Das ungeeinte Königreich
Analyse Engländer und Waliser wollten den Brexit, Schotten und Nordiren nicht. Damit droht schon bald der nächste große Knall
Augsburg Auf den ersten Blick scheint es ganz einfach zu sein: Die Mehrheit der Briten wollte eben raus aus der Europäischen Union. Aber so einfach ist es nicht. Wer sich die Abstimmungsergebnisse in den Wahlkreisen anschaut, muss feststellen: Die Briten gibt es in diesem Fall gar nicht. Während Engländer (mit Ausnahme der Londoner) und Waliser mehrheitlich für den Brexit stimmten, wären die Schotten und viele Nordiren lieber in der EU geblieben. Das ist der Sprengstoff, der schon bald den nächsten großen Knall im ungeeinten Königreich auslösen könnte.
Kaum stand der Brexit fest, wurden die ersten Stimmen aus dem Norden der Insel laut. Die europafreundlichen Schotten hatten sich vor zwei Jahren nur knapp gegen eine Abspaltung von Großbritannien ausgesprochen. Damit schien der Traum des stolzen Volkes von der Eigenständigkeit ein für alle Mal ausgeträumt. Jetzt könnte es doch ganz anders kommen. „Ein zweites Unabhängigkeitsreferendum ist nun höchstwahrscheinlich“, prophezeite die schottische Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon gestern. Und plötzlich gilt es als ernst zu nehmende Option, dass Schottland sich nach dem Brexit von Großbritannien lossagt und anschließend wieder in die Europäische Union eintritt.
Und das ist noch nicht alles. Als Reaktion auf die Abstimmungsergebnisse fordert die nordirische Partei Sinn Fein nun eine Volksabstimmung über die Vereinigung Nordirlands mit der Republik Irland. Zur Begründung erklärte Parteichef Declan Kearney, seine Landsleute seien gegen ihren Willen von den Engländern aus der EU gedrängt worden. Bisher profitierten die Nordiren von der offenen Grenze zu Irland. Künftig führt die EU-Außengrenze mitten durch die Insel. Für viele Menschen auf beiden Seiten wäre das ein Albtraum.
Sowohl die irische als auch die nordirische Regierung lehnten den Vorschlag am Abend zwar ab, aber es ist nicht ausgeschlossen, dass die Briten am Donnerstag – ohne es zu wollen – das Startsignal für den Zerfall des Königreichs gegeben haben.