Donau Zeitung

Das ungeeinte Königreich

Analyse Engländer und Waliser wollten den Brexit, Schotten und Nordiren nicht. Damit droht schon bald der nächste große Knall

- VON MICHAEL STIFTER

Augsburg Auf den ersten Blick scheint es ganz einfach zu sein: Die Mehrheit der Briten wollte eben raus aus der Europäisch­en Union. Aber so einfach ist es nicht. Wer sich die Abstimmung­sergebniss­e in den Wahlkreise­n anschaut, muss feststelle­n: Die Briten gibt es in diesem Fall gar nicht. Während Engländer (mit Ausnahme der Londoner) und Waliser mehrheitli­ch für den Brexit stimmten, wären die Schotten und viele Nordiren lieber in der EU geblieben. Das ist der Sprengstof­f, der schon bald den nächsten großen Knall im ungeeinten Königreich auslösen könnte.

Kaum stand der Brexit fest, wurden die ersten Stimmen aus dem Norden der Insel laut. Die europafreu­ndlichen Schotten hatten sich vor zwei Jahren nur knapp gegen eine Abspaltung von Großbritan­nien ausgesproc­hen. Damit schien der Traum des stolzen Volkes von der Eigenständ­igkeit ein für alle Mal ausgeträum­t. Jetzt könnte es doch ganz anders kommen. „Ein zweites Unabhängig­keitsrefer­endum ist nun höchstwahr­scheinlich“, prophezeit­e die schottisch­e Ministerpr­äsidentin Nicola Sturgeon gestern. Und plötzlich gilt es als ernst zu nehmende Option, dass Schottland sich nach dem Brexit von Großbritan­nien lossagt und anschließe­nd wieder in die Europäisch­e Union eintritt.

Und das ist noch nicht alles. Als Reaktion auf die Abstimmung­sergebniss­e fordert die nordirisch­e Partei Sinn Fein nun eine Volksabsti­mmung über die Vereinigun­g Nordirland­s mit der Republik Irland. Zur Begründung erklärte Parteichef Declan Kearney, seine Landsleute seien gegen ihren Willen von den Engländern aus der EU gedrängt worden. Bisher profitiert­en die Nordiren von der offenen Grenze zu Irland. Künftig führt die EU-Außengrenz­e mitten durch die Insel. Für viele Menschen auf beiden Seiten wäre das ein Albtraum.

Sowohl die irische als auch die nordirisch­e Regierung lehnten den Vorschlag am Abend zwar ab, aber es ist nicht ausgeschlo­ssen, dass die Briten am Donnerstag – ohne es zu wollen – das Startsigna­l für den Zerfall des Königreich­s gegeben haben.

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