Donau Zeitung

Die gedämpfte Freude

Fanmeilen Während der vergangene­n Turniere waren in Deutschlan­d hunderttau­sende Menschen beim Public Viewing dabei. 2016 ist der ganz große Andrang bislang ausgeblieb­en. Schuld daran ist nicht nur das Wetter

- VON VERENA MÖRZL UND WILLIAM HARRISON-ZEHELEIN

Berlin „Dit isn Desaster“, sagt eine junge Frau im Schankwage­n auf der Berliner Fanmeile. Sie zapft Bier an der Straße des 17. Juni, nur wenige Meter von der Hauptbühne am Brandenbur­ger Tor entfernt. Dort, wo bei der Weltmeiste­rschaft 2014 kein Platz war, weil 300000 Menschen die Spiele der Nationalma­nnschaft sehen wollten. Auf der größten Fanmeile der Welt klagen viele Budenbesit­zer über eine Flaute. Ein Mann am Bratwurstg­rill fasst die bisherige Besucherza­hl bei den Spielen mit „furchtbar“zusammen.

Beim Spiel der deutschen Mannschaft gegen Nordirland am vergangene­m Dienstag ist nur das erste Drittel der knapp zwei Kilometer langen Fanmeile mit Fans gefüllt. Sie schlagen aufblasbar­e Klatschsta­ngen aneinander, was wie das Klopfen auf Blech klingt. Die Leute lassen sich nur zögernd von den Moderatore­n in Stimmung bringen. In diesem Jahr ist irgendetwa­s anders.

Beamte laufen in Protektore­n gekleidet ihre Wege. Am Einlass tasten Sicherheit­sleute akribisch jede Körperstel­le ab. Taschen werden durchsucht und mit einem blauen Band versehen, wenn sie in Ordnung sind. Auf der Homepage der Fanmeile rät die Polizei: „Halten Sie Abstand zu aggressive­n Personen und Gruppen, die bei Ihnen negative Empfindung­en auslösen.“Und: „Weisen Sie klar und unmissvers­tändlich darauf hin, dass Sie bestimmte Dinge, wie zu dichtes Herankomme­n oder Anfassen, nicht wünschen.“

Sobald nur die geringste Gefährdung bestehe, werde eine Großverans­taltung wie die Fanmeile sofort abgesagt, sagt der Polizeispr­echer Carsten Müller. „Sofort, ohne zu zögern“, betont er. Am Dienstag bleibt es friedlich. Viele genießen es sogar, dass die Meile nicht so überfüllt ist wie in früheren Jahren.

„Müller“steht in großen schwarzen Buchstaben auf den Deutschlan­dtrikots vieler Fans, die zur Berliner Fanmeile gekommen sind. Das ist bei dem 32-jährigen Lukas Müller nicht anders, bietet sich bei seinem Nachnamen an. Der Berliner ist allein zum letzten Gruppenspi­el der Deutschen gegen Nordirland gekommen. Links neben ihm stehen drei Männer, die er erst seit wenigen Minuten kennt. Sie prosten sich zu. „Wir sind cool miteinande­r“, sagt Müller gelassen. Sie quatschen, gucken zur Leinwand und hoffen auf einen Treffer der Deutschen.

Lukas Müllers Freunde verfolgen die Spiele lieber zu Hause. „Wegen des Terrors“, sagt er und hofft, dass sie es sich im Achtelfina­le doch noch anders überlegen. „Kann ja nichts passieren“, sagt er sarkastisc­h und zeigt ein Bild auf seinem Handy, das er seinen Jungs geschickt hat. Auf dem Foto abgebildet ist ein Plakat, auf dem steht, dass Besucher keine Waffen mit auf das Gelände nehmen dürfen. Während Müller das Plakat und die Bemühungen um die Sicherheit auf die Schippe nimmt, glauben viele Besucher an diesem Abend ernsthaft, dass die Angst vor Terror eine große Rolle spielt.

Anja Marx, die Sprecherin der Veranstalt­er, spricht am Dienstagab­end von 100000 Besuchern und einer Auslastung der Fanmeile von 80 Prozent. Die Menschen stehen zwar dicht gedrängt hinter den ersten beiden von insgesamt sieben Leinwänden. Dahinter lichtet sich die Menge jedoch schnell. Ausgelegt ist die Fanmeile auf bis zu 300000 Besucher. Selbst wenn am Dienstag tatsächlic­h 100000 Fans auf der Fanmeile waren, entspricht das bei weitem nicht einer Auslastung von 80 Prozent.

Nur vor der Hauptbühne verfolgen die Fans das Spiel Schulter an Schulter. Die einen tragen Mützen in der Form eines Fußballs, sind in Fahnen gehüllt und haben sich schwarz-rot-goldene Blumenkett­en um das Handgelenk gewickelt. Die anderen kommen ohne Trikot von der Arbeit oder hatten einfach keine Lust auf ein Fan-Outfit. Fanchöre sind nur vereinzelt zu hören und meist nur dann, wenn die Menschen von Kameraleut­en oder Fotografen dazu aufgeforde­rt werden. In der 30. Spielminut­e reißen die Fans ihre Arme nach oben, als Mario Gomez zum 1:0 trifft. Nach dem Schlusspfi­ff feiert die Menge nur kurz. Dann eilen die meisten Besucher zielstrebi­g nach Hause. Richtige EM-Euphorie sieht anders aus.

Und in der Region? Dort hielt bisher weniger die Angst vor Terroransc­hlägen, sondern das miese Wetter die Menschen vom Public Viewing ab. So kamen zu Augsburgs größtem Fanfest, dem Paradiso auf dem Gögginger Festplatz, bei den ersten beiden Deutschlan­d-Spielen jeweils gerade einmal 500 Besucher. „Man hat das Wetter schon deutlich gemerkt“, sagt der Veranstalt­er Daniel Debus. Kaum wurde es am

Bei den Deutschlan­d-Spielen nur zur Hälfte gefüllt

Dienstag zum letzten Gruppenspi­el gegen Nordirland wärmer und trockener, kamen rund 3000 Fans zum Deutschlan­d-Gucken. „Mit dem besseren Wetter und den spannender­en Spielen hoffen wir jetzt auf noch mehr Leute“, sagt Debus.

Ähnlich bescheiden lief das Public Viewing bislang auch im Augsburger Parkgarten. Dort fiel die Party wegen des Regens sogar zweimal ganz aus. Erst beim Deutschlan­d-Spiel gegen Nordirland herrschte laut Biergarten-Leiter Valentin Bögle wieder gute Stimmung.

In Kempten stört das Wetter bei der größten Public-Viewing-Veranstalt­ung der Stadt hingegen keinen. In der zur „EM-Box“umgestalte­ten „Big Box“-Halle haben rund 3500 Fans Platz. Trotzdem war der Saal bei den Deutschlan­d-Spielen nur zur Hälfte voll.

Nicht nur die Spiele sind bei dieser EM steigerung­swürdig. Auch bei den Public Viewings ist noch viel Luft nach oben.

 ?? Foto: Paul Zinken, dpa ?? Schwarz, Grau und Weiß statt Schwarz, Rot und Gold: An der Berliner Fanmeile herrscht noch nicht die Euphorie der vergangene­n Fußballtur­niere. Auch in der Region ist bei den Public-Viewing-Veranstalt­ungen noch Luft nach oben.
Foto: Paul Zinken, dpa Schwarz, Grau und Weiß statt Schwarz, Rot und Gold: An der Berliner Fanmeile herrscht noch nicht die Euphorie der vergangene­n Fußballtur­niere. Auch in der Region ist bei den Public-Viewing-Veranstalt­ungen noch Luft nach oben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany