Hausbesuch bei lebenden Legenden
Porträts Der Deutsche Arne Reimer hat 50 amerikanische Musiker aufgestöbert, die den Jazz in seinen Glanzzeiten repräsentierten. Mit ihnen hat es das Schicksal nicht immer gut gemeint
Jazz – das ist Amerikas Klassik. Hier lag der besondere Nährboden, nur hier konnte die einzigartige Verbindung afroamerikanischer und westlicher Musiktradition entstehen. Und so stammt denn auch der weit überwiegende Teil der stilprägenden Künstler aus den USA. Wo aber sind sie geblieben, all die klangvollen Namen aus der Glanzzeit des Jazz, aus den 50er und 60er Jahren vor allem? Alle schon tot?
Von wegen. Ein deutscher Fotograf hat sich auf die Suche nach den „American Jazz Heroes“gemacht. Mit Kamera und Tonband ausgerüstet, hat Arne Reimer auf Reisen in die USA lebende Legenden aufgestöbert, viele inzwischen weit in den 80ern, manch einer auch schon über 90 Jahre alt. „Sie kommen nicht mehr zu uns“, sagt Reimer, „also gehe ich zu ihnen“.
In vielen Fällen waren es tatsächlich die privaten Wohnungstüren, die sich Reimer öffneten. Und so entstanden Fotos, denen so gar kein Promotionskalkül anhaftet. Aber auch Gespräche, die schlaglichtartig Einblick geben in die besonderen Befindlichkeiten von Jazzmusikern in Amerika, gerade von dunkelhäutigen. Beides, Porträtfotos und Gesprächstexte, hat Reimer zusam- mengefasst in dem opulenten Band „American Jazz Heroes – Volume 2“(ein Vorgänger erschien bereits vor drei Jahren). Es ist ein eindrückliches Panorama, das sich da auftut von den Lebensumständen alt gewordener „Jazz-Helden“. Ein Bild, das nicht selten im scharfem Kontrast steht zur kraftvollen Musik dieser Künstler, die auch heute noch, der Tonkonserve sei Dank, zu überwältigen vermag.
Reimers Hausbesuche bringen Verblüffendes zutage. Allein schon deshalb, weil es noch Zeugen gibt, die sich weit, weit zurückerinnern können an die Zeit, als man noch in Ballrooms zu den Rhythmen der Basie-Bigband tanzte. Aber auch, weil diese Leute wunderbare Sätze sagen wie etwa der Bassist Eugene Wright: „Vom legendären BrubeckQuartett bin ich der letzte Überlebende. So ist das eben, wenn man alt wird. Meine Mutter ist 96 Jahre geworden, mein Vater 105 Jahre. Wenn ich diese Tradition fortsetze, habe ich mit meinen 92 Jahren also noch etwas Zeit auf der Erde.“
Immer wieder auch sind es wunderliche Geschichten, die dem Besucher aus Deutschland anvertraut wurden. Die von Gary Burton zum Beispiel, dem Vibraphonisten, mit seinen 73 Jahren geradezu ein Jungspund unter den „Heroes“. Zwei Ehen hat er geführt, immer aber gespürt, dass da noch etwas anderes in ihm ist. Dann, schon in fortgeschrittenen Jahren: „Ich fand einen Therapeuten, und nach einem Jahr war klar: Ich bin schwul, und ich war es schon immer gewesen.“Lange hatte er seine wahren Gefühle verborgen gehalten. „Alles nur, um das Leben zu leben, von dem ich glaubte, die Gesellschaft erwartet es von mir.“Jetzt ist Burton mit einem Mann verheiratet.
Reimers Gesprächsprotokolle und Fotos können aber auch tief betroffen machen. Einer der 50 Porträtierten ist der Pianist und Sänger Les McCann. Er kann nicht mehr laufen, haust in einem kleinen ZweiZimmer-Appartement. Reimer zeigt den 80-Jährigen hinfällig auf dem Bett liegend. Da ist nichts fotografisch beschönigt. Aber auch nichts um der Schockwirkung willen in Szene gesetzt. Takt und Respekt, das zeichnet sämtliche Porträts aus. Vertieft man sich noch einmal in das Gesicht von Les McCann, dann sieht man, dass der sich trotzt aller Misere nicht unterkriegen lässt. Tatsächlich stehen in seiner Wohnung noch Keyboards herum.
Wer Legende ist, der hat was zu erzählen, und Arne Reimers hat gut zugehört. Hat den Erinnerungen an frühere Erfolge gelauscht wie auch an Überlebenskampf und Nomadentum, an Drogen und immer wieder an Rassismus. Auch Eugene Wright, dem Dave-Brubeck-Bassisten, ist er entgegengeschlagen. Damals an einem College im Süden der USA, als der Direktor verlangte, Brubeck solle beim Auftritt auf seinen dunkelhäutigen Mann am Bass verzichten, was der Bandleader jedoch kategorisch ablehnte. „Es dauerte eine Stunde, die Vorgesetzten diskutierten miteinander und ich habe einfach dagesessen und gewartet.“Am Ende hat Wright dann doch gespielt.
Mit dieser Mischung aus Lebensbericht und Bilddokument ist das Buch eine Fundgrube für jeden, der auch nur einen Funken Sympathie für den Jazz hat. Und in seiner Aufmachung im LP-Cover-Format ein heißer Anwärter für den Titel „Schönstes Buch des Jahres“. Man klappt den Band zu und blickt hungrig Richtung Plattenregal. Eine Liste der „Wichtigsten Alben“ist allen Porträts dankenswerterweise beigegeben.
Arne Reimer: American Jazz Heroes – Volume 2. Jazz thing Verlag, 240 Seiten, 236 Farbfotos, 55 ¤