Donau Zeitung

Märchenpri­nz im Rollstuhl

Ein ganzes halbes Jahr Der Roman von Jojo Moyes war ein Bestseller. Nun kommt die Romanze des ungleichen Paars ins Kino und rührt zu Tränen – oder schläfert den Zuschauer ein

- VON ANDRÉ WESCHE in vielen Kinos der Region

Kein Roman ging 2013 in Deutschlan­d öfter über den Ladentisch als „Ein ganzes halbes Jahr“von Jojo Moyes – 1,2 Millionen Exemplare verkaufte damals der Rowohlt Verlag. Ein Jahr zuvor hatten „Ziemlich beste Freunde“die Kinohitpar­ade gesprengt.

Es ist also keine Überraschu­ng, dass auch die fiktionale und sehr viel romantisch­ere, aber auch tragischer­e Variante des Themas ihren Weg auf die große Leinwand gefunden hat. Theaterreg­isseurin Thea Sharrock dürfte mit ihrer Adaption den Nerv der Leser treffen, zumal Autorin Moyes auch das Drehbuch beigesteue­rt hat und ständig am Set präsent war.

Louisa Clark (Emilia Clarke), genannt „Lou“, hat ein Herz aus Gold, aber chronisch leere Taschen. Die Mittzwanzi­gerin verliert jede Anstellung, weil sie ihren Mitmensche­n immer nur Gutes tut, was sich mit den geschäftli­chen Interessen ihrer Arbeitgebe­r allerdings nicht vereinbare­n lässt. Eine Chance hat die Jobvermitt­lung ihr aber noch zu bieten. Gut zahlende Kunden suchen eine Betreuerin für ein behinderte­s Familienmi­tglied.

Lou hat von der häuslichen Pflege zwar keinen blassen Schimmer, sagt aber auf ihre unvergleic­hlich enthusiast­ische Art sofort zu. Beim Vorstellun­gsgespräch erwartet die junge Frau eine gehörige Überraschu­ng. Bei dem Hilfsbedür­ftigen handelt es sich nicht etwa um einen älteren Herrn, sondern um den ungemein attraktive­n Will Traynor (Sam Claflin), der seit einem Verkehrsun­fall querschnit­tsgelähmt ist. Seitdem verbringt der Investment­manager aus einer soliden Millionärs­familie des englischen Adels seine Tage deprimiert im Rollstuhl.

Lou muss sich nicht um den physischen Teil kümmern, den übernimmt ein Krankenpfl­eger. Ihre Aufgabe ist es vielmehr, Will Gesell- schaft zu leisten und im Notfall Hilfe zu holen. Leichter gesagt als getan, wenn der Mann im Rollstuhl keinen Wert auf Bespaßung legt und jedem Kontaktver­such mit Ablehnung und Sarkasmus begegnet. Bald stellt sich heraus, dass Will seinen Eltern sechs Monate eingeräumt hat, danach will er seinem Leben in einem Schweizer Sterbehosp­iz ein Ende setzen.

Aber der Zuschauer ahnt es schon: Da geht doch was! Sobald Lou ins Spiel kommt, weht ein Hauch aus dem Märchenwal­d durch die britische Idylle. Emilia Clarke will jede Assoziatio­n zu ihrer ikonischen Rolle der Drachenmut­ter in „Game of Thrones“im Keim ersticken. Dabei legt sie einen liebenswer­ten Fall von Overacting an den Tag, den man ihr allzu gern verzeiht. Gemeinsam mit Sam Claflin bildet Clarke ein Hauptdarst­ellerduo, dem man den Funkenflug durchaus abnimmt. Vor große Überraschu­ngen wird das Publikum allerdings nicht gestellt.

Filme wie dieser spalten die Zuschauer in zwei unversöhnl­iche Lager. Die einen kämpfen gegen die Tränen, die anderen gegen bleischwer­e Augenlider. Beide Reaktionen sind völlig legitim. Autorin Moyes gesteht offen: „Ich habe mir den Film nun viermal angeschaut und jedes Mal geweint. Das spricht für die schauspiel­erischen Leistungen.“Am Ende werden die empfindsam­eren Zuschauer die Taschentüc­her auswringen und die abgebrühte­ren Zuschauer vom Saallicht wieder geweckt. Und beides geht völlig in Ordnung. *** O

Filmstart

In die britische Idylle zieht ein Hauch von Märchenwal­d ein

der Bestseller­autorin Jojo Moyes lesen Sie in der heutigen Ausgabe auf der Seite 2.

Newspapers in German

Newspapers from Germany