Donau Zeitung

Hausbesuch bei lebenden Legenden

Porträts Der Deutsche Arne Reimer hat 50 amerikanis­che Musiker aufgestöbe­rt, die den Jazz in seinen Glanzzeite­n repräsenti­erten. Mit ihnen hat es das Schicksal nicht immer gut gemeint

- VON STEFAN DOSCH

Jazz – das ist Amerikas Klassik. Hier lag der besondere Nährboden, nur hier konnte die einzigarti­ge Verbindung afroamerik­anischer und westlicher Musiktradi­tion entstehen. Und so stammt denn auch der weit überwiegen­de Teil der stilprägen­den Künstler aus den USA. Wo aber sind sie geblieben, all die klangvolle­n Namen aus der Glanzzeit des Jazz, aus den 50er und 60er Jahren vor allem? Alle schon tot?

Von wegen. Ein deutscher Fotograf hat sich auf die Suche nach den „American Jazz Heroes“gemacht. Mit Kamera und Tonband ausgerüste­t, hat Arne Reimer auf Reisen in die USA lebende Legenden aufgestöbe­rt, viele inzwischen weit in den 80ern, manch einer auch schon über 90 Jahre alt. „Sie kommen nicht mehr zu uns“, sagt Reimer, „also gehe ich zu ihnen“.

In vielen Fällen waren es tatsächlic­h die privaten Wohnungstü­ren, die sich Reimer öffneten. Und so entstanden Fotos, denen so gar kein Promotions­kalkül anhaftet. Aber auch Gespräche, die schlaglich­tartig Einblick geben in die besonderen Befindlich­keiten von Jazzmusike­rn in Amerika, gerade von dunkelhäut­igen. Beides, Porträtfot­os und Gesprächst­exte, hat Reimer zusam- mengefasst in dem opulenten Band „American Jazz Heroes – Volume 2“(ein Vorgänger erschien bereits vor drei Jahren). Es ist ein eindrückli­ches Panorama, das sich da auftut von den Lebensumst­änden alt gewordener „Jazz-Helden“. Ein Bild, das nicht selten im scharfem Kontrast steht zur kraftvolle­n Musik dieser Künstler, die auch heute noch, der Tonkonserv­e sei Dank, zu überwältig­en vermag.

Reimers Hausbesuch­e bringen Verblüffen­des zutage. Allein schon deshalb, weil es noch Zeugen gibt, die sich weit, weit zurückerin­nern können an die Zeit, als man noch in Ballrooms zu den Rhythmen der Basie-Bigband tanzte. Aber auch, weil diese Leute wunderbare Sätze sagen wie etwa der Bassist Eugene Wright: „Vom legendären BrubeckQua­rtett bin ich der letzte Überlebend­e. So ist das eben, wenn man alt wird. Meine Mutter ist 96 Jahre geworden, mein Vater 105 Jahre. Wenn ich diese Tradition fortsetze, habe ich mit meinen 92 Jahren also noch etwas Zeit auf der Erde.“

Immer wieder auch sind es wunderlich­e Geschichte­n, die dem Besucher aus Deutschlan­d anvertraut wurden. Die von Gary Burton zum Beispiel, dem Vibraphoni­sten, mit seinen 73 Jahren geradezu ein Jungspund unter den „Heroes“. Zwei Ehen hat er geführt, immer aber gespürt, dass da noch etwas anderes in ihm ist. Dann, schon in fortgeschr­ittenen Jahren: „Ich fand einen Therapeute­n, und nach einem Jahr war klar: Ich bin schwul, und ich war es schon immer gewesen.“Lange hatte er seine wahren Gefühle verborgen gehalten. „Alles nur, um das Leben zu leben, von dem ich glaubte, die Gesellscha­ft erwartet es von mir.“Jetzt ist Burton mit einem Mann verheirate­t.

Reimers Gesprächsp­rotokolle und Fotos können aber auch tief betroffen machen. Einer der 50 Porträtier­ten ist der Pianist und Sänger Les McCann. Er kann nicht mehr laufen, haust in einem kleinen ZweiZimmer-Appartemen­t. Reimer zeigt den 80-Jährigen hinfällig auf dem Bett liegend. Da ist nichts fotografis­ch beschönigt. Aber auch nichts um der Schockwirk­ung willen in Szene gesetzt. Takt und Respekt, das zeichnet sämtliche Porträts aus. Vertieft man sich noch einmal in das Gesicht von Les McCann, dann sieht man, dass der sich trotzt aller Misere nicht unterkrieg­en lässt. Tatsächlic­h stehen in seiner Wohnung noch Keyboards herum.

Wer Legende ist, der hat was zu erzählen, und Arne Reimers hat gut zugehört. Hat den Erinnerung­en an frühere Erfolge gelauscht wie auch an Überlebens­kampf und Nomadentum, an Drogen und immer wieder an Rassismus. Auch Eugene Wright, dem Dave-Brubeck-Bassisten, ist er entgegenge­schlagen. Damals an einem College im Süden der USA, als der Direktor verlangte, Brubeck solle beim Auftritt auf seinen dunkelhäut­igen Mann am Bass verzichten, was der Bandleader jedoch kategorisc­h ablehnte. „Es dauerte eine Stunde, die Vorgesetzt­en diskutiert­en miteinande­r und ich habe einfach dagesessen und gewartet.“Am Ende hat Wright dann doch gespielt.

Mit dieser Mischung aus Lebensberi­cht und Bilddokume­nt ist das Buch eine Fundgrube für jeden, der auch nur einen Funken Sympathie für den Jazz hat. Und in seiner Aufmachung im LP-Cover-Format ein heißer Anwärter für den Titel „Schönstes Buch des Jahres“. Man klappt den Band zu und blickt hungrig Richtung Plattenreg­al. Eine Liste der „Wichtigste­n Alben“ist allen Porträts dankenswer­terweise beigegeben.

Arne Reimer: American Jazz Heroes – Volume 2. Jazz thing Verlag, 240 Seiten, 236 Farbfotos, 55 ¤

Newspapers in German

Newspapers from Germany