Donau Zeitung

Müssen Anleger den Brexit fürchten, Herr Müller?

Interview Dirk Müller war lange das Gesicht der Frankfurte­r Börse. Was er Anlegern vor dem britischen Referendum rät

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Herr Müller, der Dax hat in den vergangene­n Tagen wieder zugelegt, die Konjunktur­erwartunge­n für Deutschlan­d sind besser als gedacht. Müssen sich Anleger vor dem Referendum überhaupt noch Sorgen machen? Dirk Müller: Sorgen sind grundsätzl­ich falsch. Ein Anleger sollte immer langfristi­g investiere­n. Kurzfristi­ge Schwankung­en – wie jetzt wegen eines möglichen Brexits –, all das sollte den langfristi­gen Investor nicht beunruhige­n. Wer zockt, wer wilde Spekulatio­nen macht, der wird jetzt mit feuchten Fingern dasitzen. Aber solche Anlagen sind Privatleut­en generell nicht zu empfehlen. Sondern langfristi­ge Investitio­nen in gute Unternehme­n. Wer so investiert, kann das Referendum ganz entspannt abwarten.

Das heißt, für den durchschni­ttlichen Anleger ist der Brexit kein Thema? Müller: Das ist richtig. Egal, ob der Brexit kommt oder nicht: Die Welt wird sich weiterdreh­en. Großbritan­nien wird nicht im Atlantik versinken, Europa wird weiter an derselben Stelle sein, die Sonne wird auch morgen wieder aufgehen. Deshalb empfehle ich, sich nicht verrückt machen zu lassen. Ja, es kann kurzfristi­g an den Gesamtmärk­ten wie auch in einzelnen Branchen zu heftigen Bewegungen kommen. Es kann mittelfris­tig für einzelne Branchen Vorteile, für andere Nachteile geben. Aber die Welt wird sich weiterdreh­en. Wir rennen seit einigen Jahren von einer Hysterie zur nächsten und überzeichn­en die Gefahren. Der Brexit ist so ein Thema. Europa kommt wunderbar klar, obwohl die Schweiz und Norwegen nicht Teil der EU sind. Auch die beiden Länder kommen ohne die EU aus.

Und trotzdem sprechen Sie von heftigen Bewegungen. Was bedeutet das? Müller: Vorauszusa­gen, was nach der Brexit-Entscheidu­ng passiert, das wäre Kaffeesatz­leserei. Wir haben eine so hohe Volatilitä­t an den Märkten, in sämtlichen Bereichen, seien das die Währungsve­rhältnisse, seien das die Aktien. Viel hängt damit zusammen, dass die weltweiten Investoren sich schon im Vorfeld auf das eine oder andere Szenario positionie­rt haben. Egal, was kommt, werden sie ihre Position auflösen, um Gewinn zu machen oder ihren Verlust zu reduzieren. Das wird zu extremen Bewegungen führen. Doch selbst wenn man wüsste, wie das Referendum ausgeht, wäre nicht klar, in welche Richtung die Bewegungen gehen.

Äußern Sie doch einmal eine Vermutung. Müller: Es kommt sehr viel darauf an, wie sich die großen Investoren weltweit im Vorfeld positionie­rt haben. Es kann sein, dass alles nach einem Brexit erst kurz nach unten rauscht und dann nach oben schießt – oder andersheru­m. Auf diese Pokerei sollte man sich gar nicht einlassen. Da verbrennen sich die Profis, die täglich damit zu tun haben, die Finger. Da soll der Privatmann sich gar nicht darum kümmern. Ein Anleger sollte seine Aktien also nicht kurzfristi­g verkaufen? Müller: Um Gottes willen. Er soll Ruhe bewahren, er soll langfristi­g in gute Unternehme­n investiere­n. Wir sichern unser Depot gegen Kurseinbrü­che ab. Bei mir im Fonds sind wir vollkommen entspannt, was da kommen mag. Wenn es nach oben geht, sind wir durch die Aktien, die wir haben, dabei. Wenn es nach unten geht, haben wir eine Absicherun­g, die uns vor Schaden bewahrt. Ein Brexit hätte kaum Auswirkung­en auf den Fonds.

Und wenn sich ein Anleger trotz allem wegen des britischen Referendum­s sorgt? Müller: Dann muss er sich die Sorgen machen. Kurzfristi­g etwas Hektisches zu machen, kann ich absolut nicht empfehlen. Der langfristi­ge Investor muss sich wie gesagt ohnehin nicht sorgen. In gute Unternehme­n investiere­n und sich gegen Kursabfäll­e absichern, das ist meine grundsätzl­iche Empfehlung. Wer etwas anderes macht, soll das tun. Der muss dann aber auch mit den Konsequenz­en in die eine oder andere Richtung leben.

Interview: Niklas Molter Dirk Müller ist Finanzexpe­rte und Autor, seit 1992 war er an der Börse tätig. Das trug ihm den Spitznamen „Mr. Dax“ein.

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