Anerkennung von den Rängen
Bilanz Die EM begann für die deutsche Elf mit reichlich Kritik. Davon ist nun nichts mehr übrig. Das DFB-Team steht im Achtelfinale. Was gut ist und was besser werden muss
Évian Wenn nun sogar schon Mehmet Scholl lobende Worte für Mario Gomez findet, muss es gut um die deutsche Mannschaft bestellt sein. In den Tagen vor dem 1:0 gegen Nordirland riefen die sogenannten Experten ja den fußballerischen Notstand aus. Es fehle der Mannschaft an Charakter (Michael Ballack), Joachim Löw habe mit der Kaderauswahl falsche Zeichen gesetzt (Steffen Freund) und die Körpersprache von Mesut Özil habe fatale Folgen für das ganze Team (Scholl). Dann bringt Löw Gomez von Beginn an. Jenen Stürmer, bei dem Scholl bei der EM vier Jahre zuvor noch befürchtet hatte, er könne sich wundgelegen haben. Nun aber: lobende Worte.
Der Stürmer habe sich gut bewegt und dass er noch dazu den einzigen Treffer einer absurd überlegenen Mannschaft erzielte, dürfte seiner Wertschätzung auch nicht abträglich gewesen sein. Der Sieg gegen Nordirland war weitaus souveräner, als es das Ergebnis vermuten lässt. Die deutsche Mannschaft verband die positiven Teilaspekte der ersten beiden Partien, offenbarte aber ein Problem, das im weiteren Turnierverlauf böse Folgen haben könnte. Was schon gut ist, was noch besser werden muss: Die Zwischenbilanz des deutschen Teams.
Abwehr
Manuel Neuer zeigt mal wieder, dass sich Sorgen auf der Torhüterposition verbitten. Souverän bei seinen Ausflügen außerhalb des Strafraums, spektakulär zwischen den Pfosten, wie im Spiel gegen die Ukraine. Mit Mats Hummels und Jérôme Boateng haben die Deutschen zudem wahrscheinlich das beste Innenverteidiger-Duo der EM. Wenn mal einer der beiden ausfällt, spielt eben Shkodran Mustafi und erzielt ein wichtiges Tor. Links agiert Jonas Hector bei seinem ersten Turnier mit der Souveränität einer Servicekraft im DreiSterne-Restaurant. Rechts ist auf Benedikt Höwedes Verlass, wenn mal ein offensivfreudiger Gegner erwartet wird. Joshua Kimmich ist durch seinen belebenden Auftritt gegen Nordirland nun aber weit mehr als eine Verlegenheits-Alternative.
Fazit Die Defensive ist bereits titelreif.
Mittelfeld
Sami Khedira dürfte die Auswechslung gegen Nordirland 20 Minuten vor Schluss als Mahnung des Trainers verstanden haben. Noch ist der von Juventus Turin gesetzt, allerdings übt Bastian Schweinstei- ger Druck auf ihn aus. Khedira spielt bisher nicht jene bestimmende Rolle, die ihm zugedacht ist. Das Engagement passt, der Ertrag da- raus nicht. Allerdings erfüllt er seine Hauptaufgabe mit dem Unterbinden gegnerischer Angriffe in der Manier eines Sheriffs. Für den Glanz ist ohnehin Toni Kroos vorgesehen. Der kommt dieser AufgaSpieler benstellung in herausragender Manier nach. Ordnet gravitätisch das Spiel seines Teams, schafft mit einer Körpertäuschung mehr freie Räume als Reiner Calmund am Kuchenbüfett. Zudem arbeiten die offensiveren Spieler engagiert nach hinten. Mesut Özil wurde bei einer Grätsche gesichtet, Thomas Müller und sein Pendant auf der linken Seite laufen ihre Gegenspieler aggressiv an.
Fazit Mit diesem Personal ist viel möglich. Wenn Khedira noch ein wenig an Form gewinnt, auch der ganz große Triumph.
Angriff
Ist nun immerhin nicht mehr das Sorgenkind des deutschen Spiels. In den ersten beiden Partien war keiner der Offensivspieler dazu fähig, das Spiel mit überraschenden Einfällen zu beschleunigen. Auf der linken Seite sammelten weder Julian Draxler noch André Schürrle derart viele Pluspunkte, als dass sie Ansprüche auf einen Stammplatz erheben könnten. Thomas Müller hing überraschend durch und Mesut Özil ist eben Mesut Özil. Interpretationen seiner Körpersprache gleichen einem Blick in die Glaskugel. An ihm war der Aufschwung gegen Nordirland am besten festzumachen. Er wurde nicht zu Unrecht als bester Spieler der Partie ausgezeichnet. Hatte immer eine Idee. Weil dazu noch Müller von Gomez im Strafraum unterstützt wurde und er energischer den Weg zum Tor suchte, fand das deutsche Spiel häufig seine Zuspitzung in Form ausgezeichneter Chancen. Mario Götze zeigte, dass er sich wohler fühlt, wenn ihm mehr Bewegungsraum genehmigt wird, ging allerdings verschwenderisch mit seinen Chancen um. Das könnte zum Problem für die deutsche Mannschaft werden. Neben Götze vergaben ja auch Müller und Gomez Möglichkeiten in einer Anzahl, wie sie sich dem Team bei dieser EM nicht mehr eröffnen wird. Allerdings muss sich das Schussglück auch erst wieder erarbeitet werden – was die Elf in den ersten beiden Spielen verpasste.
Fazit Mit Gomez im Sturm ist das Spiel viel variabler geworden. Attraktiveres Angriffsspiel als jenes der Deutschen gegen Nordirland wird man bei dieser EM nicht mehr oft sehen. Ohne eine effektivere Chancenverwertung bleibt der Traum vom Titel aber ein Traum. Mit Draxler und Schürrle haben zudem zwei Alternativen derzeit nicht das Format, einem lahmenden Spiel neue Impulse zu geben. Das wiederum könnte in den kommenden Spielen die Chance von Leroy Sané sein.