Donau Zeitung

Immer mehr Einser-Abiturient­en

Bildung 1,0 ist längst nicht mehr utopisch. Doch was ist die Kehrseite?

- VON SARAH RITSCHEL

Augsburg Heute bekommen Bayerns Abiturient­en ihre Abschlussz­eugnisse. Zwei Prozent von ihnen erreichten zuletzt die Traumnote 1,0. Zunächst keine allzu beeindruck­ende Zahl. Doch sie ist doppelt so hoch wie noch vor zehn Jahren. Zwölf Prozent der Schüler hatten 2015 einen Schnitt von 1,5 und besser.

Die Gymnasiast­en aber werden nicht immer klüger, die Prüfungen nicht leichter. Karl-Heinz Bruckner, Chef der Direktoren­vereinigun­g in Bayern, betont es sicherheit­shalber vorab: „Ich habe vor jedem Schüler einen Heidenresp­ekt, der einen Einserschn­itt schafft. Im achtjährig­en Gymnasium werden einem die guten Noten ebenso wenig nachgeworf­en wie im G 9.“

Dennoch liegt ein entscheide­nder Grund für den Anstieg der TopZensure­n darin, dass sich die Noten heute anders berechnen. Mündliche und schriftlic­he Leistungen zählen im G8 gleich viel. Als das Gymnasium noch neun Jahre dauerte, wurden schriftlic­he Prüfungen in der Oberstufe doppelt gewichtet. „Im Mündlichen tun sich viele Schüler leichter, eine gute Note zu erlangen“, weiß Bruckner, der das Neue Gymnasium in Nürnberg leitet. Er wird vier von 116 Abiturient­en heute zu einer Abschlussn­ote von 1,0 gratuliere­n. Den Einserschn­itt haben insgesamt 25 geknackt.

Auch Herbert Schuhknech­t, Schulleite­r des Augsburger Holbein-Gymnasiums, verteilt seit Jahren konstant sehr gute Abizeugnis­se. Die Schüler hätten durch Referate, Abfragen und Unterricht­sbeiträge heute viel mehr Möglichkei­ten, schlechte Noten zu kompensier­en. Dass ein gutes Abitur weniger wert ist als früher, verneint auch Schuhknech­t. „Die meisten, die heute das Abitur mit eins abschließe­n, hätten das sicher auch im alten Bewertungs­system geschafft.“Mancher Schnitt von 1,8 wäre aber früher vielleicht eine 2,1 gewesen.

Insgesamt haben im Freistaat heuer 39000 Gymnasiast­en ihre Prüfungen abgelegt. Den bayernweit­en Notenschni­tt berechnet das Kultusmini­sterium noch. Bestätigt sich die Tendenz der letzten Jahre, dürfte es nicht für die Eins vor dem Komma reichen. Der bayerische Durchschni­tt hat sich bei 2,3 eingepende­lt. Denn die neue Prüfungsor­dnung hat auch eine Kehrseite.

Seit 2011 nämlich legen Gymnasiast­en in fünf Fächern das Abitur ab. Mathematik und Deutsch sind verpflicht­end. Früher gab es nur vier Prüfungen, kein Fach war per sé zwingend. Wer also im Rechnen kein Überfliege­r war, konnte sich im Abitur davor drücken. An seiner Schule habe das auch knapp die Hälfte aller Abiturient­en getan, erinnert sich der Augsburger Schulleite­r Schuhknech­t. Heute verderben die Pflichtprü­fungen seinem Kollegen Bruckner zufolge vielen den Schnitt. „Bessere und schlechter­e Noten nehmen zu.“Die Mitte dünnt ihm zufolge immer weiter aus.

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