Bilder wie im Traum
Uli Staiger ist seit Jahren eine feste Größe der Bildbearbeiterszene. Mit seinen Kompositionen verzaubert der in Berlin lebende Künstler seine Fans und Auftraggeber gleichermaßen. Dabei scheinen seine Ideen grenzenlos zu sein. Uns gibt er einen Einblick i
Bildkünstler Uli Staiger im Interview
Wenn Uli Staiger damit beginnt, an Ideen für seine Bilder zu feilen, greifen viele Arbeitsschritte ineinander: Vom Foto bis zur fertigen Bearbeitung können mitunter Wochen vergehen. Es sind bis ins kleinste Detail geplante, perfekt inszenierte Meisterwerke, die Staiger erstellt. Von Anfang an war Photoshop das entscheidende Werkzeug für die Umsetzung seiner Bilder. Seit der allerersten Version begleitet ihn die Software – und doch ist die entscheidende Komponente immer die Realität.
: Herr Staiger, Sie haben sich im Laufe der Jahre als einer der bekanntesten Bildbearbeiter der Szene etabliert – können Sie uns noch einmal an den Anfang Ihrer Karriere führen? Was trieb Sie an, neue Bildwelten zu kreieren?
Uli Staiger: Als ich 1987 mit einer klassischen Fotografenlehre begann, hat man Photoshop noch für ein Schnelllabor in einer Fußgängerzone gehalten. Thomas Knoll (Us-amerikanischer Softwareentwickler, Anm. d. Red.) begann in diesem Jahr erst mit der Entwicklung von Photoshop. Digitale Bildbearbeitung gab es schlicht nicht, daher fand meine Kreativität einerseits in der Fotografie, andererseits im Schwarzweiß- labor statt. Mich hat vor allem die Möglichkeit fasziniert, Stimmungen und Gefühle in Landschaftsaufnahmen zu „verpacken“. Das geht tatsächlich auch analog ganz prima.
Sie sagen es – die meisten Programme gab es damals schlicht noch nicht. Was konnte man zu Ihrer Anfangszeit schon alles am Rechner machen und was war damals noch unvorstellbar?
Als ich 1990 das erste Mal mit Photoshop in Kontakt kam, war die Bearbeitung noch recht mühsam, denn die Rechner waren vergleichsweise armselig und es gab auch nur eine sehr eingeschränkte Zahl von Werkzeugen. Aber Sie müssen sich mal versuchen vorzustellen, was die Möglichkeit, jedes noch so kleine Detail zu verändern, für einen analog denkenden Fotografen damals bedeutete! Es war ohne jede Übertreibung eine Revolution in der Darstellung von Fotografien und ich bin mir sicher, dass bereits mit Photoshop 1.0 vieles möglich war, was man mit Photoshop CC2019 heute gestalten kann. Technisch betrachtet war nichts mehr unvorstellbar. Aber wir, die User, mussten erst lernen, die stetig wachsenden Möglichkeiten und Verbesserungen mit gestalterischem Sinn zu füllen.
Was war für Sie die entscheidende Verbesserung bei Photoshop und warum?
Das war für mich die Einführung von Ebenen in der Version 3.0, denn damit konnte man Motive wesentlich flexibler aufbauen als zuvor. Es
wurden seither viele enorm wirkungsvolle Werkzeuge entwickelt, doch ohne Ebenen wären sie kaum anzuwenden.
Lassen Sie uns auf Ihre Arbeiten zu sprechen kommen – und da muss die erste Frage lauten: Wie kommen Sie auf Ihre Ideen?
Mir genügt die an sich vollkommen verrückte Realität. Ein Beispiel: Ich bin seit meiner Kindheit fasziniert von der Raumfahrt, mich inspiriert sowohl die real existierende als auch alles, was mit Science-fiction zu tun hat. Wenn ich einen Raketenstart nun aber mit einer Alltäglichkeit wie zum Beispiel einer Kirche in Verbindung bringe, ist der lichtgewaltige Start eines Kirchturms eine fast zwangsläufig entstehende Bildidee, die mir einfallen würde.
Ihr Ideen-reservat scheint unendlich zu sein: Was inspiriert Sie? Schauen Sie auch, was Kollegen machen oder gibt es gar Vorbilder?
Das Entscheidende bei jeder Idee ist nicht nur sie zu haben, sondern sie umzusetzen – mit allen Konsequenzen, was mitunter ziemlich aufwendig ist. Die Arbeit von Kollegen inspiriert mich natürlich, aber viel mehr als für deren Arbeiten interessiere ich mich für die Denkweise. Das bereichert mich ungemein, ohne dass ich Ideen oder gar Motive kopiere. Vorbilder? Hatte ich immer. Dazu gehören mein ehemaliger Lehrer Helmut Hirler, mein früherer Chef Neil Molinaro, für den ich ein Jahr lang in den USA gearbeitet habe, aber auch Ikonen wie Ansel Adams oder der Düsseldorfer Fotograf Thomas Herbrich. Ich glaube jedoch, dass man seine Vorbilder irgendwann vorsichtig zur Seite schieben muss, weil man eigene Stärken und Gestaltungswillen entwickelt.
Nutzen Sie ausschließlich eigene Fotos?
Ich arbeite nach Möglichkeit mit eigenen Fotos, denn nur, was ich selbst fotografiere, sieht zumindest fast genauso aus, wie ich es brauche. Den- ken Sie nur an Variablen wie Brennweite, Perspektive, Lichtrichtung usw. Wenn ich für einen Auftrag Bilder benötige, die ich nicht oder nur mit sehr hohem Aufwand fotografieren könnte, bediene ich mich bei Stock-agenturen.
Kommen wir zur Umsetzung Ihrer Ideen. Haben Sie dabei alles Schritt für Schritt im Kopf?
Die Idee muss als ungefähres Bild, aber auch als möglichst klar erkennbares Gefühl fertig im Kopf vorhanden sein. Dann folgen eine Reihe von Skizzen, damit ich ohne Ablenkung durch die Technik einen groben Entwurf bekomme. Als Nächstes entscheide ich, welche Bildteile fotografiert werden, was als klassisches Modell oder auch als 3D-objekt am Rechner gebaut werden soll. Zeitgleich entsteht ein Low-res-motiv, das noch viele Variablen beinhaltet, aber schon viel Ähnlichkeit mit dem endgültigen Motiv aufweist. Erst dann baue ich das finale Motiv auf.
Das Entscheidende bei jeder Idee ist nicht nur sie zu haben, sondern sie umzusetzen – mit allen Konsequenzen. Uli Staiger
Welche Themen interessieren Sie grundsätzlich und aktuell in Ihren Arbeiten?
Mich interessieren in der Regel Gefühle und Stimmungen deutlich mehr als bestimmte fotografische Themenbereiche. Man kann ein und dasselbe Gefühl mit ganz unterschiedlichen Bildern ausdrücken. Letztlich versuche ich, mich selbst und meine Gefühlswelt darzustellen – ganz unabhängig davon, was auf den Bildern zu sehen ist.
Mit welchen Programmen arbeiten Sie heute in der Regel und wo liegen die jeweiligen Vorteile?
Ich nutze hauptsächlich zwei Programme: Photoshop und Cinema 4D. Mit Photoshop baue ich die einzelnen Fotografien und Renderings zusammen. Auch Maltechniken spielen in Photoshop für mich eine zunehmend wichtigere Rolle, sprich Schatten erstellen, Lichtsphären oder Glanzlichter malen. Auch Nebel, Dunst und Wolken werden größtenteils gemalt. Mit Cinema 4D kann ich sehr detaillierte Modelle bauen, sie in der Software beleuchten, an Brennweite und Perspektive der Fotografie anpassen und zum Schluss rendern, um sie per Photoshop in das eigentliche Artwork zu integrieren.
Wie viel Zeit braucht die Fertigstellung eines Bildes und wie viele Arbeitsschritte sind notwendig?
Die Zeit, die ein Bild braucht, ist natürlich stark vom Sujet abhängig. Manches schaffe ich in
drei Tagen, aber auch drei Wochen sind keine Seltenheit. Um die Zahl der Arbeitsschritte anzugeben, müsste ich erst definieren, was ein Arbeitsschritt ist. Das kann ich nicht, aber eines ist sicher: Mehr als 80% der Gesamtarbeitszeit geht fürs Testen, Spielen und Ausprobieren drauf.
Wann wissen Sie, dass ein Bild fertig ist?
Das ist in der Tat schwierig zu benennen. Trotzdem: Ich habe ja von Anfang an eine Vorstellung, wie mein Motiv aussehen soll. Wenn ich die nahezu erreicht habe, aber immer weiter am Bild arbeite, dann muss ich mich irgendwann fragen, ob der Entwurf denn ausgereift war. Im Idealfall aber werden die Detailarbeiten immer kleinteiliger und ich spüre, dass ein Motiv fast fertig ist.
Sehen Sie sich manchmal alte Arbeiten an und denken, da hätte ich noch etwas verbessern können?
Ja, das denke ich schon, aber wenn ein Bild fertig ist, bleibt es, wie es ist. Sonst würde es sich anfüh- len, als würde ich meine eigene Geschichte stets neu erfinden und nachträglich optimieren. Das ist Verschlimmbessern in höchster Vollendung.
Sie besitzen ein umfassendes Wissen über alle möglichen 3D- und Bildbearbeitungsprogramme: Bilden Sie sich eigentlich selbst noch fort?
Ohne Weiterbildung würde ich schnell aus der Kurve fliegen. Fortbildungen in Photoshop sind überschaubar geworden, für Cinema 4D bleibe ich stets dran am Lernen und Testen neuer Möglichkeiten.
Was wünschen Sie sich von einer Software?
Es würde meine Arbeit kolossal erleichtern, wenn mehr Zeit auf die Anpassung von Software an neue Betriebssysteme, Debugging und Performance investiert würde. Speziell in der Bildbearbeitung vermisse ich eigentlich keine neuen Tools, wohl aber bisweilen die Verlässlichkeit und Stabilität vorhergehender Programmversionen. Aber das ist Jammern auf hohem Niveau.
Eins wäre schon toll: wenn sich Einstellungsebenen einer Ebenenmaske zuweisen ließen.
Sie geben auch Vorträge: Welche Themen werden da am meisten angesprochen?
In meinen Vorträgen versuche ich meist zu vermitteln, dass Photoshop zwar ein fantastisches Werkzeug ist, man aber neben dem technischen Wissen mindestens ebenso viel gestalterisches Wissen braucht. Mir nützt ein Werkzeug wie z. B. der Verflüssigenfilter nur dann etwas, wenn ich eine Vorstellung davon habe, was ich damit alles anfangen kann. Außerdem gehören die Themen „Licht und Schatten“, „Ideenfindung“und das Erzählen einer Story mit nur einem Bild zu den Kernbereichen meiner Vorträge.
Wo kann man Sie 2019 sehen?
Außer bei meinen Workshops in Berlin bin ich unter anderem im März bei der „lite and bite“und den „publishing days“in Zürich. Ich gebe für die „medienplantage“einen Workshop in Bremen und im April einen Vortrag beim Fotografen Clubbing in Salzburg. Im Frühjahr kommen dann aber erfahrungsgemäß noch eine ganze Reihe Termine hinzu.
Damit sind wir auch schon am Ende des Interviews angekommen. Daher zwei Schlussfragen: Gibt es einen Rat, den Sie unseren Lesern mit auf den Weg geben können? An welchen Dingen sollte man als Bildbearbeiter am meisten arbeiten?
Ich stelle fest, dass sich viele Kreative aus der Bildbearbeitungsszene vor allem aneinander orientieren und nicht an ihrer eigenen Fantasie. Die Social-media-kanäle geben einen Mix aus Werbung, Massenbespaßung und Must-haveMarketing vor, der eine enorme Sogkraft entfaltet und mit kreativem Gestalten rein gar nichts zu tun hat. Denke dir eine Idee aus. Nimm eine Kamera und fotografiere, was du brauchst, dann erst setze dich an den Rechner. Nach zehn bis 15 Jahren führt diese Methode zum Erfolg, was immer das für dich bedeuten mag.
Denke dir eine Idee aus. Nimm eine Kamera und fotografiere, was du brauchst, dann erst setze dich an den Rechner. Uli Staiger