Leitartikel
Die Schwesterparteien wollen sich beim Friedenstreffen nach monatelangem Streit wieder näherkommen. Warum der Konflikt in der Union nur schwer zu lösen ist
Geschwister streiten sich, Geschwister vertragen sich wieder. So einfach könnte es sein. Doch wer glaubt, dass CDU und CSU nach ihrem zweitägigen „Friedensgipfel“in Potsdam in großer Harmonie auseinandergehen werden, schraubt die Erwartungen zu hoch. Der monatelange Zwist in der Union mit gegenseitigen Attacken hat viel zu tiefe Spuren hinterlassen, als dass man von heute auf morgen sagen könnte: Alles ist gut, wir mögen uns wieder. Andererseits ist auch nicht zu erwarten, dass der Konflikt zwischen Kanzlerin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer neu befeuert wird. Auch deshalb nicht, weil der eigentliche Auslöser der Kontroverse, Merkels umstrittene Asylpolitik, größtenteils ausgeklammert wird – auch wenn die Flüchtlingskrise längst nicht bewältigt ist.
Mit einer „totalen Normalisierung“(Seehofer) des angespannten Verhältnisses zwischen den beiden Schwesterparteien ist also kaum zu rechnen. CDU und CSU wollen vielmehr über Sachthemen zu mehr Gemeinsamkeit kommen und eine neue Vertrauensbasis schaffen – mit „preußischer Disziplin und bayerischer Geradlinigkeit“, wie es CDU-Generalsekretär Peter Tauber sagte. Kurz: Auf drängende Zukunftsfragen sollen Antworten gefunden werden. Dass dabei bereits Details über Steuerund Rentenreform – auch hier gehen die Meinungen in der Union bekanntlich auseinander – besprochen werden, ist ebenso unwahrscheinlich wie die Einigung, mit einem gemeinsamen Wahlprogramm in den nächsten Bundestagswahlkampf ziehen zu wollen. Konkrete Ergebnisse sind bei der Klausur nicht zu erwarten, es wird keinen Durchbruch geben.
Doch der ernste Wille zur Annäherung ist nach allem, was in den letzten Monaten im gegenseitigen Umgang schiefgelaufen ist, da. CDU und CSU haben in der Vergangenheit immer wieder miteinander gerungen, um sich am Ende dann doch zusammenzuraufen. Nur einmal, 1976 zu Zeiten von Kohl und Strauß, sind die Streitigkeiten bis zum Äußersten getrieben worden – einem möglichen Bruch. Doch auch damals stand zum Schluss die Erkenntnis, dass die beiden Parteien gemeinsam mehr erreichen können als getrennt. So ist es auch heute. Mit dem entscheidenden Unterschied, dass die CSU in Umfragen weiter hervorragend dasteht, während die Sympathiewerte für die CDU in den Keller gehen. Ohne die Stimmen der bayerischen Schwester käme die CDU bei einer Bundestagswahl zurzeit gerade mal auf etwa 25 Prozent. Schon deshalb wird die CSU in für sie wichtigen Themen wie Flüchtlings- oder Steuerpolitik auf bisherigen Positionen beharren, ihr Profil nicht verwässern lassen oder gar einknicken. In Potsdam, heißt es aus Parteikreisen, dürfe keinesfalls der Eindruck entstehen, die CSU kusche plötzlich und schwenke auf CDU-Linie ein. Es ist eine Wanderung auf schmalem Grat. Zumal auch die Auffassungen in der Union vor dem Treffen unterschiedlicher nicht sein könnten. Die CDU geht davon aus, man müsse endlich einen gemeinsamen Kurs finden. Die CSU wiederum ist der festen Überzeugung, der CDU-Kurs sei falsch.
Hinter all dem steht die große Sorge der CSU, die absolute Mehrheit in Bayern zu verlieren. Denn gerade dieses Alleinstellungsmerkmal macht ja ihre besondere bundesweite Bedeutung und Stärke aus. Nichts fürchten die Christsozialen mehr, als mit in den Abstiegssog der CDU zu geraten. Die CSU versteht sich als konservative Korsettstange der Union und wird ihre Positionen auch nach Potsdam nicht räumen. Dass sie dafür aktuell auch die Zustimmung der Wähler hat, macht die kleine bayerische Schwester noch selbstbewusster.