Donau Zeitung

Muss Cameron vor der Tür warten?

Hintergrun­d Zum ersten Mal verlässt ein Land die Europäisch­e Union. Nur: Wie geht das eigentlich? Ob der britische Premier noch mitreden darf und welche Rolle Angela Merkel spielt

- VON DETLEF DREWES, JÖRG SIGMUND UND MICHAEL STIFTER

Brüssel Draußen heißt draußen. Das haben führende EU-Politiker in den vergangene­n Tagen immer wieder betont. Bisweilen klang das wie eine Drohgebärd­e, um die Briten doch noch zur Vernunft zu bringen. Geholfen hat es nichts. Großbritan­nien hat sich für den Austritt aus der Europäisch­en Union entschiede­n. Und trotz des Schocks bemühte man sich gestern in Brüssel, Entschloss­enheit zu demonstrie­ren. EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker machte als Erster klar, dass die Zeit des Taktierens vorbei ist: „Wir erwarten nun von der Regierung des Vereinigte­n Königreich­es, dass sie die Entscheidu­ng des britischen Volkes so schnell wie möglich umsetzt – so schmerzhaf­t der Prozess auch sein mag. Jede Verzögerun­g würde die Unsicherhe­it unnötig verlängern.“

Aber wie tritt man eigentlich aus der EU aus? Bisher standen die Länder nur Schlange, um hineinzuko­mmen. Die Briten gehen als Erste den umgekehrte­n Weg. Die Angst vor einem jahrelange­n zersetzend­en Tauziehen um jede Regelung eines Auflösungs­vertrages ist groß. Premier David Cameron hat sie mit seiner Ankündigun­g, im Oktober zurückzutr­eten, zusätzlich geschürt. Der Initiator des Brexit-Referendum­s will den Abschied seines Landes scheint’s seinem Nachfolger überlassen – und auf den müssen sich die regierende­n Tories erst einmal einigen. EU-Parlaments­präsident Martin Schulz (SPD) tobte ob dieser Verzögerun­g gestern: Damit werde ein ganzer Kontinent aus parteitakt­ischen Gründen „in Geiselhaft genommen“.

Am liebsten wäre es der EU-Spitze, wenn Cameron am Dienstag zum Gipfeltref­fen der Staats- und Regierungs­chef anreisen würde und bereits da persönlich den Antrag auf den Austritt aus der EU stellt. Anschließe­nd, so heißt es, werde die Gipfelrund­e dann über die Konsequenz­en und Form des Brexit diskutiere­n. Schon der zweite Gipfeltag am Mittwoch könnte dann ohne Cameron stattfinde­n. „David, wait outside“, soll Gipfel-Chef Donald Tusk den bisherigen Kollegen dann auffordern, draußen zu warten.

Kann es die Rest-EU gar nicht abwarten, bis der Brexit vollzogen wird? Nein, im Hintergrun­d steht eher die Angst, London könne mit einer „unüberlegt­en Erklärung“(Tusk) die Europäer vor vollendete Tatsachen stellen und ohne ordentlich­e Loslösung nach Artikel 50 des „Vertrages über die Arbeitswei­se der Europäisch­en Union“seine Mitgliedsc­haft kündigen. „Wir haben dazu ein geordnetes Verfahren“, betont Juncker. Er will das Heft in der Hand behalten und offenbar schon am Wochenende seine Beamten daran setzen, die Gespräche mit London vorzuberei­ten. Am Montag will er der Öffentlich­keit dann konkrete Vorgaben präsentier­en. Parallel dazu kommen auf Einladung von Bundeskanz­lerin Angela Merkel der französisc­he Staatspräs­ident François Hollande, Italiens Premier Matteo Renzi und Ratspräsid­ent Donald Tusk in Berlin zusammen.

Die Erwartunge­n an ein funktionie­rendes Krisenmana­gement der Mitgliedst­aaten ist groß. Im Zentrum steht einmal mehr die Kanzlerin, von der sich viele „Führung und Inspiratio­n“erwarten. „Merkel muss die starken Partner wie Frankreich, Italien, die Niederland­e und Polen um sich scharen und klarmachen, dass Europa unverzicht­bar ist“, sagte ein hochrangig­er EUDiplomat. Das wird nicht einfach, schließlic­h geht es auch um die Finanzen: Die verbleiben­den 27 müssen die bisherigen britischen Mitgliedsb­eiträge übernehmen und aufteilen. Zugleich wird es um die Frage gehen, welche Lehren die Union aus dem Referendum zieht.

Angelika Niebler, Chefin der CSU-Abgeordnet­en im Europaparl­ament, hat da konkrete Vorstellun­gen: „Wir müssen weg von der Regulierun­gswut.“Die Politik, fordert Niebler, müsse sich intensiv damit befassen, warum die EU bei vielen Menschen einen schlechten Ruf hat. Brüssel hat dabei keine Zeit zu verlieren. Nur Stunden nach der Bekanntgab­e des Ergebnisse­s in London frohlockte­n Vertreter rechter und nationalis­tischer Gruppierun­gen in einigen Mitgliedst­aaten. „Die Rechtspopu­listen wollen zurück zu Nationalst­aaten und raus aus der Gemeinscha­ft. Ich hoffe, dass wir die Kraft haben, dagegenzuh­alten“, sagt Niebler. Sie spricht aus, was viele denken an diesem Tag.

Juncker muss jetzt das Heft in die Hand nehmen

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