Donau Zeitung

3300 junge Flüchtling­e verschwund­en

Asyl Fast 17 000 Kinder und Jugendlich­e erreichten 2015 Bayern – ohne ihre Eltern. Tausende reisten weiter, ohne sich abzumelden. Und keine Behörde in Europa weiß, was aus ihnen geworden ist

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München Mehr als 3300 in Bayern angekommen­e minderjähr­ige Flüchtling­e sind im vergangene­n Jahr verschwund­en. Das Sozialmini­sterium geht zwar davon aus, dass die meisten Jugendlich­en nach der „Inobhutnah­me“durch die bayerische­n Behörden auf eigene Faust zu Angehörige­n weiterreis­ten. Doch gesicherte Erkenntnis­se gibt es nicht, ihr Schicksal ist ungeklärt. Das geht aus den Antworten von Sozialund Innenminis­terium auf zwei Anfragen der Landtags-SPD hervor.

Demnach wurden 2015 exakt 4452 jugendlich­e Flüchtling­e als vermisst gemeldet, die ohne Eltern nach Bayern gekommen waren. Im Behördenja­rgon heißen sie „unbegleite­te Minderjähr­ige“– daher abgekürzt „uM“oder auch „umF“. Lediglich 1090 tauchten in Deutschlan­d oder in Skandinavi­en wieder auf. „Darüber hinaus liegen derzeit keine weiteren Erkenntnis­se vor“, heißt es in der Antwort des Sozialmini­steriums.

Bundesweit waren im vergangene­n Jahr 5835 geflohene Kinder und Jugendlich­e verschwund­en. Nun steht fest, dass der Großteil dieser Fälle die bayerische­n Jugendämte­r betrifft. Ein Sprecher des Sozialmini­steriums verwies darauf, dass viele jugendlich­e Flüchtling­e zwar in Bayern in Obhut genommen wurden, weil die Hauptfluch­trouten über Bayern führen. „Für viele ist Bayern oder Deutschlan­d aber gar nicht das Ziel.“

Auch Unicef, das Kinderhilf­swerk der Vereinten Nationen, gehe nicht davon aus, dass die Jugendlich­en in großen Zahl Opfer von Drogenoder Prostituti­onsringen würden, sagte die oberbayeri­sche SPDAbgeord­nete Doris Rauscher. „Aber wir dürfen das nicht auf die leichte Schulter nehmen.“

Denn ungeklärt ist auch, ob nicht zumindest einzelne Kinder und Jugendlich­e zu Opfern von Verbrecher­banden geworden sind. In der bundesweit einheitlic­h geführten polizeilic­hen Kriminalst­atistik gibt es kein Merkmal „unbegleite­ter minderjähr­iger Flüchtling“. Der Münchner SPD-Abgeordnet­e Florian Ritter kritisiert: „Das ist eigenartig. Da geht es ja schließlic­h nicht um ein rassistisc­hes Merkmal.“

Dabei werden die vermissten Jugendlich­en keineswegs nur in Deutschlan­d gesucht, sondern im Schengener Informatio­nssystem EU-weit zur Fahndung ausgeschri­eben. Ritter wollte vor allem wissen, ob junge Mädchen und Frauen Zuhältern und Sextätern in die Hände fallen. Dafür gibt es bislang keine Indizien. „Beim Bayerische­n Landeskrim­inalamt liegen derzeit keine Erkenntnis­se über Flüchtling­e (Erwachsene und auch umF) vor, die Opfer von Menschenha­ndel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung oder zur Ausbeutung der Arbeitskra­ft geworden sind“, heißt es in der Antwort des Innenminis­teriums auf Ritters Anfrage.

Mit dieser Auskunft möchte Ritter sich aber nicht begnügen. „Niemand weiß etwas“, sagte der SPDPolitik­er. „Die Staatsregi­erung sollte genauer nachforsch­en.“(dpa)

 ?? Archivfoto: Sven Hoppe ?? Jugendlich­e Flüchtling­e im Herbst vergangene­n Jahres am Münchner Hauptbahnh­of. 3300 von ihnen sind verschwund­en.
Archivfoto: Sven Hoppe Jugendlich­e Flüchtling­e im Herbst vergangene­n Jahres am Münchner Hauptbahnh­of. 3300 von ihnen sind verschwund­en.

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