Donau Zeitung

Als Deutschlan­d durchgelüf­tet wurde

Popgeschic­hte Vor 50 Jahren setzte eine Blitztourn­ee der Beatles die Jugend unter Strom. Wer Konzerte wie die im Münchner Circus Krone miterlebte, schwärmt noch heute davon

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München Ernst Wolf wird diesen Abend in München nie vergessen. Als John, Paul, George und Ringo auf der Bühne des Circus Krone vor 3000 tobenden Fans mit der Nummer „Rock and Roll Music“loslegen, ist das für ihn so etwas wie ein Erweckungs­erlebnis. „Das hat sich mir eingebrann­t“, sagt der heute 67-Jährige aus Heidelberg. „Es war eine Befreiung von Muff und Konvention­en.“Nur knapp 30 Minuten spielten die Beatles an diesem 24. Juni 1966 – doch sie veränderte­n sein Leben.

„Beatlemani­a“in Deutschlan­d vor 50 Jahren: Die Jugendzeit­schrift Bravo brachte die vier Pilzköpfe aus Liverpool für eine fünftägige Blitztourn­ee im Juni 1966 ins Land. Die Teenager waren entzückt, die Eltern entsetzt über die „struppigen Vier“, die mit ihrer Musik die Welt aus den Angeln hoben. Die Medien folgten den britischen Beatmusike­rn auf Schritt und Tritt zu den sechs Konzerten in München, Essen und Hamburg. Und die Polizei in Hamburg und München drehte Lehrfilme, um Großeinsät­ze mit „entfesselt­en Teenagern“zu üben.

Für junge Leute in Deutschlan­d war die erste und einzige Tournee der „Fabulous Four“in Deutschlan­d ein Riesending, sagt der Sammler und Autor Thorsten Knublauch. Akribisch hat der 47-Jährige, der im Hauptberuf Sachbearbe­iter bei der evangelisc­hen Kirche in Westfalen ist, in einem Buch die damalige Rückkehr der Beatles nach Deutschlan­d dokumentie­rt. Ihre Karriere hatte die Band bereits Anfang der 1960er Jahre in der Klubszene in Hamburg begonnen, wo sie auch 1962 im berühmten Star-Club auftrat. Nun kam das Quartett wieder, um „Platten zu verkaufen“, wie es der Beatles-Sänger und -Gitarrist John Lennon auf den Punkt brachte. Die rund 33 000 ausgegeben­en Karten waren ausverkauf­t. Für die Beatles, die im noblen Sonderzug zu den Auftrittst­erminen reisten, lohnte sich die Kurztourne­e, sagt Knublauch. Mit ihren Singles rangierten sie danach bis zu ihrer Auflösung im Jahr 1970 fast immer auf Platz eins. Die Bravo, damals mit einer Auflage von 1,1 Millionen das auflagenst­ärkste Jugendmaga­zin, sicherte sich durch den Coup, die Beatles nach Deutschlan­d gebracht zu haben, ihre Spitzenpos­ition unter den Jugendzeit­schriften.

Vor allem aber revolution­ierte die Beatles-Kurztourne­e die Musiklands­chaft. „Die Popmusik kam in Deutschlan­d an“, sagt Knublauch. Englischsp­rachiger Pop wurde hoffähig für breitere Bevölkerun­gsschichte­n und erreichte gar die von Schlagermu­sik dominierte „Hitparade“. Noch etwas anderes machte die Tournee so besonders. Nur wenige Wochen später, am 29. August 1966, gaben die Beatles in San Francisco bereits ihr letztes gemeinsame­s Konzert vor Publikum.

„Zu den Beatles heimlich nach München getrampt zu sein, war das Beste, das ich je gemacht habe“, erzählt Ernst Wolf 50 Jahre später. Eine Eintrittsk­arte für den ersten Konzerttag hatte ihm ein Freund besorgt – „bis heute weiß meine Mutter nichts davon“. Die Beatles hätten mit viel „Yeah, Yeah, Yeah“seine Welt verändert, sagt Wolf. „Ich wurde aufmüpfig den Älteren gegenüber und lernte, alles zu hinterfrag­en.“Dass die Beatles an jenem Münchner Juniabend nur elf Titel brachten, dass man im Circus Krone von der Musik kaum etwas mitbekam, weil die Fans so aus dem Häuschen waren, das war ihm „völlig egal“. Hauptsache, die Beatles live erlebt zu haben.

Auch für Joachim Noske war der Beatles-Blitzbesuc­h in Deutschlan­d ein einschneid­endes Erlebnis. „Die Beatles und die Beatmusik waren stilbilden­d für mich und meine ganBeatles-Experte, ze Generation: in Musik, Mode und Lebensart“, sagt der frühere Englischle­hrer aus Düsseldorf, der heute in Berlin lebt. „Dass ich das Glück hatte, zu dieser Zeit zu leben, kann ich nicht hoch genug bewerten.“Ein Klassenkam­erad hatte dem damals 15-Jährigen ein Ticket für das Nachmittag­skonzert am 25. Juni in der Essener Grugahalle besorgt. Zwischen zehn und 25 D-Mark kostete eine Eintrittsk­arte – damals viel Geld für junge Leute, sagt Noske, der auch Autor eines Buchs über die Coverdesig­ns von Beatles-Schallplat­ten ist.

Die Republik war nicht mehr dieselbe, als die Beatles nach fünf hektischen Tagen aus Hamburg mit einem „Wiedersähn“zu einer Japantourn­ee abflogen. „Die Nachkriegs­verkrustun­g einer durch Krieg und Naziverbre­chen schuldbela­denen Nation brach auf“, analysiert Joachim Noske. Junge Deutsche seien auch dankbar dafür gewesen, dass gleichaltr­ige Musiker aus England oder den USA ganz selbstvers­tändlich im früheren Feindeslan­d aufgetrete­n seien. Manche Songs wie „Yesterday“kann er mittlerwei­le zwar nicht mehr hören. Aber noch immer steht Noske im Bann der Beatles: „Alles war neu damals.“

Alexander Lang, epd; AZ

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