Wer braucht noch Rechtschreibregeln?
Sprache Im digitalen Zeitalter scheint korrektes Schreiben überflüssig zu sein. Ein Trugschluss
München Wer die Nachrichten seiner Freunde auf dem Handy liest oder Kommentare bei Facebook, der kann schon Zweifel daran bekommen, dass es ihn noch gibt – den Glauben an die gute alte Rechtschreibung. Wörter werden bis zur Unkenntlichkeit verkürzt oder einfach so geschrieben wie gesprochen. Die Groß- und Kleinschreibung hat sich dort ohnehin schon kurz nach der Interpunktion verabschiedet.
Doch der Eindruck täuscht, sagt Michael Rödel, Professor für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. „Ich glaube, dass Abiturienten schon besser schreiben, als man ihnen nachsagt.“Es komme eben auf den Kontext an. Sicher ersetze eine SMS oder WhatsApp-Nachricht heute oft die mündliche Kommunikation, sei informell und darum auch oft voller Rechtschreibfehler. Aber: Bei einem wichtigen Brief oder einer E-Mail, die nach dem Aufkommen sozialer Medien inzwischen als deutlich formeller gelte, sei das anders. Will heißen: Wenn es drauf ankommt, gibt man sich Mühe.
Dass diese Mühe durchaus angebracht sein kann, zeigt beispielsweise eine Umfrage der Online-Partnervermittlung Parship. Das Ergebnis ist niederschmetternd für diejenigen, die sich nicht merken können, dass man „Maschine“und „widerspiegeln“nicht mit -ie schreibt, oder nicht wissen, wann das „das“ein zweites -s braucht. 95 Prozent der befragten Frauen störten sich demnach an solchen Fehlern; bei den Männern waren es 82 Prozent. „Umfragen unter Personalern ergeben auch immer wieder, dass die Rechtschreibung einen überragend bedeutenden Stellenwert hat“, sagt Rödel. Bis zu einem Drittel der Personalverantwortlichen in Unternehmen sortierten Bewerbungen mit Rechtschreibfehlern sofort aus.
„Auch im Zeitalter der Kurznachrichten, E-Mails, Chatrooms ist das Beherrschen der Rechtschreibung nach wie vor das A und O“, sagt die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, die Bremer Senatorin Claudia Bogedan. Und auch der Rechtschreib-Duden, das Standard-Werk, kann sich nach Angaben einer Verlagssprecherin nicht über mangelndes Interesse beklagen. Umsatzzahlen werden zwar nicht herausgegeben, aber 28 Millionen Kontakte im Monat zählt die Duden-Seite im Internet – das sind annähernd eine Million am Tag.
Lange vorbei sind aber die Zeiten, in denen in Deutschland ein regelrechter Krieg um die richtige Schreibweise von Delfin oder Delphin, Fuss oder Fuß, Schifffahrt oder Schiffahrt tobte und die Rechtschreibreform landauf, landab zu leidenschaftlichen, wenn nicht gar aggressiven Debatten führte. „Diese Emotionalität ist auf jeden Fall verschwunden bei dem Thema“, sagt Rödel. Und Hans Zehetmair, langjähriger Vorsitzender des Rates für deutsche Rechtschreibung, glaubt, das Ziel des Rates, die Wiederherstellung des „Sprachfriedens“, sei weitgehend erreicht. „Ich wurde in die Fluten gestürzt bei hoher See und rauem Gewässer“, erinnert sich Zehetmair, dessen Amt nun an Josef Lange übergeht. Der Rechtschreibrat will den Nachfolger an diesem Freitag wählen.
Auch wenn die Rechtschreibung ihre Bedeutung behalten hat – um die Rechtschreib-Fähigkeiten von Schülern ist es nach Einschätzung des Didaktik-Professors Rödel weniger gut bestellt, als vor zehn oder 20 Jahren. Ein Eindruck, den nicht alle seiner Kollegen teilen, wie er einräumt. Studien kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Aus Rödels Sicht führt ein liberalerer Umgang mit Rechtschreibfehlern in der Grundschule – von dem man sich langsam wieder verabschiede – zu mehr Fehlern. Allerdings habe eine Studie auch ergeben, dass die Schüler im Gegenzug variabler im Ausdruck geworden sind. (dpa)