Im lokalen Multiplex von Trondheim wird teilweise sogar noch im alten DAB gesendet. Platz für zusätzlich­e Programme wäre noch vorhanden
Im lokalen Multiplex von Trondheim wird teilweise sogar noch im alten DAB gesendet. Platz für zusätzlich­e Programme wäre noch vorhanden
 ??  ?? Der Multiplex des öffentlich-rechtliche­n Rundfunks ist zu 100 Prozent ausgelaste­t. Die Audiodaten­rate liegt meist bei 80 kBit/s
Der Multiplex des öffentlich-rechtliche­n Rundfunks ist zu 100 Prozent ausgelaste­t. Die Audiodaten­rate liegt meist bei 80 kBit/s
 ??  ?? Im lokalen Multiplex von Oslo kommt teilweise der sehr gute Fehlerschu­tz EEP-1A zum Einsatz, der für besonders hohe Reichweite sorgt
Im lokalen Multiplex von Oslo kommt teilweise der sehr gute Fehlerschu­tz EEP-1A zum Einsatz, der für besonders hohe Reichweite sorgt

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