Es wird einsam um Deutschland
Europa Mit den Briten verliert die Kanzlerin einen wichtigen Partner. Nur Frankfurt freut sich über den Brexit – und ein paar Fußballmanager
Berlin Der deutsche Fußball, das immerhin, ist jetzt eine Sorge los. Wenn Großbritannien aus der EU austritt, können Spieler wie Emre Can oder Ron-Robert Zieler nicht mehr so leicht in die Premier League wechseln. Um dort auflaufen zu dürfen, müssten sie in ihrer Heimat 30, teilweise sogar 45 Prozent der Länderspiele in den zwei Jahren zuvor bestritten haben – nur dann erhalten Profis aus Staaten, die nicht zur EU gehören, eine Arbeitserlaubnis. Nach dem Brexit-Schock dürfte die berufliche Zukunft der nächsten Fußballergeneration allerdings eine von Angela Merkels kleineren Sorgen gewesen sein.
Nach einer Studie des Ifo-Institutes kosten Deutschland alleine die zu erwartenden Schwierigkeiten im Handel bis zu sechs Milliarden Euro an jährlicher Wirtschaftsleistung. Sie werden vor allem die Auto-, die Metall- und die Lebensmittelindustrie treffen. Dazu kämen 2,5 Milliarden, die Deutschland mehr an die EU abführen muss, weil mit Großbritannien ein Land aussteigt, das mehr in die gemeinsame Kasse einzahlt, als es zurückerhält. Allerdings räumt das Institut ein, dass die Prognose mit Vorsicht zu genießen ist. Das heißt: Es kann auch noch teurer werden. „Wir erwarten einen deutlichen Rückgang des Geschäfts mit den Briten“, stöhnt der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der deutschen Industrie, Markus Kerber. Angeblich hängen bis zu 750 000 Arbeitsplätze in Deutschland von den Ausfuhren ins Vereinigte Königreich ab.
Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel ist der Erste, der seinem Frust Luft macht. „Damn!“, schreibt er schon um 6.19 Uhr im Nachrichtendienst Twitter. Verdammt. „Was für ein schlechter Tag für Europa.“Aus deutscher Sicht verabschiedet sich mit Großbritannien nicht nur ein wichtiger Handelspartner aus dem gemeinsamen Markt, der jedes Jahr Waren für fast 90 Milliarden Euro in Deutschland ordert. Im Tauziehen mit den Süd-Ländern oder in den Verhandlungen um das transatlantische Handelsabkommen fehlt der Bundesregierung auch bald ein ideeller Verbündeter. Privat vor Staat, Wettbewerb, Marktwirtschaft: Hier waren Briten und Deutsche oft Brüder im Geiste.
Rein ökonomisch betrachtet hat Deutschland als größte Volkswirtschaft künftig noch mehr Gewicht in der Union. Politisch aber steht es möglicherweise bald einer Allianz aus Frankreich, Italien und Spanien gegenüber, deren Reform- und Spareifer um einiges geringer ist. In den Mitgliedstaaten des „Club Med“träumt man von eigenen EUSteuern, einer Vergemeinschaftung der Schulden oder einer europäischen Arbeitslosenversicherung.
Profitieren könnte von der Entscheidung der Briten der Finanzplatz Frankfurt. Banken, Versicherungen und Fondsgesellschaften haben bereits angekündigt, Teile ihres Geschäfts aus London nach „Mainhattan“zu verlagern. Erste Schätzungen gehen von bis zu 20 000 neuen Arbeitsplätzen in Frankfurt aus. Nach einem Brexit, hat Deutsche-Bank-Chef John Cryan bereits angekündigt, werde besonders der Handel mit Anleihen von Euro-Ländern auf den Kontinent verlegt.